Latest Event Updates

Anspannung vor Beginn des ESC in Malmö

Posted on

Stand: 06.05.2024, 16:02 Uhr

Von: Thomas Borchert

Bannerhissen im „Eurovision Village“ im Folkets Park in Malmö.
Bannerhissen im „Eurovision Village“ im Folkets Park in Malmö. © AFP

Vor dem ersten Halbfinale am Dienstag sind in der Stadt nicht nur ESC-Fans und bunte Fahnen zu sehen, sondern auch Polizei und vereinzelte Gegendemos. Und etliche Einheimische fahren übers lange Wochenende lieber weg.

Der Eurovision Song Contest hat eigentlich wie jedes Jahr losgelegt. Demonstrativ gut gelaunt, farbenfroh und wahlweise elegant, sexy oder albern kostümiert präsentieren sich vor dem Finale am Samstag die 37 Teilnehmer:innen beim immer neuen Interview-Schaulaufen in Malmö. Die ESC-Stimmung sei doch wieder mal unschlagbar, sprach die isländische Sängerin Hera Björk strahlend in ein Mikrofon. Deutschlands Vertreter Isaak (29), präsentiert sich in heimischen Medien als jederzeit zum Lachen aufgelegte Frohnatur, und das finnische Duo Windows95man schwärmt in der Lokalzeitung „Sydsvenskan“ über die ersten Probentage für die 68. Ausgabe des gigantischen Pop-Events: „Wir schmelzen hier alle zusammen wie bei einem Rollercoaster.“

Tali aus Luxemburg allerdings redete nach dem Kompliment des Interviewers für ihre Zöpfe auf die Frage nach dem bisher unangenehmsten ESC-Erlebnis nicht um den heißen Brei herum: „Als wir wegen der Koranverbrennnung den ganzen Tag im Hotel bleiben mussten.“ Dabei hatte die von Rechtsextremen letzte Woche angekündigte Aktion gar nicht stattgefunden.

Die Aufregung liefert einen Vorgeschmack auf das, was in Wirklichkeit alle in Malmö – von den Auftretenden in der „Malmö Arena“ im Vorort Hyllie über die Sicherheitskräfte bis zu den gut 300 000 Menschen in Schwedens drittgrößter Stadt – mehr bewegt als die Frage, ob ihr Land zum achten Mal den Wettbewerb gewinnt oder Isaak das in andere Richtung beeindruckende deutsche „Abo“ auf den letzten Platz erneuern wird: Die meisten hoffen einfach, dass alles glimpflich abläuft.

Warnung vor Terrorgefahr

Bis zum Finale sind mehrere Groß-Demos wegen der israelischen Teilnahme angemeldet. Sowohl am Donnerstag, auch in Schweden ein Feiertag, wenn die Israelin Eden Golan mit ihrem „Hurricane“ beim zweiten Semifinale antritt, und erst recht zum finalen ESC-Countdown am Samstag. Ausgerechnet das harmlose Spaß-Event hat in den vergangenen Wochen so viel explosive Hochspannung erzeugt, dass 55 Prozent der Bevölkerung in Malmö sich laut einer aktuellen Umfrage in ihrer Stadt „nicht sicher fühlen“. Sie wollen die Veranstaltungsorte meiden. Medien zitieren am laufenden Band Einheimische, die in dieser Woche gleich ganz aus Malmö verschwinden.

Dazu zählen vor allem auch Menschen aus der ohnehin schon geschrumpften jüdischen Community. Die Metropole Südschwedens hat einen ausgesprochen hohen Bevölkerungsanteil mit palästinensischen Wurzeln und gilt auf diesem Hintergrund als stark von Antisemitismus geprägt. Israels Nationaler Sicherheitsrat hat seine verschärfte Reisewarnung auch damit begründet, dass in Malmö auf Massaker der Hamas mit mehr als 1200 ermordeten Israelis mit Freudenfesten auf der Straße reagiert worden sei.

Umgekehrt ist auf den ESC eine massive Welle von Forderungen zum Ausschluss Israels wegen der Kriegführung in Gaza mit bisher mehr als 30 000 Toten eingeprasselt. Dem hat die veranstaltende Europäische Rundfunkunion (EBU) widerstanden, aber Textveränderungen beim israelischen Beitrag durchgesetzt, damit der (ursprünglicher Titel „October Rain“) unter keinen Umständen irgendwelche Assoziationen zum Hamas-Angriff am 7. Oktober wecken könne. Weil alles am ESC „unpolitisch“ zu sein habe.

Das Mantra klingt bizarr als Kontrast zu den allseitigen Erwartungen an die Zeit zwischen dem ersten Halbfinale am heutigen Dienstagabend und der Nacht zu Sonntag, wenn die Stimmen ausgezählt sind. Schwedens Polizei hat sich mit Verstärkung aus Dänemark und Norwegen extrem hoch gerüstet und ist auch mit Panzerwagen demonstrativ präsent in dieser Woche.

zeitungs logo

Schwedens Premier Ulf Kristersson schließt sich indirekt den Warnungen wegen erhöhter Terrorgefahr an: „Man muss sich darüber klar sein, dass es Kräfte gibt, die das Ganze ausgesprochen unruhig bis chaotisch haben möchten.“ Deshalb sei es so wichtig, dass die Polizei „gut gerüstet ist“.

Hinter vorgehaltener Hand besteht Einigkeit, dass die dritte Vergabe des ESC an Malmö unter Sicherheitsaspekten eine höchst unglückliche Entscheidung war, aber eben vor dem 7. Oktober als solche nicht absehbar. Jetzt demonstrierte Bürgermeisterin Katrin Stenfeldt Jammeh beim offiziellen Startschuss tapfer Optimismus: „Malmö ist eine globale und junge Stadt, die ihre Vielfältigkeit feiert.“

Nebenan öffnete die kunterbunte Gedächtnis-Ausstellung zu Schwedens größten Eurovisions-Idolen aller Zeiten ihre Pforten. Auch von hier musste die Reporterin von „Sydsvenskan“ Ernüchterndes vermelden: „Auch Abba hat mich nicht in bessere ESC-Stimmung versetzt.“

Mehr arbeiten fürs Militär kommt schlecht an in Dänemark

Posted on

Dänemark: Regierung schafft Feiertag ab und erlebt ihr Waterloo

02.05.2024

Von: Thomas Borchert

Die Abschaffung des „Großen Bettags“ verursacht in Dänemark viel Wirbel. Die Regierung schmiert in den Umfragen ab.

Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zieht es mit aller Macht nach Brüssel. Auf dem Weg zum angestrebten, aber keineswegs sicheren EU-Topjob nach der Europawahl hat es die Sozialdemokratin auf jeden Fall schon bis Waterloo geschafft, ohne Kopenhagen zu verlassen.

Selten ist hier jemand als unantastbare Nummer Eins so steil abgestürzt wie die 46- Jährige mit dem Projekt, ihr Volk zu mehr Arbeitsfleiß zu erziehen. „Ich bin mir nicht sicher, dass alle um 16 Uhr vom Fließband nach Hause gehen sollten,“ belehrte sie die sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger im Königreich. Sie prophezeite düster, dass man auf Dauer nur bestehen könne, „wenn wir genauso einen hohen Gang einlegen wie die Russen“. Denn: „Die Russen gehen nicht nach Hause. Die machen weiter.“

Russen im hohen Gang sind eine seltsame Vergleichsgröße und um 16 Uhr vom Fließband heimgehende Arbeitskräfte im Hightech-Paradies Dänemark ein eher altertümlicher Maßstab. Schon 2023 beim Entscheid für die ersatzlose Streichung eines Feiertags, hagelte es Proteste. Die „Hygge“-Weltmeister in Dänemark lassen sich nicht gern von einer Berufspolitikerin ohne eigene Job-Erfahrung vorhalten, ihre Arbeitsmoral lasse zu wünschen übrig. Schon gar nicht, wenn die Begründung daherkommt, als seien die Adressaten Kinder in der Grundschule.

Das ganze Ausmaß des Desasters für Frederiksen und ihre zwei bürgerlich rechten Koalitionspartner ist aber erst jetzt klargeworden, als die Bevölkerung zum ersten Mal auf den „Großen Bettag“, stets ein Freitag zwischen Ostern und Pfingsten, verzichten musste. Aktuelle Umfragen sind für die Regierungschefin so katastrophal ausgefallen, dass die Medien in den Nekrolog-Ton wechselten. Frederiksens Sozialdemokratie hat mit 17 Prozent einen nie zuvor gemessenen Tiefststand erreicht, der den dringenden Umzugswunsch der Chefin Richtung Brüssel als „nach mir die Sintflut“ für alle einleuchtend erklärt.

Die Regierungschefin hatte die Feiertagsstreichung zunächst mit zu mageren Staatsfinanzen begründet: Die Alterspyramide, zu wenig Arbeitskräfte bei immer höherem Bedarf im Pflege- und Gesundheitssektor, das ist in Dänemark nicht anders als in Deutschland. „Jeder von uns“ müsse jetzt ein bisschen mehr leisten und das Steueraufkommen vermehren, damit der hohe dänische Wohlfahrtsstandard zu halten sei, so die Politikerin.

Als die Steuereinnahmen dank eines Wirtschaftsbooms, anders als beim großen Nachbarn im Süden, ganz von selbst auf Rekordhöhen kletterten, wechselte die Begründung für die Feiertagsstreichung auf „die Russen“ mit ihrem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Man müsse sich gegen Moskaus Expansionsdrang durch mehr Arbeiten für den Militärhaushalt wappnen. Drei Milliarden Kronen (400 Millionen Euro) sollen durch den gestrichenen Feiertag zusätzlich in die Staatskasse fließen. Als die Regierung aber auch frohgemut vorrechnete, sie sehe eigentlich keine Probleme bei der Finanzierung von zusätzlich 195 Milliarden Kronen für die Rüstung (bis 2032), fühlte sich die Wählerschaft noch mal für dumm verkauft.

Die handfesten Folgen haben am ersten arbeitspflichtigen „Bettag“ seit 350 Jahren vor allem all die getroffen, die etwa am Steuer von Bussen, in Supermärkten, Krankenstuben oder beim Putzen von Regierungs- sowie Medienbüros persönlich anwesend sein müssen. Wer Homeoffice machen kann, hat im gerade prächtig aufblühenden Sommerhaus-Garten den Feiertag womöglich privat über die Runden retten können.

Nachdem sich die bisher instinktsichere Populistin Frederiksen hier vor allem gegenüber der Stammwählerschaft total verrechnet hat, sieht die politische Konkurrenz ihre Stunde gekommen. Es läuft so bizarr mit knackigen Statements wie in der weltberühmten TV-Serie „Borgen“ über Kopenhagener Politik-Ränke: Eine Partei nach der anderen verkündet jetzt vor den Kameras, man werde nach dem Sieg in der nächsten Wahl „selbstverständlich den Dänen ihren Großen Bettag zurückgeben“. Ein dankbareres Wahlkampfthema gegen die Regierenden findet sich selten, und so prophezeit die Zeitung „Information“: „Der tote Bettag wird Mette Frederiksen weiter verfolgen wie ein Zombie.“

Die ganze Welt rüstet immer schneller auf

Posted on

Sipri warnt vor weltweiter Militarisierung

23.04.2024

Von: Thomas Borchert

Das Stockholmer Friedensinstitut Sipri warnt vor einer Militarisierung der Politik auf allen Kontinenten.

Das Bild ist alarmierend: Weltweit nimmt die Militarisierung der Politik zu; das belegen die jüngsten Zahlen des Friedensforschungsinstituts Sipri in Stockholm. Für seine „Trends bei weltweiten Militärausgaben“ ermittelt Sipri, dass Ausgaben 2023 ausnahmslos auf allen Kontinenten gestiegen sind. Mit durchschnittlich 6,8 Prozent plus haben die Rüstungshaushalte einen nie zuvor von Sipri gemessenen Höchststand von 2,443 Billionen Dollar erreicht. Das entspricht 306 Dollar pro Mensch auf der Erde und 6,9 Prozent sämtlicher Staatsausgaben.

Wenig überraschend ragen mit hohen Steigerungsraten in den Sipri-Listen Staaten heraus, die an schon laufenden Kriegen beteiligt sind. So erhöhte Russland seine Militärausgaben 2023 um 24 Prozent auf 109 Milliarden Dollar und die Ukraine ihre um 51 Prozent auf 64,8 Milliarden Dollar. Werden Militärhilfen anderer Staaten über 35 Milliarden Dollar (davon 25,4 aus den USA) dazugerechnet, gibt die Ukraine fast genauso viel für militärische Zwecke aus wie der für den Krieg verantwortliche Kreml.

Für Israel verzeichnet Sipri unter Hinweis auf die „umfassende Offensive in Gaza als Antwort auf den Angriff der Hamas“ im letzten Oktober ein Plus bei den Militärausgaben um 24 Prozent auf 27,5 Milliarden. Israel zahlt seit dem Beginn des Krieges in Gaza monatlich 4,7 Milliarden Dollar gegenüber 1,8 Milliarden Dollar in den ersten neun Monaten für sein Militär. Im gesamten Nahen und Mittleren Osten sind die Rüstungsausgaben 2023 um neun Prozent und damit kräftiger als in den zehn voraufgegangenen Jahren gestiegen.

Nach wie vor unangefochten die Nummer eins auf der Welt sind die USA mit Gesamtausgaben von 916 Milliarden Dollar und damit 2,3 Prozent mehr als 2022. Laut Sipri ist das immer noch drei Mal so viel, wie Chinas Führung für die zweitstärkste Militärmacht der Welt mit 296 Milliarden Dollar vorhält. Aber der Abstand zwischen den beiden verringert sich: Seit drei Jahrzehnten treibt China seinen Militärhaushalt permanent nach oben, zuletzt zwischen 2014 und 2023 um 60 Prozent, in den beiden voraufgegangenen Dekaden jeweils um 150 Prozent.

Nato-Staaten: 55 Prozent der weltweiten Militärausgaben

Die Nato-Staaten zusammen standen im vergangenen Jahr für 55 Prozent der weltweiten Militärausgaben. Für Deutschland errechnete Sipri eine Steigerung 2023 um neun Prozent auf 66,8 Milliarden Dollar, was einem Anteil von 1,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) entsprach. Elf von 31 Nato-Staaten (in dieser Erhebung das letzte Mal ohne Schweden) erreichten das von der stärksten Militärallianz der Welt definierte Ziel, mindestens zwei Prozent des individuellen BIP für militärische Zwecke bereitzustellen. Polen steigerte seine Ausgaben um 75 Prozent und seit 2014 um 181 Prozent auf 31,6 Milliarden Dollar.

So wie dies als Antwort eines Nachbarn auf den russischen Krieg gegen die Ukraine verstanden wird, kennzeichnet Sipri die massive Aufrüstung der Staaten im Pazifikraum als Reaktion auf Chinas wachsenden Machtansprüchen. Japan legte 2023 um elf Prozent auf 50,2 Milliarden Dollar und Taiwan ebenfalls um elf Prozent auf 1,6 Milliarden Dollar zu. Dieser gegenseitige Trend werde sich in den kommenden Jahren fortsetzen, heißt es im Stockholmer Bericht.

Sipri-Projektleiter Nan Tian meint: „Der beispiellose Anstieg der Militärausgaben ist eine direkte Antwort auf die globale Entwertung von Frieden und Sicherheit.“ Er warnt vor den Folgen dieser Verschiebung der Wertvorstellungen: „Die Staaten riskieren damit eine Aktions- und Reaktionsspirale in einer zunehmend unsicheren geopolitischen Sicherheitslandschaft.“

Als „zunehmenden Trend“ für die Region Mittel- und Südamerika notiert das Stockholmer Institut massive Militärausgaben zur Lösung interner Konflikte. Die mexikanische Regierung gab 2023 11,8 Milliarden Dollar und damit 55 Prozent mehr für militärische Zwecke aus als 2014. Elf Prozent davon gingen an die ausschließlich zur Bekämpfung organisierter Kriminalität 2019 aufgebaute Nationalgarde. „Der Grund ist entweder die Unfähigkeit der Regierungen zur Lösung des Problems mit normalen Mitteln oder dass sie einfach schnelle gewaltsame Antworten bevorzugen,“ kommentiert Sipri-Forscher Diego Lopes da Silva.

Der kritische „Weltrekord“ bei militärischen Ausgabensteigerungen im letzten Jahr geht nach Afrika: Sipri hat ein Plus von 105 Prozent auf 794 Millionen Dollar für die Demokratische Republik Kongo ermittelt, wo die Regierung Krieg gegen interne Gegner führt und die Spannungen mit dem Nachbarn Ruanda zunehmen. Der Südsudan folgt auf dem zweiten Platz mit 78 Prozent plus auf 1,1 Milliarden Dollar. Als Hintergrund benennt Sipri neben interner Gewalt auch Rückwirkungen des Bürgerkrieges im benachbarten Sudan. Dort sind 18 Millionen Menschen akut von Hunger bedroht.

Kopenhagener Wahrzeichen niedergebrannt

Posted on

Entsetzen in Kopenhagen nach Brand der Alten Börse

Stand: 16.04.2024, 16:52 Uhr

Von: Thomas Borchert

Ein Feuer zerstört die Alte Börse – das 399 Jahre alte Wahrzeichen der dänischen Hauptstadt Kopenhagen stürzt teilweise ein

Das historisch beneidenswert erhaltene Zentrum von Kopenhagen hat sein vielleicht schönstes und knapp 400 Jahre altes Wahrzeichen verloren. Kurz vor dem Jahrhundert-Geburtstag der 1625 fertiggestellten Alten Börse im Herzen von Dänemarks Hauptstadt brach das Feuer während Renovierungsarbeiten unter dem Dachstuhl aus. Als am Dienstagvormittag live im Fernsehen mit anzusehen war, wie Flammen die Turmspitze mit vier ineinander verschlungenen Drachen aus 72 Meter Höhe zum Einsturz brachten, haben viele Menschen gedacht (und sogleich massenhaft gepostet); „Das ist wie Notre Dame,“ oder „Unser Notre Dame.“

Sie hatten frisch vom Vortag die Berichte zum fünften Jahrestag der Brandkatastrophe im Dachstuhl der weltberühmten Pariser Kathedrale in Erinnerung. Genau wie dort kam auch in Kopenhagen kein Mensch zu Schaden, und dass Frankreich jetzt den erfolgreichen Abschluss des Wiederaufbaus feiern kann, dürfte ebenso Trost vermitteln.

Ansonsten aber herrschte blankes Entsetzen. Sofort nach dem ersten Brandalarm bei strahlendem Sonnenschein rannten Beschäftigte von Dänemarks in der Börse untergebrachten Gewerbeverband durch das Gebäude, um möglichst viele Gemälde und andere historische Kostbarkeiten zu retten. Das scheint in hohem Maß gelungen zu sein, da die Flammen zunächst nur direkt unter dem Dach wüteten. Allerdings lieferten ihnen nach Aussage der Feuerwehr unendlich viel Holz in der Konstruktion und viele Hohlräume beste Bedingungen, um sich nach unten durchzufressen. Auch das Kupferdach, das jede Abkühlung der Brandhitze nach oben verhinderte, und die Ummantelung des Gebäudes durch ein Baugerüst mit Plastikabdeckung erschwerten die Löscharbeiten enorm.

Ein Teil dänischer Geschichte

„400 Jahre Kulturerbe stehen in Flammen,“ kommentierte der dänische Kulturminister Jakob Schmidt Engel. Die Börse, ein elegant längliches Gebäude im niederländischen Renaissance-Stil mit seiner seit 1625 weithin sichtbaren Turmspitze, ist Kopenhagens vermutlich meistfotografiertes Wahrzeichen nach der Kleinen Meerjungfrau. Sie hat fast 300 Jahre mehr geschichtliches Patina als die kleine Figur aus Hans Christian Andersens Märchenwelt am Hafenkai Langelinie, ein bisschen außerhalb.

Die Börse, direkt neben dem Parlamentssitz Schloss Christiansborg („Borgen“), steht viel stärker auch als Symbol für einen Teil der dänischen Geschichte, auf den man im Königreich gemeinhin stolz ist. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen formulierte, beim Einsturz der Turmspitze habe es ein landesweites „Aufstöhnen“ gegeben: „Das tat der dänischen Volksseele weh, weil es um hunderte Jahre unserer Geschichte geht.“

König Christian IV. (1577-1648) hatte Großmachtambitionen nach außen und wollte dazu passend seine Hauptstadt gestalten. Während er als Kriegsherr unter anderem im Dreißigjährigen Krieg wenig erfolgreich war, gilt dieser König seinen Landsleuten bis heute als wagemutiger und vielleicht erfolgreichster Baumeister aller Zeiten in Kopenhagen. Die Börse ließ er buchstäblich auf Wasser bauen. Ihr Fundament ist, wie später auch diverse benachbarte Ministerien im Regierungsviertel Slotsholmen, dem Meer abgerungen. Den Namen verdankt sie nicht Aktiengeschäften, sondern der ursprünglich hier betriebenen Lagerung und dem Handel mit Korn.

Paradoxerweise gehört zu den Besonderheiten des Baus, dass er bis jetzt von Feuer verschont geblieben war. Andernorts gab es davon reichlich in Kopenhagens Mitte. Das Gebäude mit seiner roten Ziegelfassade hat nicht nur die umfassenden Stadtbrände 1728 und 1795 unbeschadet überstanden, sondern auch verheerende Feuer nebenan auf Schloss Christiansborg 1794 und 1884. Noch in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts brannten gleich nebenan ein historisches, jetzt für das Parlament genutztes Lagergebäude und die Schlosskirche auf der anderen Seite von Christiansborg.

Als fast sicher darf angenommen werden, dass Kopenhagen – wie Paris bei Notre Dame – mit dem Wiederaufbau der Alten Börse rechnen kann. Oberbürgermeisterin Sophie Hæstorp Andersen wie auch Kulturminister Engel versprachen sofort, „alles in ihrer Macht Stehende“ dafür zu tun. Außenminister Lars Løkke Rasmussen fand schon die Frage danach „überraschend“. Er sei zwar nicht zuständig, aber: „Natürlich werden die Menschen in Kopenhagen die ikonische Turmspitze wiedersehen.“

Tesla wird seit einem halben Jahr in Schweden bestreikt

Posted on

Arbeitskampf bei Tesla: Wie schwedische Mechaniker Musk in die Knie zwingen wollen

12.04.2024

Von: Thomas Borchert

Gewerkschaften in Schweden kämpfen für einen Tarifvertrag beim E-Autobauer Tesla. Dessen Chef Elon Musk ist davon nicht begeistert.

Dass vierzig Automechaniker und -mechanikerinnen in schwedischen Tesla-Werkstätten den reichsten Mann der Welt in die Knie zwingen können, klingt unwahrscheinlich. Auf jeden Fall aber hat ihr knapp halbjähriger Streik zur Erzwingung eines Tarifvertrags Elon Musk zu einem öffentlichen Wutausbruch getrieben. „Das ist verrückt“, schrieb der Chef von weltweit 130 000 Tesla-Beschäftigten auf dem Twitter-Nachfolger X, als mehrere Gewerkschaften in Schweden Sympathieaktionen gestartet hatten. Zum Beispiel indem sie die Entladung von Teslas in heimischen Häfen blockierten. „Ich glaube, der Sturm hat uns passiert,“ beruhigte er sich dann selbst diese Woche in einem Podcast und meinte, Tesla in Schweden sei in „einigermaßen guter Verfassung“.

Elon Musk verabscheut Gewerkschaften und Tarifverträge

Nach wie vor stehen Streikwachen vor elf Tesla-Servicecentern. Marie Nilsson, Vorsitzende der Gewerkschaft IF Metall, hat diesen kleinen, aber inzwischen längsten Arbeitskampf in ihrem Land seit 80 Jahren gerade erst wieder zu einem „historischen Kräftemessen zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern“ hochgeredet: „Jetzt ist wichtiger denn je, dass wir zusammenhalten und dass wir durchhalten.“

Dass Musk Gewerkschaften verabscheut und Tarifverträge verweigert, wissen auch die mehr als 10 000 Tesla-Beschäftigten im brandenburgischen Grünheide. Nach der Betriebsratswahl im März freute sich Werksleiter André Thierig auf: „Unsere Belegschaft hat sich mehrheitlich gegen einen gewerkschaftlichen Betriebsrat ausgesprochen.“ Die IG Metall, die jetzt 16 von 39 Betriebsratsmitgliedern stellt, hatte im Wahlprogramm die Forderung nach einem Tarifvertrag erst schüchtern als letzten Punkt aufgeführt, wie ein Fernziel für bessere Zeiten mit mehr Organisierten.

In Schweden sind knapp 70 Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert, Tarifverträge decken sogar 90 Prozent aller Jobs ab. Auch hier aber beschreiten immer mehr junge Unternehmen mit Weltnamen wie Uber und Amazon an der Spitze denselben tariflosen Weg wie Tesla. Mit weniger Lohn, härteren Arbeitsbedingungen und geringerer Arbeitsplatzsicherheit, versteht sich.

Streikende werden von Tesla schikaniert

Vor diesem Hintergrund ist der am 27. Oktober gestartete Streik für ein paar wenige Tesla-Beschäftigte zum Grundsatzstreit für die Verteidigung des „Schwedischen Modells“ angewachsen. Musk hat ihn als „verrückt“ und „Sturm“ wahrgenommen wegen der erfindungsreichen Sympathieaktionen nicht direkt berührter Gewerkschaften. Neben der Blockade durch Hafenarbeiter:innen (auch in den skandinavischen Nachbarländern) stoppte die Postgewerkschaft alle an Tesla adressierten Lieferungen. Aus Servicecentern wird kein Müll mehr abgeholt, und gewerkschaftlich organisierte Elektriker:innen wollten keine Tesla-Ladestationen mehr warten oder neu installieren.

Zusätzlich in Rage versetzt hat die Arbeitnehmerseite, dass Tesla für die am Streik beteiligten Mechaniker:innen Ersatzarbeitskräfte in die Werkstätten schleusen ließ. Das habe es seit einem Grundsatzübereinkommen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern 1938 in Schweden nicht einmal gegeben. Allerdings gehört zur vorläufigen Bilanz auch, dass die Streikwachen an den Werkstoren nie auch nur einen Streikbrecher oder eine Streikbrecherin an der Arbeit hindern konnten. Tesla hat seine Verkaufszahlen in den letzten Monaten stabil gehalten und den Transport von Neuwagen erfolgreich vom Seeweg auf Lkw umgestellt. Von Beginn an beteiligen sich von 120 betroffenen Tesla-Mechanikern und -Mechanikerinnen auch nur 40 am Streik.

So war vielleicht als erste Weichenstellung für eine weiche und zugleich gesichtswahrende Landung Mitte der Woche im Gewerkschaftsblatt „Arbetet“ von mehreren „Geheimtreffen“ zwischen IF Metall und Tesla zu lesen. Eigentlich handelte es sich dabei um gesetzlich zwingend vorgeschriebene Mitbestimmungssitzungen im Betrieb, ohne Bezug zum Tarifstreit. Aber Metallgewerkschafter Karl-Henrik Rosberg aus Göteborg ließ sich mit dem Eindruck zitieren, das „Verhandlungsklima“ sei prima gewesen. Und: „Wir wollten Tesla zeigen, dass wir gute Beziehungen wünschen und dass wir nicht gefährlich sind.“

Der Nobelpreis für Heinrich Böll: Ein Hinterzimmer-Deal

Posted on

Logo

Warum Heinrich Böll 1972 den Nobelpreis erhielt und Günter Grass warten musste

Stand: 04.04.2024

Von: Thomas Borchert

Bisher unter Verschluss gehaltene Dokumente beleuchten Stockholmer Hinterzimmer-Deals beim begehrtesten aller Literaturpreise.

Wie, ich allein, und nicht der Grass auch?“ Heinrich Bölls flapsige erste Reaktion auf den Nobelpreis für Literatur im Herbst 1972 erweist sich jetzt als Kommentar eines wohl vorab, aber doch nur halb Eingeweihten. Bisher geheime Dokumente der Schwedischen Akademie zeigen jetzt, dass die Jury tatsächlich bis fünf vor zwölf eine gemeinsame Auszeichnung für beide ganz oben auf ihrer Liste hatte.

Grass musste sich aber bekanntermaßen noch einmal 27 Jahre gedulden, bis auch er im Frack und mit tiefer Verbeugung den größten aller Literaturpreise vom schwedischen König in Empfang nehmen durfte. Dass ihn die lange Wartezeit hart ankam, deutet auch Grass’ erster Satz 1999 zur Vergabe an ihn an: „Dieser Preis ist eine große Genugtuung für mich.“ Er habe sich „spontan“ gefragt, was wohl Heinrich Böll sagen würde: „Ich habe das Gefühl, er wäre damit einverstanden gewesen.“

Warum ihm die Genugtuung gerade in diesem Jahr zuteil wurde, wird man erst 2050 einsehen können, weil Vorschlagslisten, literarische Gutachten und interne Pro&Contra-Schreiben vor einer Preisvergabe stets fünf Jahrzehnte unter Verschluss bleiben. Für 1972 ist die Frist abgelaufen, und eine unscheinbare gelbe Mappe mit handschriftlich „Heinrich Böll“ vorne drauf liefert faszinierende, mitunter erheiternde Einblicke in das Hin und Her um Böll solo oder Böll & Grass. Sie machen auch klar, dass die maßgeblichen Akademie-Herren (eine Dame gab es hier noch lange nicht) Böll vor allem auszeichneten, weil sie sich um den regionalen Proporz Sorgen machten.

„Künstlerisch findet das Komitee andere Namen besser als die auf der Liste ganz oben,“ schrieb Karl Ragnar Gierow, damals „Ständiger Sekretär“ der Schwedischen Akademie, zu Böll und Grass. Eigentlich würde er lieber den Italiener Eugenio Montales auszeichnen (der 1975 den Zuschlag bekam). Aber: „Es kann nicht geleugnet werden, dass es wohltuend für das Balancegefühl wäre, wenn die Möglichkeit für einen deutschen Nobelpreis diesmal ausprobiert werden würde.“ Man sei „zu lange“ an Deutschland „vorbeigegangen“.

Bei höflichem Lob für „Gruppenbild mit Dame“ als Bölls „bisher repräsentativstem Werk“ tadelt Gierow dessen „aufdringliche Manierismen“ und, verschwurbelt auch im schwedischen Original, die „zu einem gewissen deutschen Literaturjargon gehörende Neigung zu maschinenartig ausgeführten Travestien“ (sic). Begeisterung für einen Nobelpreiskandidaten stellt man sich anders vor. Gierow setzt noch einen drauf: „In Herz und Seele finde ich, dass weder Böll noch Grass so unbeschwert eine so vollkommenes Werk zustandegebracht haben wie Siegfried Lenz mit seiner ‚Deutschstunde‘.“ Die allein reiche aber nicht als Grundlage für einen Nobelpreis.

Lars Gyllensten, ebenfalls Mitglied im fünfköpfigen Komitee, einer Art Politbüro zur Weichenstellung für die finale Abstimmung aller 18 Akademie-Mitglieder, findet auch ausschlaggebend, dass „die deutsche Literatur im Nobelzusammenhang als unterrepräsentiert angesehen werden kann“. Penibel rechnet er vor, dass von insgesamt sechs bis dato deutschsprachig Ausgezeichneten zwei Schweizer gewesen seien (u.a. Hermann Hesse 1946). Zwei hätten keine Belletristik produziert (Theodor Mommsen 1902 und Rudolf Eucken 1908). Die vor den Nazis nach Schweden geflüchtete Nelly Sachs (1966) könne man wohl kaum zu den „rikstyskarna“ („Reichsdeutschen“), also Ausgezeichneten mit deutschem Pass, zählen.

„Nelly Sachs am nächsten kam Thomas Mann“, setzt Gyllensten seine Erbsenzählerei fort und meint wohl einfach, dass es zwischen Mann 1929 und Sachs 47 Jahre später keinen Nobelpreis für deutschsprachige Literatur gegeben habe. Diese Rechnung wenigstens stimmt, Gyllenstens Ermittlung sechs deutschsprachiger Ausgezeichneter dagegen nicht. Es gab sieben – der Juror hatte Gerhart Hauptmann (1912) übersehen.

Als glänzend gelungenen Neustart nach Kriegsende lobt Gyllensten die Gruppe 47: „Die deutsche Nachkriegsliteratur ist jetzt ausgesprochen reich und voller Abwechslung.“ Böll und Grass seien von Beginn an dabei gewesen sowie international als „die herausragenden Autoren“ aus diesem Kreis anerkannt. Dass die (bundes-)deutsche Literatur jetzt wieder sprudele, treibt den Nobeljuror zu sportlichen Abwägungen wie beim Windhundrennen: Jüngere Autoren wie Lenz und auch Peter Weiss seien als „eventuelle Konkurrenten“ für das Duo Böll & Grass einzustufen. Man könne letzteres „jetzt oder sehr bald“ auszeichnen. Oder: „Man wartet so lange, bis sie (die jüngeren) beide Deutschen dieses Jahres abgehängt haben.“

Herausragend findet Gyllensten den maßgeblichen Anteil der Top-Kandidaten beim „mutigen Einsatz der deutschen Literatur zur Abrechnung mit der Nazi-Vergangenheit und ihren Überbleibseln“. Das hatte seinen Preis: „Beide sind Gemeinheiten und Verfolgungen vor allem von der Springer-Presse, ausgesetzt gewesen, wenn sie publizistisch zu aktuellen und kontroversen politischen Streitfragen Stellung bezogen haben.“ Sie seien „politisch links, aber nicht sehr weit in diese Richtung“ zu verorten, was vor allem Grass seine Vaterrolle bei „jüngeren und mehr extrem radikalen Autoren“ gekostet habe.

Gyllensten selbst nahm politisch kontrovers Stellung, als er die Schwedische Akademie 1987 aus Protest gegen deren jämmerliches Schweigen zur Fatwa gegen Salman Rushdie verließ. Seine rein literarisches Verhältnis zur Böll und Grass fiel 1972 zwiespältig aus. Neben Anerkennung für Bölls kürzere Satiren und die Frühwerke „Blechtrommel“ sowie „Hundejahre“ aus der Feder von Grass setzt es harte Kritik. Zu Böll meint er, dass „die größeren Romane mitunter lange, unkonzentrierte, langweilige, ja sogar mechanische, tote Strecken enthalten“. Der 1972 aktuelle Grass-Roman („Örtlich betäubt“) „reicht nicht an die beiden früheren Romane heran und wird nach meiner Meinung von pädagogischer Überdeutlichkeit geprägt, die oft ermüdend und trocken daherkommt.“

Aber: „In seinen besten Augenblicken erreicht er ein höheres Niveau als seine deutschen Kollegen inklusive Böll.“ Beide seien zwar „Realisten mit Stärken im Anschaulichen und psychologischen Einleben“, aber „ohne sonderlich beachtenswertes Tieferbohren.“ Gyllensten spricht sich für eine Vergabe an beide aus.

Unverhohlener äußert sich als drittes Komiteemitglied Artur Lundkvist. Zu „Örtlich betäubt“ schreibt er: „Nach Grass’ neuem Buch sind seine Aktien beträchtlich gefallen. Es sieht so aus, als könne man seinen Namen streichen.“ Böll findet er insgesamt „zu schwach“ für einen Solo-Preis, er hat für ihn nichts mit „eindeutig meisterlichem Niveau“ geschrieben. Im Gegenteil: „Man kommt bei ihm nicht an einer gewissen Fertigkeit zum Glätten bis hin zu einer Art Opportunismus vorbei.“ Trotz aller Bedenken sei er bereit, für Böll zu stimmen „mit dem Gedanken an die deutsche Nachkriegsliteratur in ihrer Gesamtheit, vorausgesetzt es findet sich keine bessere Alternative.“

Bis zur letzten Abstimmung unter allen 18 Akademiemitgliedern grübelten die fünf maßgeblichen über eine Entscheidung für das Duo oder alternativ allein für Böll. „Der Eindruck eines geteilten Preises kann leicht werden, dass keiner der Preisträger den ganzen wert ist“, warnte Gierow. Als Befürworter der Tandem-Lösung widersprach ihm Gyllensten, kurioserweise mit genau demselben kritischen Blick auf Böll und Grass: „Ein geteilter Nobelpreis ist wohl an seinem Platz, insbesondere weil gewisse Bedenken gegen beide jeweils für sich ihre Berechtigung haben.“

Warum es dann doch zum alleinigen Preis für den älteren der beiden kam, ist der gelben Mappe nicht zu entnehmen. Der Literaturwissenschaftler Paulus Tiozzo vermutet eine generell in der Akademie verbreiteten Abneigung gegen doppelte Vergaben, weil sie „als eine Art Abwertung des Literaturnobelpreises verstanden wurde“. Tiozzo hat für seine Dissertation „Der Nobelpreis und die deutschsprachige Literatur“ (Göteborg 2022) die internen Komitee-Unterlagen zu allen deutschsprachig Ausgezeichneten und Nominierten 1901–1971 durchforstet. Auch in den 60er Jahren ging es schon kräftig um Grass und Böll als Kandidaten. „Vor allem erscheint sich Grass’ politisches Engagement noch nachteilig für ihn ausgewirkt zu haben“, meint Tiozzo. Beim allseits auch in Schweden beliebten Böll habe man sich „sicherer vor politisch motivierter Kritik gefühlt“.

Auch das ist nur eine Vermutung. Sein Studium der Komitee-Dokumente aus 70 Jahren fasst Tiozzo so zusammen: „Man könnte sagen, dass sie den Literaturnobelpreis entmystifizieren. Denn hinter all dem Prunk und dem Mythos, die von der Schwedischen Akademie selbst und den Medien aufrechterhalten werden, zeigen sie, dass der Kern des Literaturnobelpreises mehr oder weniger aus den Kompromissen eines dubiosen Kreises besteht.“ Hinterzimmer-Deals also.

Optimismistisches aus Dänemark

Posted on

Demos für Demokratie, Fanproteste und die Inflationswende: Elf optimistische Botschaften zu Ostern

Stand: 29.03.2024, 16:24 Uhr

Von: Thomas Borchert, Gerd Braune, Stefan Brändle, Tatjana Coerschulte, Christine Dankbar, Pamela Dörhöfer, Michael Hesse, Stephan Kaufmann, Florian Leclerc, Jan Christian Müller

Samstag, 30. März 2024, Deutschland / Politik

Dänemark Muslima welcome

Kurz vor dem Osterfest hat sich Brian Mikkelsen, Chef des dänischen Gewerbeverbandes und politisch stramm rechts sozialisiert, mit einem überraschenden Lob zu Wort gemeldet: Der „Sturm“ von Zuwanderinnen aus „nicht-westlichen Ländern“ in Jobs aller Art sei eine herausragend positive Entwicklung für den heimischen Arbeitsmarkt.

Das schöne Prädikat „solstålehistorie“ – im weniger poetischen Deutschen „Sonnenscheingeschichte“ – vergibt Mikkelsen an die Frauen aus arabischen und nordafrikanischen (sprich: muslimischen) Ländern. Menschen aus dieser Region samt ihren Nachkommen werden in Dänemarks amtlichen Statistiken gesondert erfasst und tauchen darin in aller Regel als trostlose Beispiele für zwangsläufig scheiternde Integration qua Herkunft auf. Aber siehe da: Entzückt notiert Verbandschef Mikkelsen, dass sich die Beschäftigtenzahl bei einem Plus um 17 Prozent insgesamt im Königreich für die „nicht-westlichen“ Frauen seit 2015 um satte 105 Prozent mehr als verdoppelt hat. Besonders profitieren davon die händeringend nach Arbeitskraft suchenden Branchen Gesundheit und Pflegedienste.

Klar, hier wie auch bei Hotels und Restaurants steigen diese Zuwanderinnen überwiegend in niedriger qualifizierte Jobs ein. Ihre Beschäftigungsquote insgesamt ist auch weiterhin viel zu gering. Aber die junge Generation schmückt schon seit längerem die Statistik zu Bildung und Ausbildung mit immer mehr Rekorden. Der Anteil von Zuwanderinnen mit Abi samt Berufsausbildung ist 2022 von 50 auf 65 Prozent gestiegen. 2023 ermittelte das Analyse-Institut Kraka, dass Kinder aus „nicht-westlichen“ Familien an Gesamtschulen ihren notorisch schlechteren Zensurenschnitt gegenüber ethnisch dänischen Vergleichsgruppen in einen Vorsprung umgewandelt haben. Daran waren sogar die Jungs beteiligt. Thomas Borchert

Greta Thunberg weist deutsche Kritik an Gaza-Solidarität hart zurück

Posted on

Greta Thunberg verteidigt Gaza-Haltung gegen deutsche Kritik: „Israel begeht einen Völkermord“

Stand: 29.03.2024

Von: Thomas Borchert

Schwedens Klima-Aktivistin reagiert in einem TV-Interview auf Ricarda Lang und Carla Reemtsma; sie bleibt bei ihren radikalen Vorwürfen gegen Israel.

Stockholm – Greta Thunberg hat Kritik von Fridays for Future Deutschland und von Bündnis 90/Grüne wegen „Einseitigkeit“ ihrer Kommentare zum Krieg in Gaza rundheraus zurückgewiesen. „Es geht darum, dass Israel Hunger als Waffe anwendet und dass Israel einen Völkermord begeht,“ wiederholte sie in einem TV-Interview vor dem Osterwochenende. Und: „Wofür steht eine Bewegung für Klimagerechtigkeit, die sich nicht distanzieren kann, wenn ein Völkermord begangen wird und Zehntausende Menschen sterben?“

Thunberg reagierte auf Einspieler mit Distanzierungen der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und von der deutschen Klimaschutzaktivistin Carla Reemtsma für Fridays for Future Deutschland mit einem vielleicht milden, vielleicht sarkastischen oder einfach nur unsicheren Lächeln, aber zumeist mit unbewegter Miene. Reemtsma: „Greta Thunberg verletzt mit ihren Aussagen gerade ganz, ganz viele Menschen, weil jüdisches Leid nicht sichtbar gemacht wird in dem, was sie sagt.“ Von Lang kam der Vorwurf, Thunberg „missbrauche“ das „richtige Anliegen Klimaschutz für eine einseitige Position zum Israel-Palästina-Konflikt“.

Greta Thunberg will für „für grundlegende Menschenrechte“ kämpfen

Dazu sagte die weltbekannte Schwedin: „Zunächst mal waren wir vom ersten Tag an klar darin, dass es natürlich um alle betroffenen Menschen der Zivilbevölkerung geht. Aber auch, dass wir uns gegen alle Formen von Diskriminierung inklusive Islamophobie und Antisemitismus stellen.“ Nur gehe es in diesem Fall nicht darum, sondern um Hunger als Waffe und einen Völkermord durch Israel. Auf die Frage, ob folglich der deutsche Teil der von Thunberg initiierten Fridays for Future und die Grünen als Berliner Regierungspartei „falsch liegen“, antwortete Thunberg: „Ich meine nicht, dass es der Bewegung für Klimagerechtigkeit schaden kann, für grundlegende Menschenrechte aufzustehen.“

Greta Thunberg wegen Blockade im Fokus

Auslöser und eigentliches Hauptthema des Interviews war Thunbergs Mitwirkung an einer gesetzeswidrigen Blockade des Haupteingangs vor dem Reichstag in Stockholm. Dies hatte in der schwedischen Öffentlichkeit wesentlich größere Aufmerksamkeit ausgelöst als ihre Gaza-Solidarität mit Posts und Demo-Auftritten. Auch in Schweden greifen Klimagruppen zunehmend zu militanteren Aktionsformen wie Straßenblockaden oder einer Blockade des alljährlichen Wasa-Skilanglaufs mit Zehntausenden auf der Loipe. Darüber wird heftig gestritten.

Hintergrund ist die Klimapolitik der derzeitigen rechten schwedischen Regierung, die nach den Wahlen 2022 mit den Versprechen billigeren Benzins, des Stopps von Windkraft-Projekten und des massiven Ausbaus der Atomkraft an die Macht gekommen war. Diese Woche erst erklärte der „Klimapolitische Rat“ als staatlich bestelltes Expertengremium in seinem Jahresgutachten, dass mit der jetzt geführten Klimapolitik in Schweden die CO2-Emissionen weiter steigen und Verantwortung „in die nächste Mandatsperiode verschoben wird“. Unter keinen Umständen seien so die nationalen wie die EU-Klimaziele zu erreichen.

Greta Thunberg klagt: „Keiner hört auf uns, egal was wir tun“

Thunberg verteidigte im Interview auf Sveriges Television militante Aktionsformen als legitim, wenn „die Politik ihre Macht zur Aufrechterhaltung dieses destruktiven Systems anwendet“, wie sie sagt. Die Klimabewegung habe seit vielen Jahren alle nur erdenklichen Aktionen unternommen. Aber: „Für uns junge Menschen ist ausgesprochen frustrierend, dass all dies geschieht und wir nichts machen können. Denn keiner hört auf uns, egal was wir tun.“

Daheim war Thunberg nach ihren zunächst einsamen freitäglichen Schulstreiks zu nationaler Popularität gelangt. Dass sie dann vom Papst über Angela Merkel bis Barack Obama für schöne Fotos und Klimaschutz-Appelle hofiert wurde, brachte ihr in Schweden Kultstatus ein auf einer Stufe mit Ingmar Bergman, Abba und dem Königspaar. Der bröckelt nun im Kielwasser des Klima-Rollbacks von rechts. (Thomas Borchert)

Wehrpflicht für Frauen in Dänemark

Posted on Updated on

Dänemark: Regierung kündigt Wehrpflicht für Frauen an

Dänemark führt die Wehrpflicht auch für Frauen ein und weitet die Dauer für alle von bisher vier auf elf Monate aus. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hat diese Veränderungen zusammen mit weiteren massiven Aufrüstungsbeschlüssen ihrer Regierung verkündet. So sollen im vergangenen Jahr beschlossene Zusatzausgaben für das Militär noch mal um 40,5 Milliarden Kronen (5,4 Milliarden Euro) bis 2028 angehoben werden. Das skandinavische Land soll jetzt schon in diesem Jahr 2,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung erreichen. 2023 hatte die Regierung zwei Prozent bei Gesamtausgaben von 155 Milliarden angepeilt.

Die sozialdemokratische Regierungschefin sagte zur Begründung: „Jetzt geht es um Waffen und Aufrüstung. Nicht, um weit weg von uns selbst die Demokratie aufzubauen, sondern um unsere eigene Demokratie auf unserem eigenen Kontinent zu verteidigen.“ Eine Anspielung auf die Beteiligung ihres Landes am katastrophal verlorenen Krieg in Afghanistan. Frederiksen hat seit ihrem Antritt 2019 die vor allem von Ex-Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen als dänischem Regierungschef betriebene Politik fortgesetzt und ihr Land als militärisch besonders eifriges Nato-Mitglied sowie als US-Verbündeten profiliert.

Dazu gehörten in den letzten Monaten immer wieder auch Ankündigungen in düsterer Tonlage etwa zur Bewahrung des hohen Lebensstandards in Dänemark: Dass es nun „nicht mehr um Wohlfahrt, sondern um Sicherheit“ gehe, dass „Freiheit ihren Preis hat“ und dass „man Kriege nicht mit Worten gewinnt“. Zur jetzt verkündeten massiven Steigerung der Militärausgaben sagte Frederiksen: „Ich glaube, es wird weiter Bedarf an noch mehr Investitionen in Verteidigung und Sicherheit geben.“ Kompromisslos tritt sie auch für wesentlich mehr Militärhilfe an die Ukraine ein.

Stimmen aus der Opposition vermuten, dass die 46- Jährige sich für einen internationalen Top-Posten in Stellung bringen will. In Kopenhagen gilt als ausgemacht, dass Frederiksen gern die Nachfolge von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg übernehmen würde. Seit klar war, dass sie vor allem gegen den niederländischen Noch-Premier Mark Rutte wohl keine Chancen hat, soll sie ihr Augenmerk auf die Neubesetzung der Brüsseler Ratspräsidentschaft nach der Europawahl im Juni gerichtet haben. Frederiksen widerspricht dem nur in moderater Form. Von der dänischen Öffentlichkeit werden die Aufrüstungspläne ganz überwiegend zustimmend aufgenommen.

Das gilt auch für die Einführung der Frauen-Wehrpflicht bei annähernder Verdreifachung der Dauer, von der offenbar niemand so richtig grundlegende Veränderungen erwartet. Bisher galt sie auch für die Männer Grunde nur auf dem Papier, weil die Armee in der Regel genügend Freiwillige unter den Wehrpflichtigen finden konnte. Dass deren Anteil nun von 4700 auf 5000 unter Dänemarks Soldaten (und den Berufssoldatinnen) ansteigen soll, klingt nicht unbedingt nach einer revolutionären Umwälzung. In ersten Reaktionen wird vor allem die Finanzierung durch Staatsverschuldung und die konkrete Umsetzung all der gewaltigen Beschaffungspläne für das Militär infrage gestellt. Es hat als „kaputtgesparte“ und durch Inkompetenz und Nepotismus an der Spitze schwer geplagte Einrichtung einen miserablen Ruf. Kommentar Seite 11

Dänemark: Wehrpflicht ohne Protest

15.03.2023

Von: Thomas Borchert

In Dänemark militarisieren sich Politik und Diskurs. Die neue Wehrpflicht für Frauen ist ein Baustein – und ein Zeichen für die Ambitionen der Premierministerin Frederiksen. Der Kommentar.

Wehrpflicht für Frauen gibt es in acht Staaten der Welt, darunter Nordkorea, Israel und Eritrea. Dänemarks Premierministerin Mette Frederiksen verweist bei ihrer Initiative dafür lieber auf Norwegen und Schweden, wo Frauen längst eingezogen werden können und niemand das grundsätzlich in Frage stellt.

Wer für die Wehrpflicht ist, kann gerade im feministisch meistens vorneweg eilenden Skandinavien nur schwer Argumente gegen Gleichstellung bei Einberufungen argumentieren. Hinzu kommt im Königreich Dänemark, dass die Wehrpflicht meistens ein Papiertiger auch für Männer gewesen ist, weil die Armee ihren Bedarf überwiegend aus Freiwilligen gedeckt hat. Auch deshalb fällt der Widerspruch gegen die Frauen-Wehrpflicht hier markant schwächer aus, als das etwa bei einem Anlauf aus Berlin zu erwarten wäre.

Frederiksens Initiative ist einer von vielen Bausteinen bei der Militarisierung von Politik und Diskurs. Dass die Sozialdemokratin ihre Rhetorik dafür wohl auch zur eigenen Profilierung für einen Top-Posten in Brüssel gezielt schärft, hinterlässt einen schalen Geschmack.

Sipri: Rüstung geht weltweit steil nach oben

Posted on

Rüstungskäufe legen weltweit zu: Wer am meisten profitiert

11.03.2024

Von: Thomas Borchert

Laut dem Stockholmer Sipri-Institut profitieren die USA am meisten im weltweiten Waffenhandel. Russlands Exporte sind auch wegen mangelnder Qualität rückläufig.

Stockholm – Neue Rüstungsrekorde mit immer steileren Kurven nach oben bringen die Erhebungen des Stockholmer Friedensforschungsinsituts Sipri. So haben die Staaten in Europa ihre Importe von 2019 bis 2023 gegenüber den voraufgegangenen fünf Jahren mit plus 94 Prozent fast verdoppelt. Den mit Abstand größten Anteil an den Importen hatte dabei die Ukraine. Bei der voraufgegangenen Erhebung hatte Sipri für Europa schon eine Steigerung um 20 Prozent ermittelt. Mit den neuen Zahlen lag der Kontinent immer noch weit unter den Rüstungseinfuhren in anderen Regionen der Welt wie Asien, Nahost und den Pazifik-Ländern.

Eindeutig am kräftigsten profitiert von diesem Megatrend die Rüstungsindustrie der USA. Sie konnte die Exporte seit 2019 um 17 Prozent steigern und hat ihren Weltmarktanteil als Waffenlieferant von 32 auf 42 Prozent gesteigert. Ebenfalls stark ins Auge fallen bei den Sipri-Zahlen die Exporterfolge der französischen Rüstungsindustrie mit einem Zuwachs um 47 Prozent. Damit hat Frankreich erstmals den seit Jahrzehnten von Russland gehaltenen zweiten Platz auf der Weltrangliste mit einem Weltmarktanteil von elf Prozent mit hauchdünnem Abstand übernommen. Der russische Anteil hat sich gegenüber 2014 bis 2018 bei 21 Prozent knapp halbiert.

Deutsche Rüstungsverkäufe leicht gesunken

Leicht gesunken ist der deutsche Weltmarktanteil von 6,3 auf 5,6 Prozent. Zum Rückgang der deutschen Rüstungsexporte 2019 bis 2023 um 14 Prozent sagte der zuständige Sipri-Experte Pieter Wezeman der Frankfurter Rundschau: „Man muss bedenken, dass der nach einem vorher kräftigen Wachstum entstanden ist.“ Nicht berücksichtigt seien in den Zahlen der Sipri-Forscherinnen und -Forscher auch die sehr erheblichen deutschen Munitions-Lieferungen in die Ukraine, da man nur größere Waffensysteme erhebe.

Wezeman bezifferte den Anteil der Ukraine an sämtlichen europäischen Einfuhren solcher Systeme mit 23 Prozent. Er sagte weiter: „Das zeigt, wie wichtig das Land hier ist, aber auch, wie substanziell im restlichen Europa aufgerüstet worden ist.“ Vor allem in den letzten beiden Jahren hätten „praktisch alle europäischen Staaten viele zusätzliche Waffensysteme oft auch bei ausländischen Produzenten bestellt“.

Russlands Handelspartner für Rüstungsindustrie wenden sich ab – zu geringe Qualität?

Die russischen Ausfuhren gingen im letzten Fünfjahres-Zeitraum um 53 Prozent zurück. Zu den Gründen dafür meint Wezeman: „Vor allem Indien wendet sich anderen Versorgern zu. Seit Jahrzehnten war das Land der wichtigste Abnehmer russischer Rüstung und ist nach wie vor weltweit größter Rüstungsimporteur.“ Jetzt blicke man neben mehr Eigenproduktion nach Frankreich, Israel und den USA. Auf die Frage nach politischen, technischen oder wirtschaftlichen Gründen sagte Wezeman: „Es ist eine Kombination.“

Neben Enttäuschung über geringere technische Qualität russischer Produkte gehe es Indien „auch um die USA als Sicherheitspartner“ bei den eigenen Konflikten mit China. Insgesamt fiel die Zahl der Abnehmerländer für russische Rüstung von 31 im Jahr 2019 auf zuletzt zwölf. Vermutlich auch als Folge des eigenen Angriffskrieges gegen die Ukraine sank der Rüstungsexport allein von 2022 auf 2023 um die Hälfte.

https://datawrapper.dwcdn.net/eJ3fa

Meine news

China bleibt als Rüstungsexporteur mit einem Weltmarktanteil von 5,8 Prozent und einem Rückgang in den letzten fünf Jahren um 5,3 Prozent nach wie vor auch weit hinter Russland zurück. Die zunehmenden Spannungen in Asien mit Blick auf China und Nordkorea haben in Japan zur Steigerung der Militäreinfuhren um 155 Prozent geführt. Im Pazifik-Raum (Ozeanien) hat Australien ebenfalls als Reaktion auf Pekings Politik 2023 allein sechs Atom-U-Boote in Großbritannien und den USA bestellt.

USA bleiben bei Rüstungsexperten weiterhin an der Spitze

Asien und Ozeanien zusammen sind die Region mit dem höchsten Anteil an Rüstungsimporten, 37 Prozent, gefolgt vom Nahen Osten mit 30 Prozent und Europa mit 21 Prozent. Umgekehrt standen die USA und Westeuropa 2019 bis 2023 für 72 Prozent aller Rüstungsexporte und konnten ihren Weltmarktanteil damit um zehn Prozentpunkte steigern.

Nichts mehr wie zuvor – ein außenpolitischer Rückblick

Eine zentrale Rolle spielte dabei die weltweite Nachfrage nach neuen Kampfflugzeugen. Die USA verkauften insgesamt 420, davon 249 der hypermodernen F-35, die ein Viertel der Rüstungsexporte ausmachten. Wie krass der Aufrüstungswille sich weltweit ausbreitet, zeigt eine Tabelle der Auftragsbücher im neuen Sipri-Bericht: Danach sind in den USA derzeit 1071 neue Kampfflugzeuge bestellt. Frankreich hat laut dem Stockholmer Institut mit 223 georderten Kampfflugzeugen vom Typ Rafale ebenfalls einen „relativ hohen Auftragsbestand“. Aus China seien 94 und aus Russland 78 Kampfjets geordert worden.