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Wahlvorschau Finnland

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Finnland wählt – und Sanna Marin muss bangen

Erstellt: 30.03.2023

Von: Thomas Borchert

Die 37-jährige Ministerpräsidentin von Finnland holt kurz vor der Wahl auf. Doch ihre Mitte-Links-Koalition steht am Sonntag vor einer Wahlschlappe. Konservative Kräfte sind auf dem Vormarsch.

Sanna Marin kann sich eigentlich nicht über mangelnde Hilfe für ihre Wiederwahl als Finnlands Regierungschefin beklagen. Eine Woche vor den Reichstagswahlen an diesem Sonntag hatte der „World Happiness Report“ den 5,5 Millionen Menschen hoch im Norden wieder attestiert, sie seien das „glücklichste Volk der Welt“. Und nach Ungarn war am Donnerstag auch die Zustimmung der Türkei als letztes der 30 Nato-Mitglieder zur Aufnahme Finnlands in die Militärallianz erwartet worden. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe lag noch kein Ergebnis vor. Nachbar Schweden muss derweil weiter warten. Anfang März hatte bereits der heimische Reichstag der 37 Jahre jungen Marin den von ihr betriebenen Nato-Beitritt mit dem Ergebnis 184 gegen sieben Stimmen abgesegnet – rechtzeitig zum Wahlkampfauftakt.

In der Bevölkerung ist dieser Schritt zudem als Reaktion auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine ebenfalls breit verankert. 1340 Kilometer eigene Landgrenze mit dem Aggressor Russland wiegen schwer.

Wahl in Finnland: Konservative Kräfte auf dem Vormarsch

Doch trotz auch persönlich hoher Zustimmungswerte muss Marin aber beim Wahlgang am Sonntag die Ablösung durch den konservativen Herausforderer Petteri Orpo (53) fürchten. Dessen Sammlungspartei liegt in den Umfragen konstant vorne, und auch die nationalistische Rechtsaußenpartei „Wahre Finnen“ (WF) mit der 45-jährigen Riikka Purra an der Spitze könnte sich noch vor Marins Sozialdemokraten schieben. Alle drei Parteien liegen mit je knapp 20 Prozent eng beieinander, wobei Marin im Endspurt zulegt.

Die TV-Debatten lassen beim besten Willen nicht den Eindruck aufkommen, dass die beiden Spitzenkandidatinnen und der Konservative sich an ein irgendwie überdurchschnittlich glückliches Wahlvolk wenden. Umgekehrt spielt der unmittelbar bevorstehende Beitritt zur Nato und die daraus folgende Konfrontation mit dem übermächtigen Nachbarn im Osten im Wahlkampf auch keine Rolle.

Finnland wählt: Der Konservative Orpo könnte mit den „Wahren Finnen“ koalieren

Stattdessen wird äußerst zivilisiert gestritten über Topthemen von doch weniger existenzieller Bedeutung: Sollen Klassenobergrenzen in Finnlands Grundschulen eingeführt werden? Wie kräftig und wo muss der Staat sparen, um das durch Corona und gestiegene Rüstungsausgaben vergrößerte Haushaltsdefizit einzudämmen? Wie ist dem drastisch steigenden Mangel an Arbeitskraft beizukommen?

Meinungsunterschiede sind im politischen Spektrum von den „Wahren Finnen“ ganz rechts bis zur derzeit mitregierenden Linkspartei oft nur schwer auszumachen. Dazu passt, dass praktisch alle Parteien traditionell zur Zusammenarbeit miteinander bereit sind. Entscheidend ist erst mal, wer bei der Stimmenauszählung die Nase vorn und damit Anspruch auf das Spitzenamt in der Regierung hat.

Der Konservative und glühende EU-Anhänger Orpo könnte mit den „Wahren Finnen“ koalieren. Mit kleineren Parteien im Bunde hätte dies eine Rechtsregierung zur Folge als Ablösung für Marins Mitte-Links-Koalition. Aber auch eine Zusammenarbeit der Sozialdemokratie mit Orpos Sammlungspartei gilt als nicht unwahrscheinlicher Wahlausgang.

Norwegen streitet über Windparks contra Rentierzucht

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Greta Thunberg über Windpark in Norwegen: „Dies ist ein klarer Fall von grünem Kolonialismus“

Erstellt: 22.03.2023

Von: Thomas Borchert

Die Samen protestieren gegen einen norwegischen Windpark – mit prominenter Unterstützung.

Was kompromissloser Protest ausrichten kann: Junge Angehörige der samischen Urbevölkerung in Norwegen haben die Regierung mit Blockadeaktionen gegen Osloer Ministerien beim Streit um Windparks auf Weideflächen für die Rentiere der Samen in die Knie gezwungen. Jedenfalls, was Worte angeht. Dabei hatte die Staatsmacht erst Beteiligte an den Besetzungsaktionen einfach reihenweise festnehmen lassen. Zusammen mit den Samen und Aktiven des Jugend-Umweltverbands ließ sich auch die aus Stockholm gekommene Greta Thunberg Anfang des Monats von zwei Polizistinnen aus der Lobby des Öl- und Energieministeriums wegtragen.

Ihren Protest ausgerechnet gegen Windkraft erklärte sie so: „Dies ist ein klarer Fall von grünem Kolonialismus, indem man vorgibt, den Planeten zu retten, aber in Wirklichkeit die Menschenrechte indigener Völker von A bis Z verletzt.“ Das Echo auf die knallhart durchgezogene Blockadeaktion brachte Regierungschef Jonas Gahr Støre auf neue Gedanken. Er lud Sprecherinnen der Protestaktion zum Gespräch und beugte nicht nur beim Handschlag artig den Kopf. Norwegens Premier gab jetzt erstmals unumwunden zu, dass bei der Genehmigung für 151 Windräder der beiden Parks Storheia und Roan auf der Halbinsel Fosen an der Westküste die Rechte der Samen sträflich außer Acht gelassen worden seien. Kurz danach besuchte er auch noch ganz hoch im Norden in Karasjok eine Rentierzüchter-Familie und wiederholte vor dem „Samen-Parlament“ seine Entschuldigung: „Wir bedauern, dass hier Menschenrechte verletzt worden sind.“

Aktivist:innen der Samen: „Wir starten neue Aktionen“

So richtig neu ist diese Erkenntnis allerdings auch für den Sozialdemokraten nicht, denn schon 2021 hat Norwegens Oberster Gerichtshof den Bau der zwei Windparks für gesetzwidrig erklärt, weil sie einen großen Teil der Halbinsel unbrauchbar machen als Weideflächen für die Rentiere der Samen. Eine Verletzung des „UN-Zivilpaktes“ zum Schutz von Minderheiten sei das. Anderthalb Jahre vergingen ohne greifbare Reaktion des Staates. Die Turbinen des riesigen Windkraftparks drehten sich einfach munter weiter, und genau dieses kaltschnäuzige „Aussitzen“ hat die winterliche Blockadeaktion in Oslo rund um den 500. Tag nach dem Richterspruch ausgelöst.

„Land Back!“ lautete, auf Englisch, vielleicht als Kompromiss zwischen Samisch und Norwegisch, die Forderung der Protestierenden – einzulösen durch sofortige Abschaltung und dann den Abriss der 151 Windkrafträder. Genau diese Schritte aber will die Regierung auch nach ihrem Einlenken mit wohlklingenden Entschuldigungen nicht gehen. Zuletzt nahm Öl- und Energieminister Terje Aasland vor dem Parlament Stellung zu möglichen Szenarien „Wir haben keine rechtliche Grundlage für einen Rückbau der Anlagen in Fosen“, sagte er vor dem Parlament in Oslo. Und fügte an: „Aber ich schließe für die Zukunft keine Option aus,“ was auch einen Teilabriss bedeuten könne. Jetzt müsse man „neues Wissen sammeln“.

Das klang nach neuem Aussitzen und kam deshalb gar nicht gut bei den in Samen-Tracht zuhörenden Blockade-Sprecherinnen an. „Ganz klar, wir starten neue Aktionen, wenn jetzt einfach nur wieder viel Zeit vergehen soll“, sagte Ella Marie Hætta Isaksen.

Kritik der Samen: Norwegen akzeptiert uns nur, wenn es nichts kostet

Die norwegische Öffentlichkeit ist gespalten. Einerseits ist allseits klar, dass sich niemand unter denen mit Macht und Einfluss bei der Planung der Anlage um die Proteste der Betroffenen darum scherte, dass ihre Tiere schon durch die Bauphase Fosen meiden und folglich aus ihren Weideflächen verdrängt würden. Die Rentierzucht hat wirtschaftlich keine nennenswerte Bedeutung, ist aber Kern der samischen Kultur für derzeit gut 50 000 Menschen, ein Prozent der Gesamtbevölkerung Norwegens. Über Jahrhunderte hatte dieses traditionell als Nomaden lebende kleine Volk in Norwegen wie auch bei den Nachbarn in Finnland und Schweden sowie in Russland mit den Problemen des Kolonialismus zu kämpfen.

Das hat sich vor allem in Norwegen kräftig geändert, dessen Regierung als einzige in den vier Ländern mit Samen das ILO-Abkommen zum Schutz „indigener und in Stämmen lebender Völker in unabhängigen Ländern“ anerkennt. Aber nur an der Oberfläche, wenn es nichts kostet, sagen viele Samen.

Støre betonte auch bei seinem Büßer-Auftritt vor ihrem Parlament nicht nur einmal, worum es für ihn im Kern geht: „Norwegen braucht mehr Energie.“ Eine zentrale Ursache für die katastrophalen Umfragezahlen seiner Arbeiterpartei ist der zeitweise bedrohliche Strommangel des vergangenen Jahres mit astronomisch hohen Preisen als Folge. Bekommt Støre das nicht in den Griff, werden die Umfragezahlen mit Sicherheit noch tiefer rutschen als durch fehlenden Respekt vor den Rechten eines indigenen Volkes.

Erdogan segnet Finnlands Nato-Beitritt ab

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Kniefall vor Erdogan

17.03.2023

Von: Thomas Borchert

Recep Tayyip Erdogan
Recep Tayyip Erdogan. © Burhan Ozbilici/dpa

Auf das Schweden-Bashing ohne Rücksicht auf Interessen der Nato will der türkische Präsident Erdogan im Wahlkampf nicht verzichten. Dass Finnland den Paarlauf mit seinem Nachbarn diskret aufgegeben hat, ist verständlich.

Recep Tayyip Erdogan hat Finnlands Präsident Sauli Niinistö nach fast einem Jahr Blockadepolitik den türkischen Segen für den Nato-Beitritt erteilt. Den schwedischen Premier Ulf Kristersson schickte der Autokrat vor ein paar Monaten in derselben Causa aus Ankara wie einen dummen Schuljungen mit leeren Händen heim: Stockholm müsse erst all die kurdischen Terroristen ausliefern, die sich angeblich so ungehemmt in Kristerssons Land austoben könnten.

Obwohl Schweden längst all seine Bedingungen erfüllt hat, genau wie Finnland. Auf das Schweden-Bashing ohne Rücksicht auf die Interessen der Nato will Erdogan im Präsidentschaftswahlkampf nicht verzichten.

Dass Finnland mit 1340 Kilometern Landgrenze zu Russland den lange als vollkommen unverzichtbar gepriesenen Paarlauf mit seinem Nachbarn diskret aufgegeben hat, ist verständlich. Wie Washington, Brüssel und auch Stockholm vor den immer neuen Forderungen und Tricksereien Erdogans weiter in die Knie gehen, ist ein Armutszeugnis für die Nato.

JP-klumme: justitsmord og klassejustits i Danmark?

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Der er forskel på folk – og på justitsmord

Ahmed Samsam, Lars Findsen, Claus Hjort Frederiksen – og den knap så heldige Lucky Francis – er alle prominente navne i abekastning i det danske retsvæsen. Men ikke alle har lige meget rygstød.

Artiklens øverste billede
Ordet justitsmord svirrer muntert i luften, både på Christiansborg og i medierne, i dagligdags politiske kampråb. Men det er ikke lige meget, hvem der ryger i gyngen, mener Thomas Borchert. Tegning: Rasmus Sand Høyer

Thomas Borchert tysk korrespondent

Da der for nylig skulle udvælges en relevant og helst også spændende historie fra Danmark til læserne af Frankfurter Rundschau, viste sig et forbløffende problem. Jeg kunne vælge mellem fire aktuelle historier stikord: justitsmord. Pokkers også, tænkte jeg, det er vel alt for meget i en retsstat. Det blev til en artikel om danske Ahmed Samsam, der i Spanien fik en dom på otte års fængsel som IS-terrorist, alt imens de hjemlige efterretningstjenester PET og FE hemmeligholdt, at han som deres agent havde været aktiv i Syrien.

Mindst lige så spektakulær er den igen og igen stadfæstede dom, i byret, landsret og højesteret, over et somalisk forældrepar, der skal have ladet deres to døtre omskære. De har fået hver halvandet års fængsel, selvom de og døtrene nægter, og fire ud af fem ekspertundersøgelser påviser, at pigerne ”uden tvivl“ ikke er blevet omskåret. At Den Særlige Klageret nu for anden gang afviste at genoptage sagen, gjorde mig lige så målløs som formentlig enhver, der har lyttet til DR’s podcast ”Det levende bevis“ om sagen.

Det fortjener respekt,​ at netop Venstre-manden Hjort har nægtet at være med til alle mulige tys-tys-manøvrer, hvorved hans egen sag kunne have fået en blød landing.

Nigerianeren Lucky Francis, benamputeret efter en skudveksling med danske soldater fra Søværnet på jagt efter pirater ved Vestafrikas kyst, har fået en dom i Københavns byret for ”fareforvoldelse“. Dog uden straf, da det stod dommerne klart, at Francis var havnet på anklagebænken i Danmark ene og alene pga. af sin alvorlige skade. Efter ugers grublerier på regeringskontorerne i København havde Søværnet endda foræret de af hans kammerater, der ikke var druknet eller skudt, en båd hjem til Nigeria og friheden.En mere åbenlyst ulige behandling fra statslige instanser kan man vanskeligt forestille sig.

Redaktionen i Frankfurt rettede i artiklen om Samsam mit ord ”Justizmord“ til ”Justizirrtum“ (justitsfejltagelse). Ordnung muss sein, tænkte jeg surmulende, men den redigerende kollega havde på sin vis ret. For på tysk kan der kun være tale om justitsmord, når den anklagede efter en uretmæssig dom henrettes, mens man i Danmark omgås begrebet lidt friere: Det er justitsmord, når en uskyldig er dømt. 

Ordet justitsmord svirrer muntert i luften, både på Christiansborg og i medierne, i dagligdags politiske kampråb. Barbara Bertelsen beskyldes af nogle for som departementschef i Statsministeriet at have sat gang i et justitsmord i en personlig vendetta mod Lars Findsen. Hvilket, efter manges mening, kan føre til endnu et justitsmord med Claus Hjort Frederiksen som offer.

I hans tilfælde har både diverse partier og justitsministeren som øverste anklager i kongeriget vredet sig som ål i en ruse: Kunne der mon findes en blød landing for den 75-årige eksminister, uden at man samtidig gjorde sig selv til grin ved at have bragt bombastiske anklager mod Findsen? Vinden for eller imod en anklage vendte lystigt, alt efter hvem der regerede sammen med eller imod hvem. »Det er en hysterisk overreaktion at retsforfølge ham« og »en skandaløs politisk beslutning«, ifølge Alex Vanopslagh (LA). Hvilken sælsom sammenblanding af politik og jura. 

Et tilsvarende sammenrod prægerdommene mod Ahmed Samsam (søn af syriske flygtninge), det somaliske forældrepar og nigerianeren Lucky Francis. Alle kommer de fra den modsatte ende af samfundet i forhold til Hjort og Findsen & co., og de har ikke en Christiansborg-lobby til bløde landinger. 

Ingen ville have løftet så meget som et øjenbryn efter den formentligt forkerte dom over somalierne, hvis ikke deres egen datter Amira havde kæmpet så standhaftigt og til alt held var stødt på en så intelligent og vedholdende journalist som DR’s Frederik Hugo Ledegaard.

Det fortjener respekt, at netop Venstre-manden Hjort har nægtet at være med til alle mulige tys-tys-manøvrer, hvorved hans egen sag kunne have fået en blød landing. Samtidig afkræver han PET og FE forklaringer og afklaring frem for tjenesternes »abekastningsspil« på bekostning af Samsam. Af Folketinget kræver han desuden en kommissionsundersøgelse: »Vi kan ikke have mistanke om justitsmord hængende i luften. Vi er trods alt en retsstat.«

Uheldigt for Lucky Francis, at han indtil nu ikke har fået en prominent talsmand og en retfærdig behandling.

Mens jeg skrev klummen, tænkte jeg på publicisten Kurt Tucholsky, for 100 år siden en nådesløs kritiker af tysk justits i Weimarrepublikken og en mester udi ætsende sarkasme rettet mod magthaverne: »Jeg har intet imod klassejustits; jeg kan bare ikke lide den klasse, der laver den. Og som ovenikøbet lader som om, det skulle være retfærdighed.«

Thomas Borchert, (f. 1952) tysk-dansk korrespondent, bosat i København og Berlin, er en del af Jyllands-Postens weekendpanel, hvor syv personer hver uge på skift skriver en kronik. Han skriver for Frankfurter Rundschau og har skrevet en bog med titlen ”Gebrauchsanweisung für Dänemark”. Som udenrigskorrespondent skriver han om Danmark og de andre nordiske lande.

Kopenhagener “Klimaschutz-Insel”: Monumentales Greenwashing?

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Geoengineering im Öresun03.03.2023

Von: Thomas Borchert

Ein Mammutprojekt zum Schutz Kopenhagens vor der Klimakrise gerät unter heftige Kritik.

Eine künstliche Insel nordöstlich der dänischen Hauptstadt, die fast so groß ist wie Helgoland: Es ist ein fantastisch anmutendes Megaprojekt, das Kopenhagen vor dem Meeresspiegel schützen soll, der bis 2100 den aktuellen Prognosen nach einen Meter höher sein könnte als jetzt. Seit ein paar Wochen ist der erste Steindamm fertig, schon bald soll das Innere der Eindämmung im Norden von Dänemarks Hauptstadt trockengelegt und mit Erdreich aufgefüllt werden, und so die Insel Lynetteholm entstehen.

Oberbürgermeisterin Sophie Hæstrup Andersen, die seit 2020 im Amt ist, preist sie als „zukunftssichere“ Barriere auch gegen häufigere Sturmfluten: Ohne das Projekt wären „unsere Metro, die Eisenbahn, Straßen und Zehntausende Wohnungen von Zerstörung bedroht“, sagt sie.

Deshalb sei Eile geboten, begründete sie die kurze Zeit zwischen der ersten Vorstellung des Plans 2018 und dem Baubeginn 2022. Atemberaubend schnell ist das für das größte Bauprojekt der dänischen Geschichte und damit einhergehend höchst komplexen Folgen für die Umwelt.

Am Ende soll Lynetteholm als Heimstatt für 35 000 Menschen gegen die Wohnungsnot helfen und noch mal so viele Arbeitsplätze schaffen. Aber erst muss die schwer vorstellbare Menge von 80 Millionen Tonnen Erdreich aus Lkws herbeigeschafft und in den Öresund gekippt werden. „Win-win“, heißt es, denn so könne Kopenhagen von all dem überschüssigen Boden aus der emsigen Bautätigkeit für Häuser, Straßen und die U-Bahn befreit werden.

Bei der Präsentation der Idee variierte der damalige Premier Lars Løkke Rasmussen begeistert das Bild vom „Ei des Kolumbus“. Lynetteholm sei wie ein„Überraschungsei“ für Kinder: Der Klimaschutz als Schokolade drumherum und drinnen als doppelte Überraschung die Lösung von Wohnungs- und Verkehrsproblemen auf einen Schlag. Denn mit Metro und großzügigem Tunnelbau soll Lynetteholm tatsächlich eine Halbinsel werden.

Wie kleine Kinder für dumm verkauft fühlen sich von derlei Lobpreisungen inzwischen aber so viele, dass das ganze Projekt ins Wanken geraten ist. Der Hauptstadt-Bevölkerung ging auf, dass für das Wachstum der neuen Insel die kommenden 30 Jahre jeden Tag 700 Lkw-Fuhren mitten durch Kopenhagen gekarrt werden müssen. So hat es ihnen „Stop Lynetteholm“ vorgerechnet, und das hatte Folgen. Bei der Kommunalwahl vor anderthalb Jahren verlor Andersens Sozialdemokratie klar, während die frontal gegen Lynetteholm opponierende Einheitsliste stärkste Kraft wurde.

In der Vorort-Kommune Køge ärgerte man sich darüber, dass gigantische Mengen Schlamm vom Bauplatz in der Køge-Bucht verklappt werden sollen. Die Regierung des Öresund-Nachbarn Schweden protestierte wegen der ökologischen Folgen für das sensible Gewässer. Der Öresund hat enorme Bedeutung für die Zufuhr von frischem Salzwasser in die Ostsee. Viele Expert:innen sind überzeugt, dass Lynetteholm diese gefährlich einschränken würde.

Ihre Forderung nach einem Baustopp bis zur Gerichtsentscheidung hat die Klimabevægelsen zwar aus Angst vor gigantischem Schadensersatz für den Fall einer Niederlage aufgegeben. Politisch aber stehen die Betreibergesellschaft By&Havn und Andersen politisch aber so massiv unter Druck, dass sie einen taktischen Rückzug nach dem anderen hinlegen müssen.

Die Verklappung in der Køge-Bucht ist abgesagt, nun soll es plötzlich möglich sein, den Schlamm beim Aufschütten der Insel vor Ort wiederzuverwenden. Andersen gestand ein, man habe die Bevölkerung „mangelhaft einbezogen“ und berief – nachträglich – eine repräsentativ ausgewählte Bürgerversammlung ein. Die attestierte ihr prompt, die Beteiligung komme „zu spät“. Sie verlangt in elf Empfehlungen radikale Änderungen bei den grundlegenden Planungsprinzipien, ohne aber für eine Absage einzutreten.

„Lynetteholm ist ein politisches Waisenkind geworden, das niemals Adoptiveltern finden wird“, kommentiert die Zeitung „Politiken“. Aber es wächst vorerst weiter. Gebaggert und gebaut wird trotz der extrem miesen Stimmung um das Projekt. Bis zum Ziel ist als Kontrast zum eiligen Start noch ein weiter Weg: Das Auffüllen mit Erdreich soll 2050 und der Wohnungsbau für 35 000 Menschen nicht eher als 2070 abgeschlossen sein.

Dänemark verpasst seine Klimaziele

Der Klimarat des skandinavischen Landes konstatiert, dass es sich immer weiter von den selbst gesteckten Klimazielen entfernt . Das gelte auf kurze wie auf lange Sicht für so gut wie alle klimapolitischen Teilbereiche.

Reduziert werden sollen die CO2-Emissionen des Landes demnachbis 2025 um 50-54 Prozent (gegenüber 1990) und um 70 Prozent bis 2030. Beides sei nicht zu erreichen, wenn nicht schleunigst eine CO2-Abgabe für die Landwirtschaft eingeführt werde, so das Gutachten.

Die Agrarindustrie steht für ein Viertel der CO2-Emissionen Dänemarks. Die neue Große Koalition schiebt die Abgabe für die Landwirtschaft vor sich her: Diese dürfe „die Konkurrenzkraft nicht schwächen und keine Arbeitsplätze kosten“. Dänemark gilt auch wegen des starken Anteils von Windkraft an der Stromerzeugung international als Vorreiter beim Klimaschutz, doch der von der Regierung als Wachhund eingesetzte Klimarat meint, selbst die Erreichung der eigenen Klimaziele reiche nicht, um die EU-Verpflichtungen zu erfüllen. tob

Und auch juristische Einschätzungen geben der „Klimabevægelsen“, einem Zusammenschluss dänischer Umweltorganisationen, gute Chancen mit ihrer Klage gegen das Projekt. Um für den Bau in Windeseile die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, habe man das Projekt per Salamitaktik in angeblich unabhängige Teilprojekte aufgesplittet und so EU-Regeln verletzt. Für Kritiker:innen ist Lynetteholm Greenwashing eines Geschäftsmodells zur Schaffung profitträchtigen Baulands.

Schwedens Polizei in großer Not

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Stalking, Eifersucht und ein toter Polizeichef: Polizeiskandal erschüttert Schweden

24.02.2023

Von: Thomas Borchert

Nach Enthüllungen über eine umstrittene Liaison mit einer Kollegin wurde Vizepolizeichef Löfving tot aufgefunden. Seine Entlassung hätte wohl bevorgestanden.

Stockholm – Die ersten schnellen TV-Kommentare über die nun unausweichliche Entlassung von Schwedens langjährigem Vize-Polizeichef waren gerade gesendet, da wurde die Hauptperson um 19 Uhr tot im eigenen Haus aufgefunden. Mats Löfving wird am Mittwochnachmittag in den Medien verfolgt haben, wie die amtliche Untersuchung ihm „grobe Dienstverletzungen“ wegen der Liaison mit Linda Staaf, der von ihm 2015 ernannten Leiterin einer polizeilichen Ermittlungseinheit, bescheinigte: Er habe trotz „Befangenheit“ für eine Gehaltserhöhung gesorgt, die Genehmigung für eine Dienstpistole ausgestellt, Staafs Chefposition verlängert und grünes Licht für eine Nebenbeschäftigung gegeben.

Dass diese Nebenbeschäftigung im Abfassen eines Schwedenkrimis bestand, der seit letztem Jahr unter dem (übersetzten) Titel „Wolf im Schafspelz“ zu kaufen ist, gehört zu den vielen fast unglaublichen Details dieser Geschichte mit tragischem Ausgang. Auch am Tag danach gab es zunächst keine offizielle Angabe, ob Suizid die Todesursache war.

Schweden: Verstorbener Vizepolizeipräsident Löfving bestritt Affäre mit seiner Kollegin

Seit Monaten füllt die Beziehung zwischen Staaf und Löfving die Stockholmer Schlagzeilen – auch, weil beide öffentlich entgegengesetzte Erklärungen abgaben: Laut der 47-jährigen Staaf gab es eine Beziehung, aber nur vorübergehend und „oberflächlich“, was der 14 Jahre ältere Löfving bis zuletzt kategorisch zurückgewiesen hat: Da sei überhaupt nichts gewesen.

Bei der Präsentation der amtlichen Untersuchung am Mittwoch musste er aus dem Mund des Ermittlers Runa Viksten hören: „Es gibt keinen Zweifel, dass die beiden Polizeispitzen eine intime Beziehung hatten.“ Er werde Löfvings Dienstchef Anders Thornberg die Entlassung seines Stellvertreters nahelegen. Linda Staaf trat sofort nach dieser Bekanntmachung vor die Kameras. Für sie sei wichtig, dass abgesehen von der Befangenheit des Entscheiders alle Entscheidungen zu ihrer Karriere als inhaltlich korrekt eingestuft worden seien: „Die Untersuchung hat gezeigt, dass ich für den Dienst qualifiziert war.“

Schwedische Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Vizepolizeichef Löfving wegen Stalking

Sie sei Opfer einer Schmutzkampagne in den Medien gewesen, habe sich „einsam“ selbst dagegen verteidigen müssen und sei von der obersten Polizeiführung im Stich gelassen worden. Die Zeitung „Dagens Nyheter“ zitiert Staaf weiter: „Jetzt ist alles gut durchleuchtet, und ich hoffe, dass wir das Ganze ein für alle Mal hinter uns lassen können.“ Das erwies sich nur wenige Stunden danach als Irrtum.

Kurz vor Weihnachten hatte Staaf bei einer Tagung des deutschen Bundeskriminalamts als Expertin zum Thema „Schwere und Organisierte Kriminalität: Innovative Vorgehensweisen zur Ermittlungsoptimierung“ referiert. Etwa zur gleichen Zeit teilte sie mit, sie sei nun mit dem Oberbefehlshaber der schwedischen Streitkräfte, Michael Bydén, liiert, während gleichzeitig immer neue höchst überraschende Skandal-Details aus der Polizeispitze ans Licht kamen. So hatte sich Staaf Ende 2021 hilfesuchend an den internen Sicherheitschef der Polizei gewandt, weil sie sich offenbar von Löfving bedroht fühlte. Der Sicherheitschef zeigte diesen an, die Staatsanwaltschaft wurde wegen Verdachts auf diverse Vergehen aktiv, die sich als Stalking zusammenfassen lassen.

Polizei in Schweden gibt durch Skandal ein niederschmetterndes Bild ab

Die Ermittlungen waren relativ schnell und geräuschlos eingestellt worden. Staaf erklärte später, sie habe nur ihre „Unsicherheit“ wegen „Respektlosigkeit“ Löfvings zum Ausdruck bringen wollen. Ehe sie zum Jahreswechsel aus der Polizeizentrale ins Justizministerium wechselte, bezog sie in „Dagens Nyheter“ noch mal offensiv Stellung: „Es ist jetzt klar, dass viele Männer nicht klarkommen mit einer Frau, die Macht und Einfluss bekommt.“ Damit meinte Staaf, so ist zu vermuten, noch nicht mal in erster Linie Löfving, sondern andere hochrangige Kollegen, denen sie vorwarf, ohne ihr Einverständnis oder auch nur Wissen die Stalking-Anklage betrieben zu haben. Eingestellt wurden sie vom zuständigen Staatsanwalt, weil es „wohl nur um „Eifersuchtsgeschichten“ gehe.

Für Schwedens Bevölkerung muss dies als Bild der Polizeispitze umso niederschmetternder wirken, als ihr Land von einer hohen Zahl tödlicher Schießereien und Bombenanschläge in der organisierten Kriminalität heimgesucht wird. 2022 starben dabei 63 Menschen. Seit dem Jahreswechsel zeigt die Statistik weiter eine steigende Tendenz.

Dänemarks Geheimdienste lassen Mitarbeiter hinter Gittern allein

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Justizirrtum: Wie ein dänischer Agent als Terrorist ins Gefängnis kam

18.02.2023

Von: Thomas Borchert

Ahmed Samsam, 2018
Ahmed Samsam, 2018 © imago

Ein möglicher Justizirrtum um einen inhaftierten Geheimdienstler bringt die Regierung in Kopenhagen in Erklärungsnot.

Spaniens Regierung tönte stolz, man habe mit dem dänischen Urlauber Ahmed Samsam „womöglich den gefährlichsten Dschihadisten in Europa“ dingfest gemacht. Für den 33- Jährigen hatte dies bis heute fünfeinhalb Jahre hinter Gittern zur Folge – als „Syrienkrieger“ für die Terrororganisation „IS“. Jetzt fordern zwei Kopenhagener Ex-Staatssekretäre, Samsam als Opfer eines wahrscheinlichen Justizirrtums schleunigst aus der Haft zu entlassen.

Schwer wiegt die Frage, die die zwei Pensionäre in einem Zeitungsbeitrag aufwerfen: „Warum haben die dänischen Behörden die Verurteilung Samsams in Spanien nicht verhindert, indem sie die Behörden dort darüber informierten, dass er als Agent unserer Geheimdienste PET und FE gehandelt hat?“

Für die neue große Koalition hinter der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hat die Affäre Samsam bedrohliche Ausmaße angenommen. Die rituell gemurmelten Hinweise auf das zwangsläufig Geheime bei Geheimdienstarbeit helfen wenig. Niemand in Kopenhagen zweifelt nach immer neuen Enthüllungen daran, dass sich der in einem dänischen Dorf geborene Sohn syrischer Flüchtlinge 2012 bis 2014 im Auftrag des Inlandsgeheimdienstes PET und später des Auslandsgeheimdienstes FE in Syrien dem „IS“ angeschlossen hat. Von dort lieferte er als Undercover-Agent die gewünschten Namen und andere Informationen über Terrorist:innen und lebte nach dem Ende dieser Zusammenarbeit unbehelligt in seinem Geburtsland. Bis er 2017 nach Spanien reiste.

Diese vor allem von der Zeitung „Berlingske“ ans Licht gebrachte Geschichte hat auch seinen Anwalt Erbil Kaya ins Grübeln gebracht: „Ich hätte nie gedacht, dass der Staat so vorsätzlich, kalt und zynisch zum Täter werden kann.“ Wobei der Ausgangspunkt offenbar tölpelhafte Fehler im dänischen Staatsapparat waren.

So interessierten sich die spanischen Behörden im Juni 2017 für den Besucher Ahmed Samsam mit dänischem Pass, weil er von dort aus in das für den gesamten Schengenraum geltende Fahndungs- und Überwachungssystem SIS als „IS“-Kämpfer eingetragen war. Laut „Berlingske“ geschah dieser Eintrag noch während der laufenden Zusammenarbeit und ohne dass mit Samsam direkte befasste Geheimdienst-Bedienstete des PET davon wussten.

Die spanischen Ermittlungen gegen den Dänen brachten zigtausende Videos, Chats und anderen Online-Aktivitäten mit „IS“-Propaganda und zum Teil extrem brutaler Gewalt zutage. Vor Gericht verwies der junge Mann dazu auf seine Rolle als dänischer Agent. Hier nahm ihm das niemand ab. Zu den Enthüllungen in „Berlingske“ zwei Jahre später gehörte auch, dass die spanische Polizei ein ausdrückliches Nein aus Kopenhagen auf ihre Frage bekommen hatte, ob Samsam tatsächlich für die Geheimdienste aktiv gewesen sei.

2020 vereinbarten beide Länder die Verbüßung der Reststrafe in Dänemark, wo Samsam bis heute im Hochsicherheits-Gefängnis Horsens einsitzt. Sein Anwalt Kaya verweist darauf, dass man seinen Mandant spätestens bei der Auslieferung in sein Heimatland hätte freilassen müssen. Aber das blieb weiter aus. Stattdessen brachten ihm zweimal ominöser Besuch erhebliche Geldsummen in Gefängnis, Samsam zufolge Sendboten der Geheimdienste.

Jahrelang in Spanien in Haft

An ihrem eisernen Schweigen in der Öffentlichkeit aber hielten PET und FE fest. So eisern, dass im Dezember 2021 ein hauptamtlicher Geheimdienstler wegen Verdacht auf Landesverrat in Haft kam, weil er sich zwei „Berlingske“-Journalisten über Samsams Rolle anvertraut hatte. Der Beamte mit 38 Dienstjahren auf dem Buckel war „Agentenführer“ des Undercover-Dschihadisten und konnte nach eigener Aussage nicht mehr damit leben, dass PET einen Mitarbeiter so schmählich im Stich ließ.

Im November steht die Haftentlassung an. Die Opposition im „Folketing“ hat eine als sicher geltende Untersuchungskommission nicht durchsetzen können. Denn die neue Regierungsmehrheit hat es sich anders überlegt. Sie setzt vor den Wahlen im November weiter auf Aussitzen unter ständiger Betonung des „Geheimen“. Lediglich eine „Voruntersuchungskommission“ ist beschlossen.

Ahmed Samsam selbst hat für seine Klage auf Schadensersatz gegen die Geheimdienste einen Prozess zugestanden bekommen. Es soll sofort in zweiter Instanz vor einem Oberlandesgericht verhandelt werden – wegen der „prinzipiellen Bedeutung“ des Falles. Jakob Scharf, bis 2013 PET-Chef, warnt: „Die Unsicherheit in der Öffentlichkeit macht es den Geheimdiensten möglicherweise unmöglich, in Zukunft die menschlichen Quellen anzuheuern und zu führen, die man braucht.“

Kommentar zum Hickhack über den Nato-Beitritt

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Erdoğans Ernte

08.02.2023

Von: Thomas BorchertKommentare

Finnlands Deal ist ein Beispiel dafür, wie der türkische Präsident von seiner Nato-Veto-Kampagne profitiert. Der Kommentar.

Jetzt schlucken die beiden Nato-Beitrittskandidaten auch noch ihre Einteilung aus Ankara in ein „braves“ Finnland und ein „böses“ Schweden mit vermutlich unterschiedlichem Aufnahmedatum. Natürlich verblasst dieser neue Erfolg für den türkischen Präsidenten Erdogan mit seiner Veto-Strategie vollkommen im Schatten des furchtbaren Erdbebens.

Niemand vermag zu sagen, wie sich die Katastrophe auf Erdogans Chancen auf seine angestrebte Wiederwahl im Mai auswirken wird. Um sie zu verbessern, hatte er die Veto-Kampagne vor allem gegen Schweden mit ständig neuen Verschärfungen inszeniert und fährt dafür einer reiche Ernte ein.

Aus dem bei den Menschenrechten einst vergleichsweise prinzipienfesten Skandinavien wird der brutal regierende Autokrat nun als Demokrat gepriesen. Er bekommt aus Stockholm, Helsinki und auch Washington bisher verweigerte Waffenlieferungen für den Krieg gegen die Kurden und kann sich damit brüsten, dass er fernen Ländern schärfere Terrorgesetze gegen Kurdinnen und Kurden im Exil aufgezwungen hat. Die Beitrittsgebühr zur „Wertegemeinschaft“ Nato wird immer hässlicher und immer höher.

Neues zu Schwedens und Finnlands Nato-Beitritt

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Streit um Nato-Beitritt: Finnland erhält den Vortritt

08.02.2023

Von: Thomas Borchert

Der Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens scheint vom Tisch. Schweden gibt sich geduldig und sicher. Der türkische Präsident Erdoğan kostet seinen Sieg aus.

Helsinki – Beim Streit um die Nato-Erweiterung in Nordeuropa zeichnet sich immer klarer grünes Licht für Finnland ab, während Schweden wegen des türkischen Vetos noch warten muss. Überraschend signalisierten am Dienstag die Regierungen der beiden eigentlich gemeinsam angetretenen Beitrittskandidaten, dass sie mit diesem Splitten wohl leben können. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte das vergangene Woche nach einer Koranverbrennung in Stockholm ins Spiel gebracht, als er sagte, sein Land habe kein Problem mit Finnland. Der Aufnahme Schwedens werde man aber nicht zustimmen, solange dort der Koran verbrannt werden darf.

Vor der Presse in Helsinki äußerten der schwedische Außenminister Tobias Billström und sein finnischer Gastgeber Pekka Haavisto in fein aufeinander abgestimmten Statements, es komme darauf an, dass beide Länder in Zukunft „gemeinsam in der Nato sind“. Keiner von beiden nannte mehr den gemeinsamen Beitritt als Bedingung, der seit dem vor fast einem Jahr gemeinsam in Brüssel überreichten Antrag stets als höchste Priorität von beiden Regierungen herausgehoben wurde.

Streit um Nato-Beitritt: Rückzug von Schweden und Finnland

Billström meinte dazu in Helsinki, es sei klar, dass die Türkei derzeit positiver über eine finnische als eine schwedische Nato-Mitgliedschaft denkt. „Auch wenn wir ein starkes Interesse an einem gemeinsamen Beitritt haben, muss man respektieren, dass die Mitgliedschaft im Interesse des jeweils einzelnen Landes gesehen wird.“ Das war ein sorgsam verpackter Rückzug nach Maß. Jetzt hofft er, dass beide Länder beim Nato-Gipfel im Juli in Vilnius als Mitglieder vereint auftreten könnten.

Haavisto hatte schon unmittelbar nach Erdoğans positiven Signalen Richtung Helsinki gesagt, „natürlich“ mache sich seine Regierung auch Gedanken über ein mögliches Beitritts-Szenario zunächst ohne Schweden. Unmittelbar vor seinem Treffen mit Billström berichtete die Zeitung „Iltalehti“ über eine hinter den Kulissen schon vor Weihnachten erfolgte Einigung der finnischen Regierung mit Ankara auf eine dortige Ratifizierung des eigenen Antrags ohne Schweden. Die Nachrichtenagentur Bloomberg ergänzte, dass damit im März zu rechnen sei.

Nato-Beitritt: Erdoğan könnte Feldzug gegen Schweden fortsetzen

Damit könnte Erdoğan bis zu den heimischen Wahlen im Mai seinen stark innenpolitisch ausgerichteten Feldzug gegen Schweden als angeblicher Heimstatt kurdischer Terroristen fortsetzen. Gleichzeitig hätte er mit der Zustimmung zur Aufnahme Finnlands dem zunehmendem Druck aus Washington und der Brüsseler Nato-Zentrale wenigstens ein Stück nachgegeben, die das bisher klägliche Scheitern der Nord-Erweiterung in ganz schlechtem Licht dastehen lässt.

Recep Tayyip Erdoğan: Das ist der Präsident der Türkei

Im Jahr 2017 setzte Recep Tayyip Erdogan mithilfe eines Referendums eine Verfassungsänderung durch, bei der es vor allem um die Bündelung der Exekutivbefugnisse ging. Dadurch gewann der türkische Präsident noch mehr Einfluss auf die Justiz. Die Opposition sprach von Wahlbetrug. Auch Untersuchungen von Forschenden legen nahe, dass das Referendum manipuliert wurde.

Offen blieb beim Ministertreffen in Helsinki, welchen Einfluss das Erdbeben in der Türkei auf die dortige Innenpolitik und damit auch die Nato-Erweiterung bekommen kann. Unabhängig davon ist in den letzten Wochen in Finnland der Schulterschluss mit den schwedischen Nachbarn immer stärker infrage gestellt worden. Bei jüngsten Umfragen sprach sich eine Mehrheit von 53 Prozent für einen Solo-Beitritt auch ohne Schweden aus.

Zwei Monate vor den Reichstagswahlen ist das auch für die sozialdemokratische Regierungschefin Sanna Marin wohl eine wichtige Information, die Folgen zeigt. „Iltalehti“ zitierte in ihrem nicht dementierten Bericht eine Quelle aus Regierungskreisen, die auf Finnlands 1300 Kilometer lange Landgrenze mit Russland verwies: „Unsere geopolitische Stellung ist deshalb eine ganz andere als die Schwedens.“ Von den 30 Nato-Mitgliedsländern haben 28 bisher der Aufnahme Schwedens und Finnlands zugestimmt. Die Ratifizierung im ungarischen Parlament gilt als sicher und wird bis Ende des Monats erwartet.

Norwegen will Stromexporte notfalls stoppen

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Getrieben vom Zorn des Volkes

08.02.2023

Von: Thomas Borchert

Norwegens Regierungschef Støre will den Energieexport notfalls stoppen – noch im Sommer hörte sich das ganz anders an.

Fast als sei es ihm peinlich, hat Norwegens Regierungschef Jonas Gahr Støre verkündet, dass sein Land künftig den Stromexport nach Deutschland und anderswo in Europa stoppen will, wenn daheim eine „reelle Gefahr für Energieknappheit“ auftritt. Der Sozialdemokrat erinnerte sich in diesem Augenblick vermutlich selbst an seine Worte bei einer Pressekonferenz im Sommer: „Ein Norwegen, das gewaltige Gelder am Gasexport verdient, aber jetzt sagt, dass wir die Tür auf andere Weise zuschlagen, in diesem Norwegen will ich nicht Ministerpräsident sein.“

Nach sechs Monaten mit sagenhaften Umfragetiefs für Støres Arbeiterpartei und das mitregierende Zentrum will er das nun wohl doch. Auf andere Gedanken gebracht hat ihn der Zorn in der Bevölkerung über astronomisch gestiegene Strompreise zulasten von Privathaushalten und Betrieben direkt in die Staatskasse.

2022 sorgte lange Trockenheit für bedenklich niedrige Wasserstände

Neben Gas und Öl unter der Nordsee ist das Land der Fjorde auch noch mit beneidenswert sprudelnder Wasserkraft gesegnet. 1761 Kraftwerke, fast ausnahmslos in öffentlicher Hand, standen im 2022 mit 136,7 Terawatt (bis 1. November) für 87,5 Prozent der gesamten Stromerzeugung. Vollkommen CO2-frei, ständig erneuerbar, spottbillig zu produzieren, und deshalb im Volksmund liebevoll „arvesølvet“, das Familiensilber, genannt.

So reichlich ist es vorhanden, dass hier im oft schrecklich kalten Norden Europas fast alle mit Elektrizität heizen. Und das in dem Land, das wie kein anderes in Europa als Gaslieferant von den Folgen des Ukraine-Krieges mit fantastisch klingenden Einnahmesteigerungen profitiert. Nur sprudelt die Wasserkraft je nach Wetterlage eben nicht gleichmäßig. 2022 sorgte lange Trockenheit für bedenklich niedrige Wasserstände in den mehr als tausend Reservoirs, was die Strompreise zusätzlich zu den Auswirkungen des Ukraine-Krieges in die Höhe trieb. Dass Norwegen trotzdem weiter über Kabel Strom nach Deutschland und Großbritannien ausführte, brachte die Volksseele nur noch mehr zum Kochen.

Daran änderten diverse Stützpakete der Regierung nicht das Geringste. Und schon gar nicht Støres ständige Hinweise auf die Notwendigkeit, „in Europa gegen die totalitären Kräfte zusammenzustehen“. Jan Kjærstad, Erfolgsautor und sozialdemokratischer Stammwähler, brachte es in einem offenen Brief an den Premier auf den Punkt: „Ihr schafft es nicht, den Leuten zu erklären, warum sie in ihren Wohnungen frieren müssen.“

Kritik am „selbst ernannten Lohn-Adel“

Støres ständige Verweise auf den Ukraine-Krieg als Ursache zerpflückte er mit Zahlen zu dem schon 2021 schockierenden Preisanstieg. Er verwies auf die 1991 auch von den Sozialdemokraten betriebene Liberalisierung des Strommarktes, die die Versorgung mit Elektrizität zu einem Spekulationsobjekt gemacht und Norwegen an das europäische Preissystem gebunden hat.

Auch die komplizierten Erläuterungen des Regierungschefs über „Sachzwänge“ durch die Bindung Norwegens an EU-Regeln über den „Europäischen Wirtschaftsraum konnten niemanden besänftigen. Kjærstad gestand, dass er das Regelwirrwarr aus heimischen und Brüsseler Regeln trotz tapferer Anläufe absolut nicht durchschaue. Aber es will ihm einfach nicht in den Kopf, dass er zeitweise auf seiner Stromrechnung das „vierzig- bis fünfzigfache des Produktionspreises“ für heimische Elektrizität berappen musste. Die Osloer Politikergarde sei gegenüber den Nöten der Bevölkerung wohl auch blind, weil als „selbst ernannter Lohn-Adel“ nicht betroffen: „116 Parlamentsmitglieder (von 169) bedienen sich kostenfreier Pendlerwohnungen in Oslo, in denen sie auch die Stromrechnung nicht selbst zahlen.“

Støre, selbst als Erbe einer Fabrikantenfamilie Multimillionär, verwies in seiner Antwort auf den viral gegangenen Schriftsteller-Brief auf Norwegens vermehrte Gaslieferungen vor allem nach Deutschland: „Das trägt zur Dämpfung des Gas- und im Gefolge auch des Strompreises bei.“ Nicht ganz falsch, aber doch ein mutiges Argument angesichts des dank teurer gewordenen Gases letztes Jahr auf 1,6 Billionen Kronen (147 Milliarden Euro) verdreifachten Handelsüberschusses.