Month: August 2015

Buchempfehlung: Trojanows hochpolitischer Roman “Macht und Widerstand”

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u1_978-3-10-002463-3Beim Lesen von Ilija Trojanows “Macht und Widerstand” hab ich manchmal an Nabokov gedacht und oft an Peter Weiss und Herta Müller. Wie Weiss in “Ästhetik des Widerstands” und Müller in “Atemschaukel” verbindet Trojanow in seinem Roman einen hohen politischen und moralischen Anspruch auf der Ebene von “Zeugnis ablegen” mit Erzählkunst. Wie Nabokov kann er in mehreren Sprachen schreiben. Ersteres notwendig, letzteres bewundernswert.

Hier der Text meiner Besprechung für dpa, online übernommen von “Focus”:

Ilija Trojanows Großroman „Macht und Widerstand“

Dienstag, 25.08.2015, 13:06

Ilija Trojanow, Geburtsland, Zeitzeugnis, Umschlag, Opus Magnum, Aufrichtigkeit, Sofia, United States Intelligence Community, Arglist, Dreistheit, Buchpreis, Demütigung, Opportunismus, Scharfrichter, Gesellschaftsform, Exklusion, Bequemlichkeit, Kräfteverhältnis, Egoismus, NSA

 Ilija Trojanow blickt tief ins Herz der Tyrannei.
Konstantin leistet 50 Jahre Widerstand, Metodi übt 50 Jahre Macht aus. Der eine unbeirrbar, der andere niederträchtig. Ilija Trojanow hat aus seinem Geburtsland ein großes Buch über den ewigen Kampf zwischen „Macht und Widerstand“ geschrieben.

Ein Roman, wie auf dem Umschlag steht, oder doch eher politisches Zeitzeugnis und Erinnerungsbuch? Ilija Trojanow hat „Macht und Widerstand“ mit sympathischer Aufrichtigkeit als „mein Opus Magnum“ angekündigt. 15 Jahre sammelte er in seinem Geburtsland Bulgarien „eine ganze Wand voll“ Stasi-Akten früher Verfolgter. Daraus hat er die Geschichten des lebenslang aufrecht Widerstand leistenden Konstantin und des lebenslang grausam, zynisch und korrupt im Unterdrückungsapparat arbeitenden Karrieristen Metodi gemacht.

Trojanow (50) lässt beide abwechselnd ihren Weg ab den 50er Jahren bis zur Nachwende-Zeit in Sofia erzählen. Ihre Wege kreuzen sich immer mal wieder. Am Anfang stehen Todesurteile und Folter in Kellern für respektlosen Umgang mit Stalin-Denkmälern. Am Ende die erfolgreiche Dreistigkeit der vormaligen Henker und Folterer bei der Vertuschung von Verbrechen und der neuerlichen Ausgrenzung und Demütigung der Opfer.

Das Buch, auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis nominiert, ist eine fantastische und notwendige Erinnerung daran, wie entscheidend für jede Gesellschaftsform das Kräfteverhältnis zwischen Bequemlichkeit, Opportunismus, Egoismus bis hin zu Niedertracht einerseits und „Widerstand gegen den Geist der Macht“ andererseits ist. Nicht nur einmal denkt man bei der Lektüre an die eigene, freiwillige Unterwerfung unter allerlei seltsame Facebook-Regeln und Trojanows publizistisches Engagement gegen viel monumentalere Überwachungspraktiken unserer durchdigitalisierten Tage. Wie lächerlich wirken im Vergleich zum US-Geheimdienst NSA die im Buch munter beschriebenen Anstrengungen der bulgarischen Stasi, eine Wohnung unentdeckt zu „verwanzen“. Man musste halbe Stadtteile mit gigantischem Aufwand weglocken. Heute reichen zwei Klicks.

Trojanow (50) erzählt eine drängend wichtige, erschütternde Geschichte unsentimental und geradeaus. Illustrierend auch sein Versuch, den jeweiligen „Zeitgeist“ in Bulgarien mit Jahreszahl-Porträts einzufangen. Was war hier 1957 gesellschaftlich angesagt und was 2012?

Leseerwartungen an einen Roman allerdings werden über die fast 500 Seiten nicht immer erfüllt. Alle Personen bis auf den Mann aus dem Widerstand und das Gegenmodell bleiben blass, auch Konstantins verständnisvolle Gefährtin Dora und eine aus dem Nichts mit drängenden Forderungen auftauchende Seitensprung-Tochter des Parteibonzen Metodi. Beim Wechsel zwischen wörtlich wiedergegebenen Stasi-Dokumenten und erfundenen Passagen hätte man sich vielleicht eine klarere „Warendeklaration“ gewünscht. Aber was macht es am Ende, ob ein Roman oder ein Zeitzeugnis versteinerte Herzen in einer versteinerten Gesellschaft in Bewegung bringen kann?

Ilija Trojanow. Macht und Widerstand, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 479 Seiten, 24,99 Euro, ISBN 978-3-10-002463-3

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In der Frankfurter Rundschau: Island-Rundreise 7 Jahre nach dem Bankenkollaps

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Die Frankfurter Rundschau bringt meine Eindrücke aus dem phantastischen Island: Wie sieht es sieben Jahre nach dem Banken-Kollaps aus?  Eine Woche hab ich die Insel zusammen mit Tochter Anne einmal umfahren. Hier ist der Text:

Finanzkrise:

Von Freibeutern zu Piraten

 Von Thomas Borchert

Das Staatsschiff nur noch als Gerippe? Auf die Idee konnte man kommen beim Anblick der „Solfar“-Skulptur 2008 am Hafen von Reykjavik.  Foto: rtr

Island hat schon durchgemacht, was Griechenland jetzt bevorsteht.

 Die Menschen in Island fühlen mit der griechischen Nation und wünschen ihr alles Gute,“, twitterte Regierungschef Sigmundur David Gunnlaugsson zum Auftakt der Sommerferien fast pietätvoll nach Athen.
Wohl in dem Gefühl, dass Genesungswünsche an Schwerkranke besser klingen, wenn man diskret eigene Leidenserfahrung andeutet. Und still bei sich denken kann: Wie gut, dass wir aus dem Schlamassel raus sind. Seinen Landsleuten hat der Ministerpräsident sieben Jahre nach dem heimischen Bankenkollaps mit einem fünf mal so hohen Schuldenberg pro Kopf wie dem griechischen die Aufhebung der Kapitalausfuhrbeschränkungen als „letzten Schritt nach der Finanzkrise“ vor Ende dieses Jahres angekündigt.

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Schwedens Flüchtlingspolitik schwer unter Druck: Zum Doppelmord bei Ikea

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“Schweden droht Rechtsruck” und alternativ “Schwedens Herz für Flüchtlinge droht zu zerbrechen” hat die Frankfurter Rundschau meinen Artikel zu einem Doppelmord bei Ikea mit enormen politischen Auswirkungen überschrieben:

Flüchtlinge Schweden droht Rechtsruck

 Von Thomas Borchert

Ein abgewiesener Asylbewerber tötet bei Ikea zwei Menschen.  Foto: AFP

Der Doppelmord eines abgewiesenen Flüchtlings könnte weitreichende Konsequenzen für die liberale schwedische Flüchtlingspolitik haben. Empörte Bürger fordern von Medien und Politikern, mit der „Tabuisierung“ oder dem „Schönreden“ der Zuwanderungsprobleme aufzuhören. Read the rest of this entry »