Month: February 2024

Wahlvorschau Finnland: Wer wird neuer Präsident?

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Kaum echte Streitthemen in Finnland

Stand: 09.02.2024, 13:39 Uhr

Von: Thomas Borchert

Die Präsidentschaftskandidaten in Finnland zeigen vor der Stichwahl am Sonntag wenig inhaltliche Reibungspunkte.

Am Sonntag wählen Finnlands 4,5 Millionen Stimmberechtigte ihren neuen Präsidenten in wahrlich unruhigen Zeiten. 300 000 von ihnen haben das Land eine Woche vor der Stichwahl zwischen dem konservativen Ex-Premier Alexander Stubb und Ex-Außenminister Pekka Haavisto von den Grünen mit einem politischen Massenstreik tagelang lahmgelegt. Sie wollen radikale Sparpläne der Rechts-Regierung im Sozial- und Gesundheitswesen nicht kampflos hinnehmen. Beunruhigend kämpferische Stimmung herrscht auch beiderseits der 1340 km langen Grenze zum Nachbarn Russland, seit Finnland letztes Jahr als Folge des Überfalls auf die Ukraine der Nato beigetreten ist.

Trotz alledem präsentieren sich die Kandidaten für die Nachfolge von Amtsinhaber Sauli Niinistö im Wahlkampf betont ruhig und mit ausgeprägtem gegenseitigen Respekt. „Es wird auf jeden Fall ein sehr guter Ausgang für unser Land,“ so der 55- jährige Stubb beim TV-“Duell“ und erntet mildes Kopfnicken vom zehn Jahre älteren Haavisto. Zum einen kann er sich das angesichts seines zwar geschrumpften, aber doch einigermaßen sicheren Vorsprungs von 54 gegen 46 Prozent bei aktuellen Umfragen leisten. Den ersten Wahlgang hatte Stubb knapp mit 27,2 Prozent vor Haavisto (25,8 Prozent) gewonnen.

Zum anderen machen beide keinen Hehl daraus, dass sie sich im Wesentlichen einig sind. Haavisto hat sich vom klassischen Grünen längst zu einem auch für die bürgerliche Wählerschaft akzeptierten „Mann der Mitte“ mit honoriger Ausstrahlung gewandelt. Er tritt für den weiteren Ausbau der Atomkraft in Finnland ein und hat als Außenminister mit der letztes Jahr abgewählten Regierungschefin Sanna Marin von den Sozialdemokraten und dem konservativen Niinistö ohne Wenn und Aber den Nato-Beitritt betrieben. Stubb hatte sich nach seinen nur elf Monaten als Premier 2014-2015 aus der finnischen Politik verabschiedet und unter anderem als Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg auf eine internationale Technokraten-Karriere gesetzt. Niinistö (75) darf nach zwölf Jahren mit zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren.

Die Nachfolge-Kandidaten empfehlen mangels zündender Streitthemen, sich zwischen ihren Persönlichkeiten mit „unterschiedlichen Führungseigenschaften“ zu entscheiden. Dabei geht es nicht nur darum, wer die schönere Neujahrsansprache halten kann: Finnlands Präsident hat starke außenpolitische Befugnisse und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Bei einer Erhebung des EVA-Institutes wünschten sich 74 Prozent einen „robusten Oberkommandierenden“ als Präsidenten. 64 Prozent hoffen, dass er „in Krisensituationen entschlossen die eigene Macht auch erweitert“.

Umso bizarrer mutet an, welche persönliche Eigenschaft am Sonntag den Ausschlag für den mit einer gebürtigen Britin verheirateten Familienvater Stubb geben könnte. Haavisto lebt in registrierter Partnerschaft mit einem aus Ecuador nach Finnland gekommenen Mann zusammen. „Finnland ist reif für einen homosexuellen Präsidenten,“ sagt Haavisto dazu, kennt aber auch die Umfragen: Ein Drittel der Befragten erklärt, dass die sexuelle Orientierung bei ihrer Entscheidung gegen ihn eine Rolle spiele. Er sei überrascht, dass seine sexuelle Orientierung im aktuellen Wahlgang plötzlich ein größeres Thema wurde, sagte Haavisto weiter. Dafür habe nicht zuletzt der öffentliche Rundfunk gesorgt. Sollte Haavisto sich durchsetzen, wäre er der erste Grüne und der erste offen schwul lebende Präsident Finnlands.

Seit dem ersten Wahlgang haben beide Kandidaten vor allem um die 19 Prozent für den als rechtsradikalen Jussi Halla-aho gebuhlt, der 2008 wegen Hetze gegen den Islam rechtskräftig verurteilt wurde. Das Rekordergebnis für die extremistischen „Wahren Finnen“, die zusammen mit den Konservativen regieren, ist vielleicht das wichtigste Ergebnis der Wahl. Halla-aho es als Reichstagspräsident im letzten Jahr ins zweithöchste Staatsamt geschafft.