Month: December 2023

Digitalisiertes Dänemark schafft die Briefmarken ab

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Dänemark schafft die Briefmarke ab: Bürger überrascht von plötzlicher Änderung ab 2024

Stand: 29.12.2023

Von: Thomas Borchert

Die dänische Post ändert holterdiepolter die Regeln für den Versand. Die Däninnen und Dänen sind einiges gewöhnt – doch das geht vielen nun doch zu weit.

Der rasend schnellen Digitalisierung Dänemarks fällt zum Jahreswechsel auch die Briefmarke zum Opfer. Ab 1. Januar befördert „Postnord“ im Inland nur noch Briefe und Pakete mit einem vom Computer erzeugten Porto-Code. Gleichzeitig verdoppelt die Post das Mindestporto für Standardbriefe von zwölf auf 25 Kronen (1,60 auf 3,35 Euro) und will das ohnehin schon dünne Netz von 6000 Briefkästen im kommenden Jahr noch einmal um 1000 reduzieren.

Briefe verschicken kein „wirtschaftlich tragbares Geschäft“ mehr

Dahinter steht die Aufhebung der über drei Jahrhunderte im Königreich geltenden Beförderungspflicht durch das „Folketing“, das Parlament. Jetzt soll es „der Markt richten“, wer überhaupt noch und zu welchem Preis mit Post auf Papier rechnen kann. Postnord-Chef Nikolaj Ahrenkiel fasst die Revolution in dürre Worte: „Die Digitalisierung der Gesellschaft hat zur Folge, dass es kein wirtschaftlich tragbares Geschäft mehr ist, Briefe im ganzen Land auszuliefern.“

Der Kundschaft, also der Bevölkerung mit knapp sechs Millionen Menschen, hat die Post die Abschaffung der Briefmarken mit einer Frist von sage und schreibe vier Wochen mitgeteilt: Ab 2024 dürften schon gekaufte Marken nur noch auf Auslandsbriefe und -päckchen geklebt werden. Ansonsten seien sie wertlos, weil das Parlament mit dem neuen Postgesetz die Befreiung von der Mehrwertsteuer (25 Prozent) beim Briefmarkenkauf aufgehoben habe, teilte Postnord mit.

Digitalisierung weit fortgeschritten

Dagegen gab es weitreichende Proteste. So beklagte etwa der Händler Bjarne Heck auf Fünen die komplette Entwertung seines Briefmarkenbestands von 200.000 Kronen (27.000 Euro), die er für seinen kleinen Versandshop vorrätig hat. „Ich kann die jetzt in den Ofen schmeißen,“ sagte er der Zeitung „Ekstra Bladet“.

„Für mich ist das Diebstahl, wenn man mit einem Federstrich die Werte der eigenen Kundschaft wertlos macht“, erregte sich auch eine Leserbriefschreiberin auf der Sonneninsel Bornholm. Nachdem dann selbst Transportminister Thomas Danielsen von der Entwertungs-Ankündigung abrückte, kam Postnord kurz vor den Feiertagen plötzlich auf andere Gedanken. Briefmarken können nun bis zum 30. Juni an die Post zurückgegeben werden. Gegen Gebühr, versteht sich.

Protest gegen neue Regelung ab 2024

Bei den Reaktionen auf die neuen Postregeln haben allerdings fast nur Proteste gegen die kurze Ankündigungsfrist mit Entwertung der alten Briefmarken Platz in Medien gefunden. Die Sache an sich führt zu wenig Gemütserregung. Zu sehr sind die Bürger:innen Dänemarks schon daran gewöhnt, dass der Staat und seine Behörden sowie Unternehmen ohne viel Federlesen jede Gelegenheit zur weiteren Digitalisierung des Alltags entschlossen bis brutal beim Schopf packen. Seit 22 Jahren schon gibt es für alle im Land eine „E-Boks“, an die sämtliche Behördenpost digital geschickt wird. Umgekehrt nimmt keine staatliche Stelle mehr Papierpost an. Wer sich von diesen Zwängen befreien lassen will, hat einen ziemlich beschwerlichen Antragsweg zu bewältigen. Natürlich digital.

So leben 90 Prozent der Bevölkerung mit ihrer E-Boks auf dem Handy, Tablet oder Laptop und können sich in der Regel auch über schnellere und einfachere Abwicklung ihrer Anliegen freuen als etwa im digital weit hinterherhinkenden Deutschland. Für den Rest aber dürfte die endgültige Umstellung der Post auf „Marktbedingungen“ das Leben noch schwieriger machen.

So warnt die Organisation „Ældre Sagen“, in der fast eine Million alte Menschen organisiert sind, dass ihre Mitglieder in ländlichen Regionen möglicherweise überhaupt keine Papierpost mehr bekommen. Es nützt ihnen dann nichts mehr, dass sie (als einer oder eine von landesweit 300 000) vom Zwang zum digitalen Behördenverkehr amtlich befreit sind.

Wenig beruhigen dürfte diese Digitalisierungs-Opfer, was die Mehrheit im Kopenhagener Folketing zum neuen Postgesetz vereinbart hat: „Sollten Bürger in einer bestimmten Region erleben, dass der Briefservice zusammenbricht, wird eine umfassende Untersuchung in Gang gesetzt.“

Die Post wird in Dänemark allerdings bereits seit einigen Jahren sowieso nur noch ein bis zwei Mal die Woche in private Briefkästen eingeworfen. Ab dem 1. Januar stellt Postnord zudem auch die Zustellung von Tageszeitungen komplett ein.

Königin Silvia wird 80

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Die Makellose

Stand: 22.12.2023, 16:01 Uhr

Von: Thomas Borchert

Königin Silvia von Schweden ist wortgewandt und weiß im rechten Augenblick zu schweigen. Jetzt wird die souveräne Regentin 80 Jahre alt.

Wer den 80. Geburtstag bei bester Gesundheit mit dem Lebensgefährten, drei ebenfalls gesunden Kindern und acht Enkelkindern im eigenen Schloss feiern kann, hat wohl wenig Grund zur Klage. Wenn Königin Silvia von Schweden, am 23. Dezember 1943 als Kaufmannstochter Silvia Renate Sommerlath in Heidelberg auf die Welt gekommen, aber doch mal öffentlich Klage führt, geschieht es so gut wie immer in wohlgesetzten royalen Worten zum Wohl anderer, wahlweise in sechs von ihr beherrschten Sprachen. Von Kindern mit psychischen Problemen bis zu demenzkranken alten Menschen reicht ihr Engagement als Schirmherrin von 62 Stiftungen.

Vor zehn Jahren klagte Silvia dann doch mal in eigener Sache vor dem Presse-Ombudsmann wegen einer boshaften Karikatur mit sich selbst und König Carl Gustaf XVI. Hier half der Titel nichts, die Königin unterlag in zwei Instanzen. Davon später mehr im Kleingedruckten. Denn unter dem Strich ist sich ganz Schweden einig, dass diese zugewanderte Tochter einer Brasilianerin und eines Deutschen von Beginn an und bis heute ein vermutlich lebensrettender Glücksfall für die Monarchie ist. Das Königshaus galt im durch und durch sozialdemokratischen Schweden des 20. Jahrhunderts als verstaubt und reaktionär, als 1972 der 26-jährige Kronprinz Interesse an der Chefhostess bei den Olympischen Spiele in München entwickelte. Zum ersten Mal habe er das beim Blick durch sein Fernglas während der Eröffnungsfeier gespürt, erzählte er später.

Im Jahr darauf wurde aus dem Kronprinzen ein ausgesprochen unsicherer König, der erst nach der Hochzeit mit Silvia 1976 nach und nach an Sicherheit gewann. „Der widerwillige Monarch“ hieß noch eine 2010 erschienene, allerdings auch umstrittene Biografie, während bei der Ehefrau vom ersten Tag an klar war, dass Silvia in der neuen Rolle alles gab für die Monarchie – und damit Erfolg hatte. Sie lernte schnell und ziemlich perfekt Schwedisch, und schaffte als freundlich lächelnde Schönheit mit intelligentem Einfühlungsvermögen auch den Spagat zwischen traditionellen Anforderungen an den Hof und dem Wunsch nach mehr Modernität. Und: Sie sorgte stets für gute PR.

Nur ein, zwei Skandälchen

Silvia lächelte nicht nur und weihte alles Mögliche ein, sondern hat über fast ein halbes Jahrhundert den Eindruck von disziplinierter Arbeit vermittelt. In der Geburtsstadt Heidelberg brachte ihr das in diesem Jahr den Ehrenbürgertitel ein. Für das „großartige soziale Engagement von Königin Silvia von Schweden, insbesondere ihren außergewöhnlichen Einsatz für schutzbedürftige Kinder“. Den schärfsten Knick in dieser fast makellosen Erfolgsbilanz illustrierte ihre Klage 2013 gegen vier schwedische Medien wegen einer bösen Karikatur. Sie zeigten Silvia beim Wegfegen eines Hakenkreuzes von einem Teppich und Carl Gustaf beim Pizzaverzehr auf einer nackten Sängerin. Der Hintergrund: Medien hatten berichtet, dass sich Walther Sommerlath in den 1930er-Jahren am Vermögen eines zwangsenteigneten deutschen Juden bereichert haben sollte. Silvia verteidigte zunächst ihren Vater: „Man muss psychologisch verstehen, wie das war, als Deutschland sich plötzlich wieder aus der Asche erhob. Und diese Freude darüber, dass das Vaterland wieder da war. Deshalb stützte mein Vater Deutschland und wurde Parteimitglied.“ Wer sich damals dagegen gestellt habe, sei „ja gegen die ganze Maschinerie gewesen“. Als die Königin gewahr wurde, welches Entsetzen sie damit ausgelöst hatte, beauftragte sie einen Historiker und Anwälte mit der Untersuchung der geschäftlichen Aktivitäten ihres Vaters während der Nazizeit. Sie brachten einen weitgehenden „Freispruch“. Silvias Image hat diese Auseinandersetzung kaum geschadet.

Das gilt ganz und gar nicht für ihren Ehemann als zweites Karikaturopfer. Carl Gustaf geriet 2010 in die Schlagzeilen, zum einen wegen einer Affäre mit der Popsängerin Camilla Henemark von der Band „Army of Lovers“, zum anderen wegen seiner vor allem von Zeuginnen bestätigten Teilnahme an „Herrenabenden“ mit bezahlten jungen Frauen sowie Besuchen in Stripclubs. Die Verteidigung des Regenten fiel so jämmerlich aus, dass Forderungen nach seiner Abdankung zugunsten von Kronprinzessin Victoria (46) laut wurden.

Silvia hat dazu genauso eisern geschwiegen wie zu Carl Gustafs vorsintflutlicher Nörgelei an der Abschaffung der rein männlichen Thronfolge in Schweden. Zu seinem 50. Thronjubiläum in diesem Sommer war über all das so einigermaßen Gras gewachsen. Silvia führte die Rolle als hundert Prozent loyale Regentengattin perfekt lächelnd wie fast immer vor. Aber die Zustimmung zur Monarchie fällt derzeit mit knapp über 60 Prozent doch wieder mäßiger aus. Und nach wie vor wünscht eine Mehrheit in Schweden, dass die Monarchie mit dem Wechsel von Carl Gustaf zu Victoria jetzt eine weibliche Zukunft bekommt.

Finnland und Russland streiten immer härter

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Militärische Spannungen: Der Ton zwischen Finnland und Russland wird schärfer

Stand: 20.12.2023

Von: Thomas Borchert

Die Spannungen zwischen Neu-Nato-Mitglied Finnland und Russland nehmen zu: Putin droht dem Nachbar mit militärischer Präsenz an der Grenze.

Helsinki/Moskau – Ein halbes Jahr nach Finnlands Aufnahme in die Nato steigen die Spannungen mit dem Nachbarn Russland rasant. Präsident Wladimir Putin hat zum Wochenauftakt die Verlegung von Militär östlich der gemeinsamen 1340 Kilometer langen Grenze angekündigt und damit zunächst verbal auf die Unterzeichnung eines „DCA-Abkommens“ (Defense Cooperation Agreement) zwischen Helsinki und Washington reagiert. Es ermöglicht US-Streitkräften die Nutzung von 15 Militärstützpunkten für gemeinsame Aktionen an Land, in der Luft und zur See. In einem TV-Interview sagte Putin: „Probleme gab es bisher nicht, aber jetzt wird es sie geben.“ Russland wolle den früheren Militärbezirk Leningrad rund um das heutige St. Petersburg neu aufbauen und Einheiten im Grenzgebiet stationieren.

Nachdem Finnland und Schweden sich 2022 in der Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine gemeinsam um Aufnahme in die Nato beworben hatten, hatte die Moskauer Führung ihre Kritik bisher vor allem gegen Stockholm gerichtet. Dass sich das jetzt markant ändert, während Schweden weiter auf die Aufnahme warten muss, zeigt auch der Streit um die vier Grenzübergänge zwischen Finnland und Russland. Hier stieg im November trotz zum Teil arktischer Kältegrade plötzlich die Zahl von Asylbewerber:innen aus afrikanischen und arabischen Ländern. Finnlands konservativer Regierungschef Petteri Orpo wertete das als von Moskau gesteuerte „hybride Bedrohung“ und ordnete die komplette Schließung an.

Finnland wird gegenüber Russland immer offensiver und deutlicher

Es gab Kritik wegen der faktischen Aufhebung des Rechts auf Asyl, auch mit Hinweis auf die alles in allem recht bescheidenen Zahlen mit knapp unter tausend Anträgen in einem Monat. Zwei versuchsweise geöffnete Übergänge wurden letzte Woche binnen eines Tages wieder geschlossen. Innenministerin Mari Rantanen nannte den Grenzübertritt einer „zweistelligen Zahl“ von Asylbewerbern in weniger als 24 Stunden eine Fortsetzung der russischen Hybridoperation: „Finnland kann das nicht akzeptieren.“

Generell formuliert die politische Führung in Helsinki ihre Kritik an Russland immer offensiver. Das fällt ins Auge, weil seit Ende des Zweiten Weltkriegs ein betont vorsichtiger und rücksichtsvoller Umgang mit dem Kreml als unverzichtbare Grundlage für die Bewahrung von Finnlands Unabhängigkeit gegenüber dem übermächtigen Nachbarn galt. Jetzt äußert Staatspräsident Sauli Niinistö: „Wenn Russland etwas in Gang setzt, musst du unmissverständlich klarmachen, wo du stehst.“ Bis auf die letzten seiner zwölf Amtsjahre hatte sich der 75-Jährige seiner gegenseitig vertrauensvollen politischen Beziehung zu Putin gerühmt, mit dem er auch gern Eishockey spielte.

Finnlands 42- jährige Außenministerin Elina Valtonen, wie Niinistö aus der Konservativen Sammlungspartei, nannte laut „Süddeutscher Zeitung“ in einem Gruppeninterview mit deutschen Journalist:innen Russland einen „faschistischen, imperialistischen Akteur“.

Experte über Putins Regime: „Russland führt eine kriminelle Politik“

Der Politikwissenschaftler Jussi Lassila vom Außenpolitischen Institut in Helsinki sagte der FR dazu, die Kennzeichnung des russischen Regimes als „faschistisch“ sei bis zur Vergiftung des Regimekritikers Alexei Nawalny 2020 „vollkommen undenkbar“ gewesen. „Seitdem ist für uns klar, dass Russland eine kriminelle Politik führt.“ Auch wenn der Faschismus-Begriff akademisch gesehen vielleicht nicht ganz korrekt sei, treffe er doch „leider die Realität“. „Es ist gut, dass das jetzt klar zum Ausdruck kommt.“ Die Drohungen Putins mit verstärkter Militärpräsenz im Grenzgebiet zu Finnland wertet Lassila als „leere Worte“. Für ihn sei klar, dass Russlands militärische Ressourcen noch über viele Jahre an die Ukraine gebunden seien.

Nach Angaben der Zeitung Hufvudstadsbladet hat die finnische Oberstaatsanwaltschaft Ermittlungen gegen einen russischen Neonazi wegen möglicher Kriegsverbrechen in der Ukraine aufgenommen. Der Mann wurde im Sommer bei einer Zwischenlandung in Helsinki auf dem Weg nach Nizza nach einem ukrainischen Begehren festgenommen, kann aber nicht dorthin ausgeliefert werden. Er soll als Offizier einer paramilitärischen Miliz 2014 und 2015 in der Ost-Ukraine Gefangene misshandelt und Frauen vergewaltigt haben.

Schwede als “Spion für Israel” vor iranischem Gericht

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Frankfurter Rundschau 13.12.2023 
Für die Mullahs "menschliche Handelsware"
Einem Schweden droht im Iran die Todesstrafe - Teheran will damit einen Austausch erzwingen
VON THOMAS BORCHERT

In dieser Woche steht der schwedische EU-Beamte Johan Floderus vor einem Gericht in Teheran und muss die Todesstrafe befürchten. Den Vorwurf angeblicher Spionage für Israel halten die EU-Kommission und Schwedens Regierung für total aus der Luft gegriffen. Sie verlangen die Freilassung. Brüssel und Stockholm sind sich ziemlich sicher, dass das Mullah-Regime Floderus in Wirklichkeit als menschliche Handelsware für die berüchtigte "Geiseldiplomatie" hinter Gitter und vor Gericht gebracht hat. Zum Prozessauftakt am Wochenende gewährten die Richter Schwedens Botschaft noch nicht mal Zutritt zur Beobachtung des Prozesses.

Der 33-jährige Floderus wurde am 17. April 2022 zum Abschluss einer privaten Iran-Reise auf dem Flughafen in Teheran festgenommen. Er soll vorher als Mitarbeiter des EU-Außenbüros mehrfach im Land gewesen sein. Sowohl das Datum der Festnahme als auch der Prozessauftakt mehr als anderthalb Jahre später seien klare Hinweise auf ein vom Iran angepeiltes Tauschgeschäft, heißt es in Stockholm: Bei der Verhaftung vergangenes Jahr stand im Stockholmer Amtsgericht der Prozess gegen den regimetreuen Iraner Hamid Noury unmittelbar bevor. Noury wurde wegen mehrfachen Mordes bei seiner Beteiligung an einem Gefängnis-Massaker 1988 an Oppositionellen gegen das damalige Khomeini-Regime zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 19. Dezember steht die Entscheidung in der Berufung an.

Lange Untersuchungshaft

Noury sitzt seit November 2019 unter strengsten Auflagen in Untersuchungshaft. Er wurde nach einem Flug von Teheran nach Stockholm auf dem Flugplatz Arlanda festgenommen. Nach Schweden hatten ihn Angehörige der iranischen Exil-Community mit Versprechungen zu "Kontakten mit Frauen" und schicken Reisen ans Mittelmeer gelockt. Parallel wurde zusammen mit einem Londoner Anwaltsbüro Belastungsmaterial fix und fertig vorbereitet. Schweden wendet das Prinzip "universeller Jurisdiktion" an, wonach besonders schwere Verbrechen geahndet werden können, auch wenn sie anderswo auf der Welt von jemandem mit nicht-schwedischer Staatsangehörigkeit begangen worden sind.

"Mein Klient ist der am schärfsten isolierte Gefangene in Schwedens Geschichte," sagt Nourys Anwalt, der sozialdemokratische Ex-Justizminister Thomas Bodström. Nach Angaben der Zeitung "Dagens Nyheter" hält dieser Klient tatsächlich mit fast 1500 Tagen Untersuchungshaft bei täglich 23 Stunden in strenger Isolation in einer sieben Quadratmeter engen Zelle einen trüben Landesrekord.

Nourys Chancen dürften nicht schlecht sein, auch im Fall eines erneuten Schuldspruchs demnächst als freier Mann in seine Heimat zurückzukehren. Immer wieder haben sich in den vergangenen Jahren westliche Regierungen darauf eingelassen, offensichtlich für die "Geiseldiplomatie" im Iran hinter Gitter geratene eigene Bürger freizutauschen. Zuletzt kam der beim Schmuggel von Sprengstoff nach Antwerpen erwischte Diplomat Assadollah Assadi aus einem belgischen Gefängnis frei.

Nur so konnte die Brüsseler Regierung den eigenen Entwicklungshelfer Olivier Vandecasteele vor 40 Jahren Haft wegen Spionage und Geldwäsche sowie 74 Peitschenhieben wegen Valuta-Schmuggels im Evin-Gefängnis bewahren, in dem auch Floderus einsitzt. Bei dem Deal kamen im Austausch für Assadi auch ein Däne und zwei Österreicher mit iranischen Wurzeln frei.

Nach einer Erhebung des belgischen Außenministeriums sitzen derzeit 22 Nicht-Iraner:innen in iranischen Gefängnissen aufgrund offensichtlich falscher Anklagen. Mit einem schwedischen Pass gehört neben Floderus der schon 2016 als "Spion" zum Tode verurteilte Ahmadreza Djalali dazu, ein Katastrophen-Mediziner mit iranischen Wurzeln.

Schwedens Außenminister Tobias Billström gibt als Nahziel öffentlich den Zugang zum Prozess gegen Floderus an. Niemand zweifelt daran, dass Stockholm hinter den Kulissen an einem Deal mit Teheran arbeitet.
 

Isländer füllt sein Land mit Rollstuhl-Rampen

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09.12.2023,

“Halli” wird nicht aufgeben

Die 1000. neue Rollstuhl-Rampe hat Islands Staatsoberhaupt gerade höchstpersönlich eingeweiht. Die Idee zur Initiative “Römpum opp Island” – “Füllt Island mit Rampen” – kam seinem Landsmann Haraldur Thorleifsson, 1977 mit progressivem Muskelschwund geboren, als er in Reykjavik vor einem unzugänglichen Geschäft im Rollstuhl warten musste, während die Familie einkaufte. Der Geschäftsmann, Autor und Musiker hat mit seiner Popularität und seinem Geld eine kleine Volksbewegung angestoßen. Auf der Atlantik-Insel ist “Halli” bekannt wie ein bunter Hund. 2021 verkaufte er sein Start-up “Ueno” an Twitter und ließ sich dort als Designer-Chef für ein hohes Gehalt weiterbeschäftigen. Als Elon Musk knapp zwei Jahre später Twitter übernahm, gehörte Thorleifsson zu den aus heiterem Himmel Gefeuerten und verlangte von seinem Arbeitgeber per Tweet eine Erklärung. Musk twitterte beleidigt zurück, dieser geltungssüchtige Isländer leiste wenig und schiebe seine Behinderung nur vor. Dafür musste er später auf die Knie: Sorry, man habe ihn falsch informiert. Zur der Zeit betrieb “Halli” bereits seine Initiative mit dem Ziel 1000 neuer Rollstuhl-Rampen für Reykjavik. Sie kam in der Öffentlichkeit so gut an, dass sie schnell auf ganz Island und auf die Zielmarke 1500 bis 2025 ausgeweitet werden konnte. Über die persönliche Perspektive schreibt Thorleifsson: “Ich lebe mit einer Krankheit, die mir langsam, aber sicher meine sämtlichen physischen Fähigkeiten wegnimmt.” Thomas Borchert

Haraldur Thorleifsson unterwegs mit seiner Familie. privat