In der Frankfurter Rundschau: Island-Rundreise 7 Jahre nach dem Bankenkollaps
Die Frankfurter Rundschau bringt meine Eindrücke aus dem phantastischen Island: Wie sieht es sieben Jahre nach dem Banken-Kollaps aus? Eine Woche hab ich die Insel zusammen mit Tochter Anne einmal umfahren. Hier ist der Text:
Finanzkrise:
Von Freibeutern zu Piraten
Von Thomas Borchert
Dann habe Island endgültig „wieder ein festes Fundament“ frohlockte Gunnlaugsson in der „Financial Times“ und lobte bei CNN die eigene Leistung mit „teilweise sehr unorthodoxen Maßnahmen“. Lob kommt regelmäßig auch vom Internationalen Währungsfonds (IWF), dessen Sofortkredite gegen harte Sparauflagen das Land im September 2008 vor dem Zusammenbruch nach komplett größenwahnsinnigen Kreditabenteuern der drei führenden Banken retteten.
Die Zufriedenheit in der kleinen Regierungskanzlei in Reykjavik und beim großen IWF in Washington ist nachvollziehbar. Eine Statistik nach der anderen bescheinigt den 320 000 Isländern hohe Wachstumsraten mit boomendem Tourismus und satten Fischereiexporten, einer Arbeitslosenquote unter fünf Prozent, beschleunigter Schuldenrückzahlung und wachsender Kauf- wie Kreditbereitschaft im Volk. Zehn Prozent plus beim Privatkonsum in diesem Jahr – ein Traum auch für die wiederauferstandenen Pleitebanken. Aus Kaupthing wurde Arion und aus Glitnir Islandsbanki. Die Landsbanki musste ihren alten Namen wegen besonders vertrackter Altschulden behalten und bleibt weiter verstaatlicht.
Es scheint zu funktionieren. „Die Banken wollen dich längst wieder mit Haut und Haar besitzen“, kommentiert Árnor Fjølnisson, wie leicht es inzwischen geworden ist, als Privatperson und Kleinunternehmer Kredite aufzunehmen. Das „Hali Guesthouse“ seiner Familie hat eine fantastische Lage mit dem unwirklich schönen Gletschersee Jökulsárlón nebenan und dem Atlantik vor der Haustür; im Winter – wenn alles gut geht – glitzern Nordlichter am Himmel. Die Belegungsquote über das ganze Jahr liegt bei 90 Prozent.
Der Tourismus insgesamt ist im Krisengefolge fast so kräftig explodiert wie 2010 der weltweit berühmt-berüchtigt gewordene Vulkan Eyjafjallajökull. Ausländische Fleecejacken-Enthusiasten haben das Straßenbild der Hauptstadt fest in der Hand. Island ist für alle anderen viel billiger geworden, seit der Banken-Crash die Währung dauerhaft um gut ein Drittel in den Keller befördert hat.
Auch die Inselumquerung auf der 1300 km langen Ringstraße A1 zeigt allerorten die Konsequenzen des Touristenbooms. Es hat seinen Charme, dass ausgerechnet eine örtliche Bank im kleinen Eskifjördur an der Ostküste zur Hotelanlage umfunktioniert ist. Südlich von Akureyri logieren deutsche Pferde-Enthusiasten im Kidagil-Guesthouse zu Bardardalur, wo noch vor ein paar Jahren isländische Kinder lesen und schreiben lernten.
Der Staat hat nach dem Bankenkollaps den Bildungapparat drastisch zusammengestrichen, ebenso das Gesundheitswesen. „Aber wir haben es intelligent gemacht und damit den Kern unseres Wohlfahrtsstaates bewahrt“, wendet Ex-Finanzminister Steingrímur Sigfússon ein. Er kommt wie sein später aus ähnlichem Anlass berühmt gewordener Athener Kollege Yanis Varoufakis aus der Linken. Im Gegensatz zu dem als „böser Bube“ in die Mangel genommenen Griechen erntete Sigfússon im Ausland ziemlich einhelliges Lob für sein Finanzkrisen-Management. „Auf den IWF-Fluren in Washington fragten sie halb im Spaß, ob ich nicht ein halbes Jahr für sie nach Athen gehen will,“ erzählt er entspannt.
Man habe im Gegensatz zu griechischen Regierungen „die Probleme sofort beim Schopf gepackt und nichts aufgeschoben“. Anerkennend registrierten auch Neoliberale, dass die Mittelinks-Regierung der Sozialdemokratin Jóhanna Sigurdardóttir nicht einfach „sozialen Kahlschlag“ durchzog. Sie blockierte die komplette Abwälzung der gigantischen Bankschulden auf den Staat und das totale Ausbluten der heimischen Zwerg-Währung durch Kapitalausfuhrsperren. Als die Bevölkerung gleich bei zwei Referenden die kollektive Haftung für ein groteskes Auslandsabenteuer der Landsbanki namens „Icesave“ zurückwies, handelte die Regierung tapfer bessere Bedingungen aus. Islands Justiz hat mehr als ein Dutzend Banker für jeweils bis zu fünf Jahren hinter Gitter gebracht.
Trotz aller Erfolge muss sich Sigfússon inzwischen wieder mit einem simplen Abgeordnetenbüro im „Althing“ begnügen. Nachdem zunächst bei Dauer-Demos vor dem Parlament, runden Tischen allerorten und der verblüffend basisdemokratischen Ausarbeitung einer neuen Verfassung Umbruchstimmung im kühlen Reykjavik aufgeblüht war, wählten die Isländer 2013 wieder die alten Rechtskräfte an die Macht.
Gunnlaugssons Fortschrittspartei lockte im Wahlkampf populistisch mit dem Versprechen, Privathaushalten durch Schuldenschnitte zu helfen. Sie gewann und regiert mit den Konservativen, der treibenden Kraft hinter der fast grenzenlosen Liberalisierung des Banksektors. „Die Leute, die dem Land die Krise eingebrockt haben, sind genauso wieder an der Macht wie damals“, sagt Ingólfur Ingolfsson.
Er hat viele Jahre eine Beratungsfirma mit dem programmatischen, aber eben zu lange ungehört gebliebenen Namen „Spara“ betrieben. Jetzt versucht Ingolfsson gegen harten bürokratischen Widerstand, eine Sparkasse mit nachhaltigen Geschäftsprinzipien auf die Beine zu stellen: „Der Bedarf ist riesig, weil die Leute sehen, dass unsere neuen Großbanken mit ihren Kunden genau denselben Mist machen wie die kaputten alten.“
Dabei müssen „die Leute“ auch der Erkenntnis ins Auge blicken, dass sie ihren Politikern und Bankberatern gutgläubig ins Schuldenelend gefolgt sind. Riskante Immobilien- und Konsumkredite in Fremdwährungen rächten sich mit dem Absturz der Krone ebenso unbarmherzig wie die hier übliche Koppelung von Krediten an den Verbraucherpreisindex. „Wir haben zehn Jahre brav abgestottert, aber unsere Schulden sind heute höher als zu Anfang“, lautet das wenig frohe Fazit der mit Familie nach Dänemark umgezogenen Ärztin Hildur Thórarinsdóttir.
Kurz nach dem Bankenkollaps gab Ingolfsson einen Satz zu Protokoll, den man nicht so leicht vergisst: „Was wird passieren, wenn die Mittelklasse begreift, dass sie zeit Lebens mit negativem Eigenkapital leben muss?“ Sieben Jahre später hat die Frage in Island nichts von ihrer Brisanz eingebüßt.
Nach Umfragen ist die Piratenpartei mit sensationellen 30 bis 35 Prozent die klar stärkste Kraft im Land und Gunnlaugssons Partei schnell wieder abgestürzt. Parteichefin Birgitta Jónsdóttir, bekannt auch als Wikileaks-Aktivistin überrascht das nicht: „Viele Menschen sehen die Ersparnisse verschwinden, haben ihre Häuser verloren. Sie können vom kaputtgesparten Gesundheitswesen nicht mehr ordentlich behandelt werden.“ Die grundlegenden Fehler seien unverändert und „das Grundvertrauen in das System erschüttert: „Die Leute sehen, dass die Regierung nach der Krise nur denen hilft, die eigentlich keine Hilfe brauchen.“