Month: October 2022
Rechtsaußen diktieren Schwedens Klimapolitik

Schweden: Rechte machen aus Vorreiterland einen Klimasünder
29.10.2022
Von: Thomas Borchert
Schwedens Regierungsprogramm steht und selbst die Rechten sind erstaunt, wie wenig Klimaschutz noch geplant ist.
Stockholm – Eine skandinavische Regierung setzt billigeres Benzin und schnellstmöglichen, massiven Ausbau der Atomkraft an die Spitze ihrer Klimapolitik.
Was nach Fake News aus dem doch weltweit als Umwelt-Vorreiter geachteten Norden klingt, ist seit vergangener Woche in Stockholm Wirklichkeit. Schwedens neuer konservativer Premier Ulf Kristersson hat nach dem knappen Wahlsieg der Rechten ein Klima- und Energieprogramm mit den aus Nazi-Gruppen entstandenen Schwedendemokraten (SD) ausgehandelt, das selbst die SD-Abgeordnete Jessica Stegrud auf Twitter ins Staunen bringt: „Wie direkt aus unserem Parteiprogramm!“
Schweden: Die Rechten profitieren unter dem neuen Premierminister
Dabei bekommen die SD noch nicht mal Ministerposten. Aber Kristerssons Minderheitsregierung (mit Christdemokraten und Liberalen) ist von der SD-Fraktion als Mehrheitsbeschafferin im Reichstag abhängig. Die Rechtsaußen hatten bei den Wahlen am 11. September ihren souveränen Wahlerfolg mit 20,4 Prozent auch durch das Versprechen eingefahren, vor allem anderen für niedrigere Spritpreise zu sorgen. Parteichef Jimmie Åkesson verkündete auf den Marktplätzen mehr als einmal täglich, dass jede noch so ehrgeizige schwedische CO2-Reduktion nicht die geringste Auswirkung auf das globale Klima haben werde. Dafür sei man einfach zu klein.
Nach den Wahlen setzte Schwedendemokratin Elsa Widding als Sprecherin ihrer nun staatstragenden Partei vom Reichstag noch einen drauf: „Ich sehe keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass wir uns in einer Klimakrise befinden.“ Kristersson würde dem verbal niemals zustimmen, hat sich aber im Programm handfest auf eine Politik ganz im Sinne der SD-Skeptikerin verpflichtet.
Politik in Schweden: Die Klimaziele rutschen weit nach hinten
Über die generelle Verpflichtung auf das Pariser Klimaabkommen hinaus enthält das Regierungsprogramm so gut wie keine klar definierten schwedischen Klimaziele. Stattdessen benennt das Regierungslager konkrete Maßnahmen zur Senkung des Benzinpreises, auch wenn das zur Erhöhung der CO2-Emissionen führt. So wird die Pflicht zur Beimengung von Biodiesel-Anteilen von den in Schweden derzeit geltenden 30 Prozent auf das EU-Mindestmaß von sechs Prozent gesenkt.
wandels mit Extremwetter wie der Flut von Ahrweiler aufzeigen. dpa
Die bisherige Zielsetzung „100 Prozent erneuerbare Energie“ wird geändert in „100 Prozent fossilfreie Energie“, um so den Weg freizumachen für den möglichst langfristigen Weiterbetrieb der bestehenden und den breitest möglichen Bau neuer Atomkraftwerke. Großzügige Kreditgarantien und „eine Express-Spur für Genehmigungsverfahren“ soll es nur für diese Energiequelle geben, von der sich Schweden per Volksabstimmung 1980 eigentlich als erstes Land der Welt verabschiedet hatte.
Rechte Schwedendemokraten lenken jetzt Schwedens Regierung

„Schwarzer Tag“ für Schweden
14.10.2022
Von: Thomas Borchert

Die rechtskonservative Koalition stellt ihr Regierungsprogramm vor. Den Wünschen der rechtsextremen Schwedendemokraten kommen sie dabei deutlich entgegen.
Einen Monat nach ihrem Wahlerfolg haben sich die Schwedendemokraten (SD) als Partei mit Nazi-Wurzeln endgültig entscheidenden Einfluss auf die Regierungspolitik in Stockholm gesichert. Mit drastischen Verschärfungen der Zuwanderungsregeln, dem Ausbau der Atomkraft bei weniger ehrgeizigen Klimazielen und der Streichung von Entwicklungshilfe steht das skandinavische Land nach dem Regierungswechsel kommende Woche vor einer Neuausrichtung, die das nationalkonservative Lager in Europa in Entzücken versetzen dürfte.
Bei der Vorstellung des Koalitions-Programms für die kommenden vier Jahre gab der designierte Premier Ulf Kristersson von den Konservativen bekannt, dass die SD als Mehrheitsbeschaffer für seine Koalition einen eigenen Stab in der Regierungskanzlei bekomme. Die Zusammenarbeit sei nicht auf eine Legislaturperiode, sondern langfristig angelegt. Noch vor den letzten Wahlen 2018 hatte derselbe Kristersson der Auschwitz-Überlebenden Hédi Fried versichert, er werde „niemals, niemals“ in irgendeiner Form mit den SD zusammenarbeiten, weil deren Menschenbild mit seinem und dem der Konservativen unvereinbar sei.
Das gilt spätestens nicht mehr, seit die SD bei den Wahlen am 11. September mit 20,4 Prozent zur zweitgrößten Kraft im Land hinter den bisher allein regierenden sozialdemokratischen Partei (30,3 Prozent) aufgestiegen sind. Sie überholten auch Kristerssons eigene Partei („Moderate“, 19,1) und dominieren nun im rechten Parlamentslager.

Kaum noch Zuwanderung
Die Konservativen bilden die künftige Regierung mit Christdemokraten (5,3) und Liberalen (4,6) als kleineren Partnern. Mit den 73 SD-Mandaten kommt die Koalition auf 176 Stimmen im Reichstag gegenüber 173 für die vier Mitte-Links-Parteien. Kristersson will die Kabinettsliste nach seiner für Montag angesetzten Wahl im Reichstag bekanntgeben. „Wir rechnen damit, dass wir bald auch direkt in der Regierung dabei sind,“ sagte SD-Chef Jimmie Åkesson. Zur Einigung auf das Regierungsprogramm erklärte er: „Als größte Kraft im Regierungslager haben wir einen Paradigmenwechsel für Schweden bei den für uns wichtigen Fragen durchgesetzt“. So werde sich die „Asyl-Zuwanderung gegen Null bewegen“. Permanente Aufenthaltsgenehmigungen sollen abgeschafft und durch befristete ersetzt, die Anforderungen zur Einbürgerung massiv angehoben werden.
Gegen die in den letzten Jahren in Schweden explosiv gewachsene Gang-Kriminalität unter jungen Männern mit Migrationshintergrund will das neue Regierungslager unter anderem mit der Verdoppelung von Strafen vorgehen, wenn die jeweilige Tat in Wohngebieten mit hohem Zugewandertenanteil begangen ist.
In der Entwicklungspolitik streicht die kommende Regierung das bisher von Schweden akzeptierte UN-Ziel, jeweils ein Prozent des BIP bereitzustellen. Was bleibt, soll künftig auf „Nahgebiete“, zum Beispiel beim Wiederaufbau der Ukraine, konzentriert werden. Die Grünen-Vorsitzende Märta Stenevi kommentierte das Programm der künftigen Regierung als „schwarzen Tag in Schwedens Geschichte“: „Wir haben es mit einer eindeutig autoritären, nationalistischen Agenda zu tun.“ Die Sozialdemokratin Andersson meinte auf Twitter: „Es ist klar, dass Kristersson Regierungschef wird und Åkesson das Steuer in der Hand hat“.

Norwegische Windfall-Profite schmecken schöner in der Schweiz

Milliardär Røkke: Gewinne zum Mitnehmen
Erstellt: 11.10.2022

Der norwegische Milliardär Røkke möchte lieber Philanthrop sein und zieht in die Schweiz.
Wo bleiben denn nun die sagenhaften Windfall-Profite aus astronomisch hohen Preisen für Gas, Benzin und andere Energiequellen? „Im schönen Lugano“ könnte eine sarkastische Antwort lauten, seit Multimilliardär Kjell Inge Røkke den Umzug von Oslo in den Süden der Schweiz verkündet hat. Über seine Aker-Holding ist der 63-Jährige der größte Privatakteur bei dem aus allen Nähten platzenden Geschäft mit norwegischem Öl und Gas, übertroffen nur vom Staatskonzern Equinor.

Røkke (geschätztes Vermögen laut Forbes 4,4 Milliarden Dollar) kann sich für dieses und kommendes Jahr auf eine steile Einkommenskurve nach oben einstellen. Die Finanzfachleute von Nordea Markets prognostizieren für Norwegens Gas- und Ölexport in diesem Jahr einen Anstieg von 830 Milliarden Kronen (79,5 Milliarden Euro) im letzten Jahr auf 2,2 Billionen Kronen im laufenden und 2023 auf 2,9 Billionen Kronen (210/280 Milliarden Euro) 2023. Er ziehe keine Unternehmensbeteiligung aus der Heimat ab, wehrte sich Røkke gegen den Stempel Steuerflüchtling, vielmehr könne er von der Mitte Europas aus besser „philanthropischen Aktivitäten“ nachgehen. Mit denen will er seit 2017 genau wie Bill Gates, Elon Musk, Mark Zuckerberg und andere unter den Allerreichsten die Hälfte seines Vermögens wohltätigen Zwecken zukommen lassen.
Was er darunter versteht, zeigte Røkke mit der gleichzeitigen Bestellung der größten Luxusjacht der Welt. Das 183 Meter lange Schiff soll der Umweltorganisation REV Ocean zur Meeresforschung dienen, aber auch dem noblen Stifter sowie superreichen Chartergästen „als Ort für Erholung und Inspiration“.

Das Schiff, das arabische Ölscheichs und russische Oligarchen neidisch machen kann, ist noch immer nicht fertig. Die horrenden Kosten hat Røkke bisher steuerfrei als „Privatverbrauch“ aus seinen Unternehmen abziehen können. Genau wie die für das Fußballstadion mit 12 000 Plätzen, das er seiner Geburtsstadt Molde (23 000 Einwohner) geschenkt hat, desgleichen die sieben noblen Eigentumswohnungen als Abschiedsgeschenk an seine erste Frau vor dem Umzug nach Lugano. Und die Privatflugzeuge sowie raketenschnelle Motorboote, mit denen Røkke sein Adrenalin in Schwung gebracht hat. Biograf Torgeir Anda schrieb schon zu Beginn dieser Karriere: „Der Sieg ist ihm alles, egal in welcher Dimension. Er will Norwegens reichster Mann sein, der erfolgreichste Fischer und schnellste Rennbootfahrer der Welt, der eingeschworenste Antialkoholiker und der pompöseste Jachtbesitzer.“
Dass Norwegens Regierung die Besteuerung solch opulenter Privatentnahmen erwägt, sieht etwa die Zeitung „Bergens Tidende“ als psychologisch wichtigen Grund für Røkkes Abschied aus Oslo. Finanziell viel stärker ins Gewicht fallen würde der schon öffentlich angepeilte Verkauf der Mehrheitsbeteiligung an Aker mit derzeitigem Kurswert von 70 Milliarden Kronen. In der Schweiz wäre er steuerfrei, in Norwegen nicht.
Der Wert dieser Beteiligung hat sich seit dem Einstieg 2004 verzehnfacht. Bremsen ließ sich Røkke ein Jahr später auch nicht hinter Gittern, mit 120 Tagen Haft wegen aktiver Bestechung im Gepäck. Umgerechnet 11 000 Euro hatte er einem schwedischen Beamten unter der Hand zur Ausstellung eines Führerscheins für supergroße Boote angeboten.
Røkkes sagenhafter Aufstieg zu Norwegens reichstem Steuerzahler brachte ihm ausdrückliche Bewunderung aus Deutschland als „eine der interessantesten internationalen Unternehmerpersönlichkeiten“ ein. Der damals amtierende Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte bei einem Treffen mit Røkke in Oslo weiter: „Er ist nun wahrlich nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren und hat gezeigt, was man mit Intelligenz und Entschiedenheit erreichen kann.“
Fast zwei Jahrzehnte später ist nach den Sommerferien der aktuelle Kanzler Olaf Scholz als Bittsteller für zusätzliche Gaslieferungen zu einem erträglichen Preis in Norwegens Hauptstadt gereist. Sein Kollege Jonas Gahr Støre winkte bedauernd ab: Man sei schon am Limit, und die hohen Preise bestimme nun mal der Markt. Für Greenpeace-Sprecher Frode Pleym in Oslo besteht kein Zweifel, dass private Akteure wie Røkke und der Staat diese Rollenverteilung maximal ausnutzen: „Wir meinen, dass die Reaktion unserer Gas- und Ölindustrie wie auch die staatliche extrem durchtrieben und zynisch ist.“
Reglerne for dansk statsborgerskab er det rene vanvid

- 08/10/2022
Mit første folketingsvalg: Med Inger, men ikke med Mustafa og Faduma
Statsborgerskabsreglerne er designet til at formindske antallet af naturalisationer for enhver pris.
Thomas Borchert tysk korrespondent
Som nybagt dansk statsborger må jeg ved folketingsvalget om fire tirsdage for første gang afgive min stemme. Valgretten er den fornemste borgerrettighed og knytter også mig endnu tættere til dette mit andet hjemland. Alligevel er glæden behersket, de dystre globale rammer taget i betragtning. Mindst lige så kraftigt dæmpes glæden af en helt anden grund: Så mange, der har de samme forudsætninger som mig, nægtes meningsløst og uretfærdigt stemmeret.
Især rammer det unge, der er født og opvokset i Danmark – men som har udenlandske forældre. Hvis forældrene ikke i løbet af børnenes barndom har fået tilkendt statsborgerskab, venter der de unge næsten uoverstigelige hurdler. De må regne med, at der går 10 år, efter de er fyldt 18, før de for første gang kan deltage i et folketingsvalg.
Denne slags vanvid har gjort mig til medstifter og nu aktivt medlem i foreningen Fair Statsborgerskab. Vi hjælper ansøgere og slås for fornuftigere, mere humane regler.
»Hvilken berigelse for vores land!« tænkte jeg for nylig ved et møde, hvor flere skarpt tænkende, velformulerede og livsglade unge kvinder med mørkt hår eller med tørklæde på klokkerent københavnsk berettede om kampen med statsborgerskabsreglerne: Hvordan i alverden skal man i starten af 20’erne kunne dokumentere tre et halvt års fuldtidsbeskæftigelse inden for de seneste fire år? Det er, hvad der forlanges af dem.
En 18-årig nybagt student fortalte, at hendes mor, som ikke selv havde magtet at få statsborgerskab, nu skulle skrabe lidt over 30.000 kr. sammen. Hvilket er den samlede pris for diverse gebyrer, hvis hendes tre døtre skulle kunne få først permanent opholdstilladelse, dernæst statsborgerskab. Næsten umuligt, sagde den unge kvinde, der nu begynder at læse sociologi. Sådan må det simpelthen ikke være: at stemmeretten som for 150 år siden kun er opnåelig for dem, der har penge.
På samme tid kunne man læse om, hvordan LA-formanden Alex Vanopslagh, politisk leder for Liberal Alliance, havde fået sig en gratis folketingslejlighed og ovenikøbet havde reddet sig et skattefrit tillæg på årligt 30.000 kr. for dobbelt husførelse. At han til formålet mere end én gang havde underskrevet et folketingsdokument og givet falske oplysninger om egne forhold, forklarede han således: »Jeg har underskrevet en erklæring om at overholde nogle regler, men jeg har ikke læst reglerne.«
Manden skal være glad for, at han ikke har at gøre med Udlændinge- og Integrationsministeriets indfødsretskontor. At ikke have læst reglerne som undskyldning? Glem det. Statsborgerskabsansøgere er blevet meldt til politiet for svig, fordi der manglede en oplysning om en simpel trafikbøde fra en fjern fortid. ”Fortielsen“ kan desuden føre til en udelukkelse fra statsborgerskab.
Denne slags vanvid har gjort mig til medstifter og nu aktivt medlem i foreningen Fair Statsborgerskab. Vi hjælper ansøgere og slås for fornuftigere, mere humane regler. Her har jeg mødt en hel del lovlydige borgere, som har ét eneste, men til gengæld afgørende handicap. En hvilken som helst dom med fængselsstraf, betinget eller ubetinget, hvor eviglangt tilbage i tiden den end ligger, og hvor mild den end har været, udelukker dem fra statsborgerskab for livstid.
Det kan handle om et dankorttyveri begået som teenager eller nogle truende sms-beskeder til en anden. Det hjælper ikke, at straffen for længst er udstået og slettet af Strafregisteret. Og heller ikke, at man både i ord og ved pletfri livsførelse gennem 20, 30, 40 år har angret denne ene fejl.
Gennem Fair Statsborgerskab har jeg fulgt med i, hvordan de allerfleste ansøgninger om dispensation er blevet afvist af politikere i Folketingets indfødsretsudvalg. Bag afvisningerne står de samme partier, socialdemokraterne inklusive, som ikke har spor imod, at Inger Støjberg mindre end et år efter rigsretsdommen på 60 dages ubetinget fængsel kommer tilbage til Folketinget. I givet fald naturligvis eventuelt også som minister, selv om hun ikke på nogen måde har fortrudt sit bevidste brud på ministeransvarlighedsloven. Statsministerkandidat Søren Pape Poulsens begrundelse for blåstemplingen kan de til andenrangsborgere på livstid degraderede ansøgere om statsborgerskab kun drømme om: »Vi har det sådan i Danmark, at når man har udstået sin straf, så har man betalt sin gæld til samfundet.«
I en retsstat skal det samme gælde for Faduma og Mustafa som for en Inger. Det gør det absolut ikke. Statsborgerskabsreglerne er designet til at formindske antallet af naturalisationer for enhver pris. At det lykkes, viser den stadig stigende andel af mennesker uden stemmeret i Danmark, mere end 10 pct. af den voksne befolkning. En fare for demokratiets forankring, en skamplet for retsstaten og en skrigende uretfærdighed.
Thomas Borchert, (f. 1952) tysk-dansk korrespondent, bosat i København og Berlin, er en del af Jyllands-Postens weekendpanel, hvor syv personer hver uge på skift skriver en kronik. Han skriver for Frankfurter Rundschau og har skrevet en bog med titlen ”Gebrauchsanweisung für Dänemark”. Som udenrigskorrespondent skriver han om Danmark og de andre nordiske lande.
Über den Friedensnobelpreis 2022

Friedensnobelpreis: Düstere Tonlage in Oslo
Erstellt: 07.10.2022, 17:10 Uhr
Von: Thomas Borchert
Der Ukraine-Krieg hat das Nobelkomitee bei der Auswahl geleitet. Dennoch erwähnt die Jury ihn nur indirekt.
Was das Verbindende ist, wenn der Friedensnobelpreis an Empfänger:innen in der Ukraine, Belarus und Russland geht, wurde die Komiteevorsitzende Berit Reiss-Andersen bei der Bekanntgabe im Osloer Nobel-Institut gefragt. „Wir wollen die positiven Werte in allen drei Ländern herausheben: Antimilitarismus, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit“, so die Juristin, um dann genauer zu sortieren: Mit dem inhaftierten Ales Bjaljazki in Belarus und der in Russland verbotenen Organisation Memorial würden von „autoritären Regimes“ verfolgte Menschenrechtler:innen ausgezeichnet, mit dem Center for Civil Liberties (CCL) in der Ukraine eine Institution in einer „noch nicht voll entwickelten Demokratie“.
Klar war, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine den entscheidenden Impuls für die Auswahl durch das norwegische Komitee geliefert hat, die wirklich niemanden überraschen kann. Reiss-Andersen erklärte, die Entscheidung sei gefallen „in einer höchst ungewöhnlichen Kriegssituation in Europa, die globale Auswirkungen auf alle Menschen“ habe, durch Nahrungsmittelknappheit und drohenden Einsatz von Atombomben. Nichts deute darauf hin, dass sich „daran in absehbarer Zeit etwas ändert“.

Auf die sarkastische Frage einer Reporterin, ob die Preisvergabe ein „Geschenk“ zum 70. Geburtstag des russischen Präsidenten Putin sei, der auf den gleichen Tag fiel, verwies sie seltsamerweise mit keinem Wort auf dessen Rolle als Verantwortlichen für einen Angriffskrieg. Stattdessen: „Dieser Preis adressiert in keiner Weise Präsident Putin. Abgesehen davon, dass seine Regierung genau wie die in Belarus Menschenrechtler unterdrückt.“
„Diktatur gefährdet Frieden“
Direkt zum Überfall auf die Ukraine und zum Krieg heißt es auch in der schriftlichen Begründung nur: „Wenn die Zivilgesellschaft weichen muss zugunsten von Autokratie und Diktatur, ist der Frieden oft das nächste Opfer.“ Umso stärker und gleich mehrfach betont die Jury beim wohl vornehmsten Preis der Welt das Engagement Einzelner für die Menschenrechte – auch als Vorbeugung von Krieg. Der in Belarus wieder einmal und ohne Gerichtsverfahren eingekerkerte Preisträger Bjaljazki sei „wirklich ein Held“, sagte Reiss-Andersen, weil er in politisch aussichtsloser Lage mit dem öffentlichen Eintreten für Menschenrechte persönlich „alles riskiert“ habe.

Zur ungewöhnlich düsteren Tonlage in Norwegens Hauptstadt gehörte das Eingeständnis des Komitees, dass der Nobelpreis die Repression gegen Bjaljazki vielleicht noch schlimmer machen kann. „Das ist eine Gefahr, der wir uns bewusst sind,“ sagte Reiss-Andersen und bezog das auch auf die noch in Russland aktiven Menschenrechtler:innen der 2021 verbotenen Organisation Memorial. 2021 hatte mit dem Journalisten Dmitri Muratow (zusammen mit Maria Ressa von den Philippinen) ebenfalls ein Russe den Friedensnobelpreis bekommen. Hier stand die Verteidigung der Meinungsfreiheit im Zentrum.
Kritik an der Auswahl kam nicht nur aus Belarus, sondern auch aus Kiew. Der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Mychajlo Podoljak, rügte auf Twitter, dass den Preis „Vertreter zweier Länder erhalten, die ein drittes überfallen haben“. Dabei seien weder russische noch belarussische Organisationen fähig gewesen, Widerstand gegen diesen Krieg zu organisieren. Die russische Armee nutzt für ihren Angriffskrieg auch belarussische Flugplätze und Kasernen. mit dpa
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Über die Alternativen Nobelpreise 2022

Alternativer Nobelpreis ehrt weltweit Kampf um Menschenrechte
Erstellt: 29.09.2022
Von: Thomas Borchert

In der Ukraine, Somalia, Uganda und Venezuela werden Initiativen ausgezeichnet, die für Demokratie, Recht und Umweltschutz streiten.
Es soll ein Mutmacher angesichts der Flut düsterer Krisen sein: Der Alternative Nobelpreis geht an drei Frauen aus Somalia und der Ukraine sowie an Initiativen in Venezuela und Uganda für „erfolgreiche neue Modelle für ein gesellschaftliches Miteinander“. Die Preisträger:innen hätten gezeigt, so die Stockholmer Stiftung Right Livelihood Award, dass „in Zeiten dysfunktionaler und zerfallender Ordnungen ein Systemwandel möglich und nötig ist“.

Die ausgezeichneten Aktivitäten reichen von der Verteidigung der Menschenrechte über Klimagerechtigkeit, Entmilitarisierung, Verfolgung von Kriegsverbrechen bis zum Einsatz für gerechtere Wirtschaftsmodelle und der Verhinderung geschlechtsspezifischer Gewalt. Stiftungsdirektor Ole von Uexküll kommentiert: „Angesichts des Versagens von Regierungen und des Zusammenbruchs bestehender Ordnungen schaffen sie neue, auf den Menschen ausgerichtete Systeme.“
Ukraine

Erstmals geht der 1980 gestiftete „Right Livelihood Award“ mit der Juristin Oleksandra Matwijtschuk in die Ukraine. Die 38-Jährige arbeitet als Vorsitzende des parallel ausgezeichneten Zentrums für bürgerliche Freiheiten (CCL) für die Durchsetzung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihrem Land. Auch ist sie bei der Dokumentation von Menschenrechts- und Kriegsverbrechen aktiv.
Nach der CCL-Gründung 2007 ging es zunächst um Menschenrechte und Demokratie in der von Korruption und autoritären Strukturen geprägten Ukraine. 2013 wurde das Zentrum bekannt durch Rechtshilfe nach der gewaltsamen Niederschlagung der Euromaidan-Proteste. Nach der russischen Krim-Invasion und den Kämpfen im Donbass 2014 begann CCL sofort vor Ort, politische Gefangene zu ermitteln.
Diese Aktivitäten sind seit dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 in allen besetzten Gebieten intensiviert. Zugleich beharren Matwijtschuk und CCL auf ihren Forderungen an die ukrainische Regierung nach demokratischen Strukturen und zur Verpflichtung auf global geltende Menschenrechtsregeln. Dazu gehört die von Präsident Wolodymyr Selenskyj 2019 versprochene, aber weiter ausstehende Anerkennung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag.

Somalia
Die 53-jährige Somalierin Fartuun Adan und ihre 19 Jahre jüngere Tochter Ilwad Elman erhalten den Alternativen Nobelpreis als „Menschenrechtsverteidigerinnen, die gemeindenahe Projekte zur Friedenskonsolidierung leiten und damit marginalisierten Gruppen lebensrettende Unterstützung bieten“. Mit ihrer Organisation Elman Peace arbeiten sie für die Resozialisierung ehemaliger Kindersoldat:innen und bieten Frauen und Jugendlichen Berufsbildung. Sie setzen damit auch die Arbeit des 1996 ermordeten Ehemanns und Vaters Elman Ali Ahmed fort.
Als Erfolg von Elman Peace hebt die Stockholmer Stiftung die Ausweitung durch das Netzwerk Peace by Africa mit mehr als 60 Organisationen auf dem Kontinent heraus. Fartuun Adan musste nach der Ermordung ihres Mannes mit der kleinen Tochter nach Kanada fliehen. 2006 kehrte sie zurück, 2010 folgte die Tochter. In dem von Bürgerkrieg und Terror schwer heimgesuchten Somalia haben beide auch ein Netzwerk von Krisenzentren für Überlebende von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt aufgebaut.

Venezuela
Die Organisation wird als „Leuchtturminitiative“ ausgezeichnet „für alle, die nach alternativen ökonomischen Ansätzen suchen“. So begründet die Stiftung den Preis für das Netzwerk Cecosesola in Venezuela. Es organisiert die Produktion und Verteilung von erschwinglichen Waren und Dienstleistungen für mehr als 100 000 Familien in dem südamerikanischen Land.

Uganda
Das in Ugandas Hauptstadt Kampala ansässige „Africa Institute for Energy Governance“ (Afiego) setzt sich für die Rechte Betroffener von umweltschädlichen Energieprojekten ein. Hintergrund sind Ölvorkommen in Uganda, die zu Landraub, Vertreibung und Zerstörung geführt haben. Afiego-Geschäftsführer Dickens Kamugisha sagt zum Alternativen Nobelpreis: „Wenn die Regierung weiß, dass es auf der ganzen Welt Menschen gibt, die unsere Arbeit für richtig halten, überlegt sie es sich zwei Mal, ob sie uns oder unsere Gemeinschaften angreift.“
Die vier Preise sind mit je einer Million Kronen (91 000 Euro) dotiert und werden am 30. November in Stockholm überreicht. Zu den bisher Ausgezeichneten gehören auch der kongolesische Menschenrechtler und spätere Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege und die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg.
Royale Identitätspolitik in Kopenhagen

Nur noch „Ihre Exzellenz“?
30.09.2022
Von: Thomas Borchert

Nachdem Dänemarks Königin ihren Enkelkindern die Adelstitel entzogen hat, hängt der Haussegen ziemlich schief
Auch Royals können unangenehm werden, wenn es um die Identität geht. Der dänische Prinz Joachim (53) geht jetzt frontal auf die eigene Mutter, Königin Margrethe (82), los, weil diese seinen vier Kindern die Titel Prinz oder Prinzessin aberkennt. Ab dem 1. Januar dürfen sich Nikolai, Felix, Henrik und Athena (23 bis zehn Jahre alt) nur noch „Graf/Gräfin von Monpezat“ nennen und müssen nur noch mit „Ihre Exzellenz“ statt „Ihre Hoheit“ angesprochen werden.
„Abstrafung“ nennt das der mit der französischen Ehefrau Marie in Paris lebende Joachim. Den Tränen nahe erklärte er vor laufender Kamera, dass der Kopenhagener Hof ihm vor der Veröffentlichung ganze fünf Tage eingeräumt habe, um den Opfern die Neuigkeit schonend beizubringen. „Meine Kinder wissen jetzt nicht, auf welchem Bein sie stehen sollen. Woran sollen sie glauben? Warum nimmt man ihnen die Identität?“
Auf die Frage, ob das Verhältnis zur Mutter nun gestört sei, setzte beim jüngeren Bruder von Kronprinz Frederik (55) Schnappatmung ein, ehe er zu einer Antwort fähig war: „Das muss ich hier wohl nicht ausbreiten.“ Margrethe erklärt die Veränderungen mit Fürsorge für ihre Enkelinnen und Enkel eher gelassen: Ohne die Last der Titel werde es leichter, eine eigene Existenz aufzubauen.

Die schon als Models aktiven Prinzen Nikolai und Felix haben wohl eher die Erfahrung gemacht, dass der im kommenden Jahr wegfallende Titel hilfreich ist. „Die Kampagnenfotos für unsere neue Kollektion sind vor einem historischen Kopenhagener Palais geschossen. Den neuen Schmuck trägt hier Prinz Felix von Dänemark“, heißt es in einer Reklame für eine Reklame.
Das klingt eindeutig besser für dieses Geschäft als „… trägt hier Graf Felix von Monpezat“. Vielleicht schimpft auch deshalb die leibliche Mutter der Herabgestuften genauso ungehemmt öffentlich wie der Vater. Alexandra, seit ihrer Scheidung von Prinz Joachim selbst auch nicht mehr Prinzessin, sondern nur noch „Gräfin von Frederiksborg“, wirft dem Hof Lüge vor. Zu dessen kühler Feststellung, die Veränderung der Titel sei seit Mai abgesprochen, sagte sie im Boulevardblatt „B. T.“: „Sie ist für uns ein Blitz aus heiterem Himmel.“ Die Kinder fühlten sich ausgestoßen.
Eigentlich sei verabredet gewesen, dass alle vier ihre Titel jeweils bis zum 25. Geburtstag behalten dürfen, erklären die Eltern. Besonders für Prinzessin Athena sei die nun aus ungeklärter Ursache kräftig vorverlegte Degradierung schlimm, legt Prinz Joachim in bewegter Tonlage dar: „Athena wird im Januar erst elf!“ Es sei „alles andere als lustig, wenn die eigenen Kinder so traurig gemacht werden“.
Beim Kampf um die Sympathie in der dänischen Öffentlichkeit hat der Prinz wohl eher schlechte Karten gegenüber seiner nach 50 Thronjahren enorm populären Mutter. Margrethe überstand auch vollkommen unbeschadet bizarre öffentliche Klagen ihres 2018 gestorbenen Ehemannes Prinz Henrik über den ihm vorenthaltenen Königstitel und die für ihn als Mann unzumutbare Rolle als Nummer zwei am Hof.
Sein angeborener Name Henri Marie Jean André de Laborde de Monpezat (aus dem niederen französischen Adel) steht nun Pate bei den neuen Titeln für Joachims Kinder. Vielleicht finden sie Trost in dem Namen, den die Satireredaktion „ATS“ der Zeitung „Politiken“ mal für einen angeheirateten gräflichen Neffen von Königin Margrethe aus der deutschen Familie von Pfeil und Klein-Ellguth ausgedacht hat: „Graf Jefferson Airplane Friedrich der Grosse Graf Zeppelin von Pfeilfarbe zur Lufthansa und Kein Gutes.“

