Schweden

Linn Ullmanns sechster Roman meisterlich und viel mehr als “Autofiktion”

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«Die Unruhigen»

Ingmar Bergman und Liv Ullmann als überforderte Eltern

Linn Ullmann ist als Scheidungskind weltberühmter Eltern groß geworden. In «Die Unruhigen» erkundet sie die Sommerwochen bei Ingmar Bergman und die Restzeit bei der ewig hadernden Liv Ullmann. Bis der Vater als seniler alter Mann stirbt. Die Mutter nennt das Buch zurecht ein Meisterwerk.

19.06.2018

Linn Ullmann. Foto: dpa​

Von Thomas Borchert

Am besten man wüsste bis zum Ende nicht, dass hier ein weltberühmtes Elternpaar von der Tochter mit Erinnerungen an eine zerrissene Kindheit vorgestellt wird. Als Rettung vor dem Schlüssellochgucken. Wie die Norwegerin Linn Ullmann (51) diese schwer zu unterdrückende Form von Neugier fast vergessen macht, ist Teil ihrer Meisterschaft in «Die Unruhigen» mit Ingmar Bergman, in Cannes zum «besten Filmregisseur aller Zeiten» gekürt, der kaum minder berühmten Schauspielerin Liv Ullmann und sich selbst als Hauptpersonen.

Linn Ullmann: Die Unruhigen, Roman, aus dem Norwegischen von Paul Berf, Luchterhand Verlag, München, 412 Seiten, 22,00 Euro, ISBN: 978-3-630-87421-0. Foto: ​Random House/dpa

«Ich hätte gern ein Buch ohne Namen geschrieben. Oder ein Buch mit sehr vielen Namen. Oder ein Buch, in dem alle Namen so alltäglich sind, dass man sie auf der Stelle vergisst», schreibt sie zu Beginn ihres sechsten Romans in einer glasklaren, unprätentiösen Sprache und nennt die berühmten Namen sowie auch den eigenen nicht ein einziges Mal. Sich lässt sie abwechselnd als «ich» und «sie» auftreten. Die Autorin schafft auf den 400 Seiten das ganz Schwere: Man klappt das Buch zu als fesselnde, nachdrücklich und zugleich unsentimental, auch witzig zum Nachdenken über die eigene Geschichte anregende Meditation zum alle prägenden und immer komplexen Verhältnis zwischen Kindern und Eltern.

In diesem Fall kennt alle Welt den Rahmen: Der große Ingmar Bergman und die schöne Liv Ullmann, so sieht es die Welt eben, verliebten sich bei den Dreharbeiten zu «Persona» 1965. Die Tochter kam ein Jahr später zur Welt und konstatiert nüchtern über ihren damals 48- jährigen Vater: «Ein Kind mehr oder weniger. Er hatte acht aus früheren Beziehungen und war als dämonischer Regisseur (was immer das bedeuten soll) und als Schürzenjäger bekannt (ziemlich eindeutig, was das bedeutet).» Die Beziehung zur 21 Jahre jüngeren Mutter hielt, bis die Tochter drei war. Zu den Vereinbarungen des weiter zusammenarbeitenden und lebenslang befreundeten Ex-Paares gehörten jedes Jahr ein paar Sommerwochen für Tochter Linn beim Vater auf der kleinen Ostseeinsel Fårö, wo der Filmemacher 2007 gestorben ist.

Ansonsten aber lebte natürlich auch dieses jüngste wie alle anderen Bergman-Kinder bei der Mutter. Eine endlose Reihe von Kindermädchen sowie auch eine kürzere, aber genauso wenig populäre mit Geliebten der Mutter zieht sich durch das Buch, wenn die Schauspielerin wieder zu Engagements in Oslo, New York oder Los Angeles unterwegs ist. Die Tochter wird vor Sehnsucht halb verrückt. Linn Ullmann erinnert sich im Buch an ihre Jahre als 11- bis 15-Jährige, erst als vollkommen bedingungslos liebendes Kind, dann als Teenager mit den ersten sexuellen Erfahrungen und mit langsam weiterem Horizont auf der Suche nach einem Zuhause und festem Boden unter ihren Beinen (die sie viel zu dünn findet). Eine Herkulesarbeit ist das beim ziemlich entrückten, mit unverrückbar festem Stundenplan am Künstlertum arbeitenden Sommer-Vater und der ewig unsicheren, mit sich hadernden, auch in den eigenen vier Wänden kräftig schauspielernden Mutter.

Ein durch raffinierte Montagen und den zurückgenommenen, dabei aber unglaublich treffsicheren Grundton vollbrachtes Kunststück des Buches ist die Kombination der eigenen kindlichen Perspektive auf die nie gemeinsam erreichbaren Eltern mit dem erwachsenen Blick auf beide als Persönlichkeiten für sich. Wärme und das Streben nach Klarheit durch kühle Beobachtung widersprechen einander hier nicht. Dieses Kunststück möchte man ja selbst auch gern besser schaffen.

Der hochinteressante Teilzeit-Vater kommt ungleich besser weg als die immer mit den schnöden Alltagsproblemen kämpfende Vollzeit-Mutter. Er bekommt auch viel mehr Platz. Denn Auslöser für dieses grandiose Erinnerungsbuch war ein gescheitertes Projekt der erwachsenen Tochter mit dem betagten Bergman: Er wollte eins über das Altwerden als harte Arbeit schreiben, fühlte sich aber schon zu schwach und vereinbarte eine Interviewserie mit der als Autorin bestens selbstständig etablierten Linn. Vom Scheitern auch dieses Vorhabens, weil Bergman einfach zu schnell weiter abbaute, bis zu seinem noch mal von ihm selbst akribisch durchgeplanten Begräbnis auf Fårö erzählt die Tochter im Wechsel mit den Kindheitsgeschichten und gibt Dialoge im Wortlaut wieder.

Das bringt wieder ein gänzlich anderen Blick auf das Eltern-Kind-Verhältnis mit dessen fast zunehmender Umkehrung. Genial erzählt sie die Geschichte von einer Bruchstelle: Als Linn mit 30 in Oslo frisch geschieden und der Vater mit knapp 80 verwitwet ist, lädt der die Tochter nach Stockholm zum Heilig Abend ein, den er eigentlich nie feiert: «Eine Woche zuvor hatten Papa und ich telefoniert und waren im Gespräch über die Einsamkeit des jeweils anderen gestolpert.»

Ist alles so passiert oder auch im Genre Autofiktion ausgedacht? Zu der sich gerade im Land des Autofiktions-Weltmeisters Karl-Ove Knausgård aufdrängenden Frage hat Linn Ullmann in vielen Interviews unterschiedlich geantwortet: Sie habe sich schon nach Kräften angestrengt, immer «wahr» und getreu der eigenen Erinnerung zu schreiben. Aber wann und wie sei Erinnerung wahr? Einiges sei auch erfunden, ein Aufenthalt in Frankreich zum Beispiel. Mutter Liv sagte nach dem Erscheinen des Originals im norwegischen Fernsehen: «Als ich es las, hab ich es ein Meisterwerk genannt. Ich hab aber auch gesagt, dass ich nicht so dargestellt bin, wie ich es mir wünschen würde. Manches ist erdichtet, manches ist Lüge. Und eine ganze Masse ist Wahrheit.»

Im Buch hat sich die Tochter auf solche Anwürfe schon mit einem klugen Satz gewappnet: «In Wahrheit kann man nicht sonderlich viel über das Leben anderer Menschen wissen, und erst recht nicht, wenn diese Eltern es darauf angelegt haben, ihr Leben in Geschichten zu verwandeln, die sie anschließend mit einer begnadeten Fähigkeit dafür erzählen, sich nicht im Geringsten darum zu scheren, was wahr ist und was nicht.»

Gegenwehr zwecklos? – Dänemark und Schweden gehen in Windeseile in Populistenhand über

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Skandinaviens Sozialdemokraten ergeben sich

Ehemals linke Parteien in Schweden und Dänemark übernehmen Parolen der Rechten und Rassisten. Ihr Ziel: Wählerstimmen. Das Ergebnis: Die Populisten triumphieren.

 

Stefan Löfven
Der schwedische Premierminister Stefan Löfven in Brüssel (Archivbild). Foto: imago

Skandinavien als früher viel bestaunte Hochburg der Sozialdemokratie geht mit immer schnelleren Schritten in die Hände von Rechtspopulisten über. Vor den Wahlen in Schweden muss die Partei von Ministerpräsident Stefan Löfven nach neuesten Umfragen mit dem schlechtesten Ergebnis seit hundert Jahren rechnen.

Sie hat im letzten Halbjahr fast fünf Prozentpunkte verloren, während die rechtsextremen Schwedendemokraten um knapp vier zulegen konnten und sich stetig der 20-Prozent-Marke nähern. Nach einhelliger Meinung der Stockholmer Kommentatoren ist der tiefe Fall der Sozialdemokraten mit den derzeitigen 25–28 Prozent noch lange nicht beendet.

Schon jetzt ist Löfven klar gescheitert mit seinem Versuch, die Wählerflucht durch eine scharfen Schwenk bei der Zuwanderungspolitik auf Härte, Law-and-Order-Politik sowie nationalistische Parolen in Richtung „Schwedische Jobs für Schweden“ zu stoppen. Parteisekretärin Lena Rådström Baastad meinte zu den katastrophalen Umfragezahlen: „Die politische Tagesordnung der letzten Zeit mit Migration und Integration ganz oben war nicht zu unserem Vorteil.“ Read the rest of this entry »

Selbstmorde unter jugendlichen Flüchtlingen: Ein Riesenproblem wird verdrängt

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Schweden ist geschockt – aber untätig

Die hohe Suizidrate unter Geflüchteten hat politisch bislang keine Folgen, beklagen Helfer.

(Dieser Text ist Teil des”Topthemas” in der Frankfurter Rundschau über die vielen und offiziell in der Statistik verdrängten Selbstmorde von Flüchtlingen in Deutschland. Dass Schweden wenigstens konkrete Zahlen hat, ist eine Ausnahme in Europa.)

Zweimal haben in Schweden die Alarmglocken zu Suiziden unter Flüchtlingen unüberhörbar laut geschlagen. Anfang des Jahres schockierte ein Rapport aus dem Karolinska Institut mit der Zahl von 12 Suiziden unbegleiteter Kinder und Jugendlicher zwischen zehn und 21 Jahren im Jahr 2017, alle männlich und die meisten aus Afghanistan. Die Suizidquote lag knapp zehnmal höher als sonst bei dieser Altersgruppe in Schweden.

Zwölf Monate vor der Veröffentlichung des Berichts im Auftrag der Sozialbehörde hatten private Hilfsorganisationen mit ihren Warnungen Schlagzeilen gemacht: Selbsttötungen und Versuche würden sich häufen. In sozialen Medien machte eine Verabredung jugendlicher Flüchtlinge zu „kollektivem Suizid“ die Runde. Read the rest of this entry »

Sozialdemokratische Lemminge ziehen in den Wahlkampf

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Schwedens Genossen schwenken nach rechts

Mit knallharten Positionen zu Zuwanderung und Sicherheit wollen die Sozialdemokraten aus dem Umfragetief kommen.

Stefan Lövfen
Propagiert inzwischen geschlossene Lager für Asylbewerber: Premier Stefan Lövfen. Foto: rtr

Vier Monate vor den Wahlen haben Schwedens regierende Sozialdemokraten die Weichen gegen den immer tieferen Fall in der Wählergunst stramm nach rechts gestellt. Ministerpräsident Stefan Löfven verkündet inzwischen immer schon am Anfang seiner Statements, dass offene Jobs doch wohl zuerst eingesessenen Schweden zustehen und nicht „Leuten, die man von der anderen Hälfte des Planeten herbringt“. Noch vor zweieinhalb Jahren hatte der Ex-Gewerkschaftschef die breite Öffnung seines Landes für Flüchtlinge mit dem Satz begründet: „Mein Europa baut keine Mauern.“

Nach dem gerade vorgelegten Wahlprogramm sollen diese Mauern unter sozialdemokratischer Führung nun zügig und wetterfest hochgezogen werden – buchstäblich mit permanenten Grenzkontrollen zu Dänemark als einzigem Nachbarn Richtung Europa. Als Ziel für einen ganzen Strauß von Verschärfungen definiert Löfven, die Zahl von 26 000 Asylbewerbern auf knapp die Hälfte herunterzudrücken. Wie erwünscht dabei für jedermann sichtbare Härte ist, zeigt der Vorschlag, Kinder von Asylbewerbern ohne gültige Papiere von jedem Schulbesuch auszuschließen. Hinzu kommen geschlossene Auffanglager, eine drastische Reduzierung des Familiennachzugs, Leistungskürzungen und anderes mehr.

Passend zum Wahlkampfmotto „Eine stärkere Gesellschaft und ein sicheres Schweden“ stellen die Sozialdemokraten auch das Thema innere Sicherheit ganz oben auf ihre Wahlkampf-Agenda. Sie werben auf ganzer Linie für härtere Strafen. 10 000 zusätzliche Polizisten verspricht Löfven zudem. Auch außenpolitisch wollen sich die Sozialdemokraten mit kräftig mehr Geld für das Militär, Wiedereinführung der Wehrpflicht sowie demonstrativ immer engerer Zusammenarbeit mit der Nato als zupackender Ordnungsfaktor in einer Zeit zunehmender Unsicherheit profilieren.

Am größten ist wohl die Unsicherheit über die eigene Zukunft, wie überall in Europa mit anhaltend sich verschlechternden Wahlergebnissen für die Sozialdemokratie. Über die jeweils 31 Prozent bei den beiden letzten schwedischen Wahlen wäre die deutsche SPD ja schon wieder glücklich. Aber in Schweden gelten sie nach wie vor als Katastrophe, nachdem die Partei ihr Land über hundert Jahre mit fast immer mehr als 40 Prozent faktisch im Alleingang regieren konnte.

Willy Brandt lernte hier politisches Handwerk, und auch noch Gerhard Schröder pilgerte in den 90er Jahren nach Stockholm, um erfolgreiches sozialdemokratisches Krisenmanagement zu studieren.

Kurz vor diesem Wahlkampf aber ist Schwedens einst so souveräne „Staatspartei“ auf katastrophale 26 Prozent gerutscht. Umgekehrt klettern die Schwedendemokraten, Rechtspopulisten mit Wurzeln bei Neonazis, immer weiter nach oben, von jetzt 13 Prozent im Reichstag auf 19 Prozent laut Umfragen. Klar ist, dass sie auch nach den Wahlen am 9. September wie schon seit 2015 jede stabile parlamentarische Mehrheit für Mittelinks oder Mitterechts blockieren werden. Löfvens Minderheitsbündnis mit den Grünen sowie Unterstützung der Linkspartei konnte vier Jahre nur überleben, weil die bürgerliche Opposition jedes Misstrauensvotum und eigenes Regieren mithilfe der Rechtspopulisten ausgeschlossen hat.

Dieselben Positionen wie die Rechtspopulisten

Diese Front wackelt vor dem bevorstehenden Urnengang an allen Ecken und Enden. Der konservative Oppositionschef Ulf Kristersson möchte zur Flüchtlingspolitik eine „breite Übereinkunft“ unter Einschluss der bisher parlamentarisch ins Abseits gestellten Schwedendemokraten. Das dürfte für wechselbereite Wähler nicht ganz unlogisch klingen, denn sowohl Kristerssons Partei wie auch die Sozialdemokraten vertreten heute im Wesentlichen dieselben Positionen zur Zuwanderung wie auch schon 2015 die Rechtspopulisten.

Deren Chef Jimmie Åkesson zeigte sich bei der kürzlichen TV-Debatte aller Parteispitzen hocherfreut über die Wahlkampf-Schwerpunkte des amtierenden Premiers. Die Umfragen des Senders bescheinigten Åkesson klare Punktsiege vor allen anderen sieben Parteichefs bei beiden Themen, Zuwanderung und innere Sicherheit. Der sozialdemokratische Wahlkampf-Chef John Zanchi hatte die Themensetzung der Genossen übrigens so begründet: „Die aktuelle politische Tagesordnung ist in gewissem Sinn autoritär. Es gibt in der Wählerschaft einen Wunsch danach, dass jemand die Kontrolle über die gesellschaftliche Entwicklung hat.“

 

Rezension von Håkan Nessers Krimi “Der Fall Kallmann”: So lala

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Nesser schickt drei Lehrer auf Mörderjagd

München/Stockholm. Der eigenwillige Lehrer Kallmann stirbt beim Treppensturz. Håkan Nesser lässt in seinem neuen Krimi drei Schulkollegen nach dem möglichen Urheber fahnden und selbst erzählen. Der Nesser-Mix mit anspruchsvoller Psychologie ist diesmal zu lang geraten.

Nesser schickt drei Lehrer auf Mörderjagd
Der schwedische Schriftsteller Hakan Nesser auf der 64. Frankfurter Buchmesse. Foto: Arno Burgi

Håkan Nesser war selbst mal Lehrer, immerhin 20 Jahre lang, ehe für das tägliche Brot der Erfolg seiner Schweden-Krimis reichte. Im neuen, „Der Fall Kallmann“, schickt der Bestsellerautor drei Pädagogen an der Schule in ihrer Kleinstadt hoch im kalten Norden auf die Suche nach einem Mörder.

Oder erstmal nach einem Mord, denn keiner weiß, ob beim tödlichen Treppensturz des schon immer geheimnisvollen, bei den Schülern höchst beliebten Kollegen Eugen Kallmann jemand nachgeholfen hat. Read the rest of this entry »

Anklage zu Amokfahrt in Stockholm erhoben

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Schweden Terror in der Drottningsgatan

Angeklagter stimmt den Fahndungsergebnissen zu der angenommenen Amokfahrt 2017 in Stockholm zu. Das Tatmotiv ist nun Solidarität mit dem „Islamischen Staat“.

31. Januar 2018

A woman reads messages on a memorial wall near an area where a truck ploughed into a crowd last month, at Ahlens department store along the pedestrian street of Drottninggatan in Stockholm
Erinnerungen an die Opfer vom April 2017. Foto: Ints Kalnins (X02120)

Schon vor Beginn des Prozesses wegen Mordes an fünf Passanten während einer Amokfahrt durch Stockholms Fußgängerzone 2017 hat die Staatsanwaltschaft Beweise für terroristische Absichten vorgelegt – und wird darin von Rachmat Akilow ausdrücklich bestärkt. „Er wollte Schweden dafür bestrafen, dass wir an der globalen Koalition gegen den IS beteiligt sind“, sagte Ankläger Hans Ihrman am Dienstag.

Auf den 9000 Seiten Anklageschrift gegen den Usbeken Rachmat Akilow findet sich überraschend starkes Beweismaterial dafür, dass der 39-Jährige, seit 2016 als abgewiesener Asylbewerber illegal in Schweden, das Verbrechen über Monate vorbereitet hatte. Sein Anwalt Johan Eriksson gab an, dass Akilow die Tat wie auch die terroristische Absicht gesteht: „Er wollte Schweden dazu bringen, sich nicht mehr an der Koalition gegen den IS zu beteiligen.“ Auch der Tathergang sei in der Anklageschrift präzise wiedergegeben. Unter anderem hieß es darin, dass der Täter vorab in 21 Onlinechats mit „Treueeiden“ für den IS als Motiv ausdrücklich angegeben habe, dass „Schweden die Nato unterstützt, Bombentechniker in den Irak schickt und Kurden ausbildet“. Read the rest of this entry »

Auch Schwedens Regierung macht jetzt in Rechtspopulismus

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Militärische Töne

Der sozialdemokratische Premier Löfven reiht sich in die Kriegsrhetorik der Rechten ein – und will kriminelle Banden mit Soldaten bekämpfen.

 

Malmö
Polizist in Malmö: Im größten skandinavischen Land herrscht große Verunsicherung. Foto: rtr

Wenn der Regierungschef im friedlichen Schweden laut über Militäreinsätze gegen Bandenkriminalität nachdenkt, muss etwas fürchterlich schiefgelaufen sein. „Nach mehr als 300 Schießereien mit mehr als 40 Toten im letzten Jahr schließe ich nichts mehr aus“, hat der Sozialdemokrat Stefan Löfven Mitte der Woche vor dem Reichstag verkündet und bekam noch am selben Tag hässlich passende Begleitmusik geliefert: Im Malmöer Migranten-Stadtteil Rosengård explodierten vor der Polizeistation zwei Sprengsätze. Wenige Stunden vorher hatten zwei junge Männer in Stockholm mit ihrem Kleinlaster einen Streifenwagen frontal und, laut Polizei, in voller Absicht torpediert. Gottlob gab es keine Verletzten, und auch ohne Militärhilfe konnten die mutmaßlichen Täter schnell dingfest gemacht werden. Read the rest of this entry »

Schwedin erklärt #metoo beim Job: “Die unten in der Hierarchie triffts am schlimmsten.”

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#metoo „Unglaubliche Loyalität unter den Frauen“

Die schwedische Aktivistin Elin Ahldén spricht im Interview über die Auswirkungen von #metoo und was noch passieren muss.

Vor 1 Stunde

Protestmarsch
Protestmarsch gegen Gewalt an Frauen in Los Angeles. Foto: afp

Die Schwedin Elin Ahldén arbeitet in der Stockholmer PR-Agentur Lennox. Sie hat eine geschlossene Facebook-Gruppe gegen sexuelle Diskriminierung und Gewalt in ihrer Branche mit jetzt mehr als 6000 Kolleginnen gestartet. Im FR-Interview erzählt sie von den Erfahrungen der „Me too“-Frauen im eigenen Land, die ihre Forderungen auf den Job konzentrieren.

Ist die gewaltige Ausbreitung von #metoo auf praktisch alle Arbeitsplätze in Schweden und auch in der PR-Branche eine Überraschung?
Ja, aber noch viel überraschender sind die enorm positiven individuellen Reaktionen. Die PR-Frauen bei uns, auch die von der Werbung, arbeiten in einer sehr harten Branche voll ausgefahrener Ellbogen. Es hat sich eine Wärme ausgebreitet, die ich nicht erwartet hatte, als die „Me too“-Lawine durch ganz Schweden rollte. In unserer Branche begegnen wir uns von Agentur zu Agentur selten auf kollegiale Weise. Des einen Brot ist des andern Tod. Jetzt habe ich Frauen von den härtesten und auch mächtigsten PR-Agenturen getroffen, die mich freundlich anlächelten: „Ah, du bist das von unserem #metoo-Aufruf.“ Das ist schön und fast schockierend.

Wie sehen Sie die schnellen und durchweg positiven Reaktionen auf Ihre Aufrufe bis in die Regierung und bei praktisch allen Arbeitgebern?
Politiker und Arbeitgeber haben der Stimmung entsprechend reagiert. Aber von Letzteren haben es noch nicht alle ganz verstanden. Die Arbeitgeber sagen: Wir betrachten sexuelle Belästigung und Nötigung bei uns als inakzeptabel. Da antworte ich: Toll! Dafür bekommt ihr keinen Preis, das steht im Gesetz. Wo bleiben eure Analysen, warum Diskriminierung gesetzeswidrig ist, aber weiter sexualisiert und auch sonst weiterlebt? Was wird jetzt zusätzlich getan? Es gibt die grundlegende Geschäftslogik mit vielen Stufen runter in der Hierarchie bis zu denen, die gar keinen Lohn und keine Jobsicherheit haben. Und ziemlich vielen oben an der Spitze mit sehr hohem Lohn und reichlich Jobsicherheit. Die oben sind im allgemeinen Männer und die ganz unten im allgemeinen Frauen. Solange das so ist, spielt es keine Rolle, wie viele schöne Gleichberechtigungspapiere du abfasst.

#metoo in Schweden: Der Aufstand der Frauen am Arbeitsplatz

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Sexueller Missbrauch Die #Metoo-Lawine rollt durch ganz Schweden

Hunderttausende Frauen wehren sich gegen sexualisierte Macht und Gewalt am Arbeitsplatz. Je unsicherer die Beschäftigungsverhältnisse, desto weniger gelten Regeln gegen Diskriminierung.

Vor 1 Stunde

 

#metoo
Weltweit demonstrieren viele Frauen gegen sexualisierte Gewalt, auch am Arbeitsplatz. Foto: rtr

Für mich ist klar, dass es ein Schweden vor #metoo und ein anderes danach gibt“, sagt Gewerkschaftschefin Anna Troberg in Stockholm. Die Frauen hier haben das ganze Land und sich selbst nicht nur durch die Orkanstärke ihres Aufstandes überrascht, sondern auch mit der Kampfzone: Es geht um den Job. Aufrufe gegen sexualisierte Macht und Gewalt bei der Arbeit sind von mehr als Hunderttausend Schwedinnen unterschrieben worden, gefüllt mit Tausenden Alltagsberichten über das Gebaren von (immer anonymisierten) Chefs und Kollegen. Praktisch ein komplettes Branchenregister liefert die Liste der Aufrufe. Den Anfang machten, wie anderswo auch, Schauspielerinnen, gefolgt von Kellnerinnen und Bauarbeiterinnen, Lehrerinnen, Krankenschwesterinnen, Ärztinnen etc., bis hin zu Mitarbeiterinnen von Kirchen und Gewerkschaften. Read the rest of this entry »

Sex in Schweden nur noch mit ausdrücklichem Einverständnis erlaubt

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#metoo: Schwedens neues Sex-Gesetz

Ein Erfolg für die #metoo-Bewegung: „Nur Ja heißt Ja“ löst „Nein heißt Nein“ ab. Schweden finden Schutz vor sexueller Gewalt gut, auch wenn sie das Gesetz verwirrt.

Ein klarer Punktsieg für die #metoo-Bewegung, leere Symbolpolitik oder staatliche Kontrollmanie bis unter die Bettdecke? Dass Schweden als erstes Land der Welt für Sex gesetzlich ausdrückliches Einverständnis aller Beteiligten vorschreibt, löst bei den Skandinaviern gemischte, aber fast durchweg sachliche, wenig polemische Reaktionen aus. „In der Theorie ganz ausgezeichnet, aber bei der praktischen Anwendung wohl ziemlich problematisch und kompliziert“, sagt die Publizistin MarieLouise Samuelsson und bringt damit die noch unsichere Reaktion vieler Schweden beiderlei Geschlechts auf den Punkt.Die Schwedinnen protestieren seit Oktober so massenhaft und unüberhörbar wie nirgends sonst mit berufsbezogenen #metoo-Berichten und -Aufrufen aus allen Branchen gegen sexualisierte männliche Gewalt – darunter Schauspielerinnen, Bauarbeiterinnen und Juristinnen. Dieser Sturm in Tsunamistärke hat alle überrascht und der rot-grünen Regierung eine perfekte Plattform für ihre ohnehin geplante Verschärfung des Sexualstrafrechts geliefert. In seiner Weihnachtsansprache konnte Ministerpräsident Stefan Löfven mit dem Segen aller Parlamentsfraktionen ankündigen, dass am 1. Juli 2018 ein „Einverständnisgesetz“ in Kraft trete. Sein unfreiwillig komischer Kernsatz vor einem rot geschmückten Christbaum: „Sex soll immer freiwillig sein – und ist er nicht freiwillig, ist er gesetzwidrig.“

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Dahinter steht als absolut seriöses Problem die Beweislast im Konfliktfall. Wer in Schweden sexuell loslegen will, muss künftig das aktive Einverständnis von Partnern durch deren Worte oder Handeln eingeholt haben. Liegt das nicht vor, kann der trotzdem aktive Teil nach den neuen Straftatbeständen „fahrlässige Vergewaltigung“ oder „fahrlässiger sexueller Übergriff“ zu bis zu vier Jahren Haft verurteilt werden.

Damit soll die Beweislast zugunsten der in der Regel weiblichen Opfer von männlichen Sexualstraftätern umgekehrt werden: Nun müssen letztere das Einverständnis nachweisen und nicht mehr die Opfer, dass sie gegen ihren Willen sexuell belästigt wurden.

„Es ist höchste Zeit, die Schuld da anzusiedeln, wo sie wirklich liegt: beim Täter“, sagt Vizepremier Isabella Lövin von den Grünen. Wie ihr sozialdemokratischer Chef Löfven gehört sie einer ausdrücklich „feministischen Regierung“ an. Schweden verbot 1999 als erstes Land der Welt den Kauf sexueller Dienste und kriminalisierte damit die Freier – nicht mehr die Prostituierten. Auch jetzt setzen die Politiker nicht zuletzt auf die „normative“ Kraft der Regelverschärfungen – unter dem Beifall von #metoo-Initiatorinnen.

Nur bleibt auch jetzt der messbare Erfolg der neuen Regeln umstritten. Nach wie vor stünde im Ernstfall Aussage gegen Aussage, meinen Juristen. Manche fügen sarkastisch hinzu: Es sei denn, man tauscht auch noch vor jedem Stellungswechsel schriftliche Einverständniserklärungen aus. Anne Ramberg, Vorsitzende der Anwaltsvereinigung, warnte: „Wir werden genau dieselben Probleme haben wie jetzt, um einen Übergriff zu beweisen.“