Linke Parteien profitieren von der Sorge ums Klima
von Thomas Borchert
Demoskopen sehen Rechtspopulisten vor den Wahlen in Dänemark im freien Fall.
Kurz vor zwei Wahlen in Folge stellt die Sorge um das Klima bei den Dänen den Dauerbrenner Flüchtlinge und Zuwanderung immer stärker in den Schatten. Die nördlichen Nachbarn Deutschlands stehen bei der Europawahl und den nationalen Wahlen nur zehn Tage später vor einem Linksruck und massiven Verlusten der bisher so starken Rechtspopulisten. Fast im freien Fall sehen alle Umfragen derzeit die Dänische Volkspartei (DF), die seit zwei Jahrzehnten als Mehrheitsbeschafferin bürgerlichen Regierungen die extrem harte dänische Ausländerpolitik diktieren kann. Read the rest of this entry »
Als nicht-dänischer Wahlbeobachter geht mir jedesmal das dänische Märchen vom Kaiser in den neuen Kleidern durch den Kopf, wenn ich an Mette Frederiksen denke – auch als der Berliner Chefredakteur ein Porträt von Dänemarks wahrscheinlich kommender Regierungschefin bestellte. „Hat sie vielleicht ein Rezept für die deutsche Sozialdemokratie, die lebensgefährlich darniederliegt?“ fragte der. Mithilfe von Hans-Christian Andersen will ich jetzt erzählen, warum die Antwort Nein lautet.
Gemessen am kümmerlichen Ergebnis der letzten Folketingswahl hat Frederiksen ihre sozialdemokratische Partei keinen nennenswerten Zuwachs gebracht. Die Wähler wählen einfach nur eine schwache, total verschlissene Regierung ab. Dass der „rote Block“ so einen gewaltigen Vorsprung hat, muss den anderen Parteien dieses Lagers, Volkssozialisten, den sozialliberalen und der Einheitsliste zugeschrieben werden. Und die hat Frederiksen mit kaiserlicher Selbstsicherheit von der Regierungsbeteiligung ausgeschlossen. Read the rest of this entry »
(Als einer von 7 “Wahlbeobachtern” für die Zeitung hab ich diesen Kommentar geschrieben. Dies ist die Übersetzung. Erschienen am 10.Mai 2019).
Schaudern in Deutschland: Passiert das wirklich im freundlichen Dänemark?
Wahlbeobachter: Stellt euch vor, da kandidiert jemand ungehindert mit der Forderung nach Deportation aller Juden für das Folketing
Von Thomas Borchert
Der Kandidat Rasmus Paludan Foto: Philip Davali/Ritzau Scanpix
Wie erklärt man deutschen Lesern den dänischen Wahlkampf? Was ist da so ganz anders? Mein erster Anlauf für die „Frankfurter Rundschau“ ist nach einem Fehlstart etwas holprig ausgefallen. Genau eine Stunde vor Lars Løkkes Ausrufung der Wahl war der Artikel über die Zulassung der Paludan-Partei fertig und gemailt. Für meine Landsleute südlich der Grenze schien das auch ohne feststehendes Wahldatum hochinteressant: Dass jemand mit der Forderung nach Deportation aller Muslime, dem Verbot ihrer Religion und der Ankündigung vom „Blut der fremden Feinde in den Kloaken“ ungehindert antreten kann und laut Umfragen Chancen hat.
Auch beschrieb ich, selbst überrascht, dass die staatstragenden Parteien Venstre und Sozialdemokratie über eine möglichen Zusammenarbeit mit solchen Kräften erst nach der Wahl Stellung wollten. Naser Khader von den Konservativen verkündete im Radio, man müsse einfach abwarten, ob denn diese neue Partei im Folketing für den blauen oder den roten Block stimmen werde. Für deutsche Leser klingt das nach den unglücklichen Erfahrungen mit einem zuerst auch von niemandem so recht ernstgenommenen Landsmann bizarr: So etwas im freundlichen Dänemark?
Dann kam die Nachricht vom Wahldatum 5. Juni. Lars Løkke zog jetzt zu Paludan genau die Parallele, die sich jedem mit ein bisschen Geschichtskenntnis aufdrängt: „Sidst man hørte om sådan nogle tanker, hvor der var en bestemt religion, der skulle trykkes ud, og folk, der skulle deporteres, det var dengang i mellemkrigstiden og i 2. verdenskrig.“ Das hab ich in aller Eile nachträglich (sowie froh!) in den Artikel eingefügt und die Sätze über das atemberaubende Schweigen von Venstre und Sozialdemokraten gestrichen.
Leider war weder Platz noch Zeit war für das Kleingedruckte mit Fragezeichen dahinter. Wie glaubwürdig klingt dieser Ausschluss der Zusammenarbeit mit Paludan eigentlich in den Ohren dänischer Wähler? Løkke polterte in der ersten partilederdebat, er könne sein „Regierungsprojekt“ nicht von den „Nye Borgerlige“ abhängig machen, wenn die ultimativ den Austritt Dänemarks aus internationalen Konventionen verlangen. Die Wähler wissen aber ganz genau, dass Venstre seine Ministerposten schon lange bereitwillig von der Dansk Folkeparti (DF) abhängig gemacht hat und dies auch liebend gern weiter tun würde. Kristian Thulesen Dahl sagt in seinen Wahlkampf mehrfach täglich, dass für DF der Austritt aus der Menschenrechts- und der Flüchtlingskonvention ganz oben auf der To-Do-Liste steht. Von der neuen Konkurrenz noch schärfer rechts unterscheidet ihn hier einzig das Wörtchen „ultimativ“.
Løkke hat Pernille Vermund inzwischen schon gelobt, weil sie sich „moderiert“ habe, und das kann bei Bedarf wohl auch ein Paludan liefern. Der ziemlich hoffnungslos hinten liegende Amtsinhaber weiß ja ganz genau, dass er sein „Regierungsprojekt“ allenfalls mit DF plus diesen beiden beim maximalen Ausreizen des „Ausländerthemas“ retten könnte. Wie weit wird er das treiben? Vom Rednerpult im Folketing verkündete Løkke schon mal, er strebe „Steuersenkungen für hart arbeitende Dänen mit kleinen Einkommen“ an, während „andere das Geld lieber für arbeitslose Ausländer anwenden“. Das hör ich auch als hier lebender Ausländer mit Interesse, vor allem aber mit Schaudern und wünsche allen Dänen einen guten Wahlkampf. Den mit den kleinen sowie mittleren Einkommen und warum auch nicht den mit den hohen.
Valgobservatør: Thomas Borchert, (f. 1952) tysk korrespondent, bosat i København, på Falster og en smule i Berlin. Han skriver for Frankfurter Rundschau og er forfatter til en bog med titlen ”Gebrauchsanweisung für Dänemark”. Som observatør har han oplevet danske valgkampe siden 1984. Han er mest interesseret i, hvordan der kan blive plads til andre temaer end udlændingepolitik som klima, bolignød, social ulighed og bevarelsen af demokrati i et splittet Europa.
Dette er en kommentar: Jyllands-Posten har et fast korps af personer, der kommenterer vores samfund. Kommentaren er udtryk for skribentens egen holdning.
Gys i Tyskland: Sker dette virkelig i det venlige Danmark?
Valgobservatør: Tænk, at nogen med krav om deportation af alle muslimer uhindret kan stille op til Folketinget.
Tyske læsere, med ulykkelige erfaringer med en landsmand, som heller ikke rigtig blev taget alvorlig i starten, måtte jo finde dette bizart: Sker dette virkelig i det venlige Danmark? Foto: Philip Davali/Ritzau Scanpix
Thomas Borchert
tysk korrespondent, bosat på Amager og Falster
Valgobservatørerne
Hvordan forklarer man tyske læsere den danske valgkamp? Hvad er det, der er helt anderledes?
Mit første forsøg på at formidle det til Frankfurter Rundschau faldt ikke helt heldigt ud. Præcis en time før Lars Løkke udråbte valget, var min artikel om godkendelse og opstillingsberettigelse af Paludan-partiet færdig og sendt afsted. For mine landsmænd syd for grænsen var det i sig selv også uden valgdato yderst interessant: Tænk, at nogen med krav om deportation af alle muslimer, forbud mod deres religion og opfordring til at lade »de fremmede fjenders blod strømme i kloakkerne« uhindret kan stille op til og ifølge meningsmålinger også har chance for at komme ind i Folketinget!
Jeg beskrev også – og var selv overrasket – at de store statsbærende partier Venstre og Socialdemokratiet ikke ville tage stilling til et muligt samarbejde med sådanne kræfter før efter et valg. Naser Khader fra De Konservative udtalte i radioen, at man jo måtte vente og se, om det nye parti ville støtte den blå eller den røde blok. Tyske læsere, med ulykkelige erfaringer med en landsmand, som heller ikke rigtig blev taget alvorlig i starten, måtte jo finde dette bizart: Sker dette virkelig i det venlige Danmark?
Hvor vidt vil Lars Løkke drive det?
Så kom nyheden om valgdatoen den 5. juni. Lars Løkke drog nu præcis den parallel, som trænger sig på hos enhver med en smule historiekendskab: »Sidst man hørte om sådan nogle tanker, hvor der var en bestemt religion, der skulle trykkes ud, og folk, der skulle deporteres, det var dengang i mellemkrigstiden og i Anden Verdenskrig.« Det fik jeg i al hast efterfølgende føjet ind i artiklen, og sætningerne om den monstrøse tavshed fra Venstre og Socialdemokratiet blev slettet.
Dänemarks Regierungschef Lars Løkke Rasmussen hat am Dienstag Neuwahlen für den 5. Juni ausgeschrieben. Dabei darf eine neue Partei antreten mit der Forderung nach „ethnischer Säuberung“ bezogen auf alle Muslime und der Parole, das „Blut der fremden Feinde“ solle „in die Kloaken fließen, wo es hingehört“. Die Partei „Strammer Kurs“ kann nach Umfragen auf Parlamentssitze hoffen. Read the rest of this entry »
Kinder quälen einen kranken Bettler, brüsten sich damit im Internet und schlagen ihn am Ende tot. Die Gesellschaft nimmt es stumm zur Kenntnis, weil ihr die viele Bettelei auf die Nerven geht. Mitten im schwedischen Wahlkampf scheint dies Wirklichkeit zu werden, seit die Polizei eine Festnahme bekanntgegeben hat: Ein 16-Jähriger und ein noch nicht strafmündiger 14-Jähriger gelten als Hauptverdächtige nach der Ermordung des Rumänen Gheorge Hortolomei-Lupu im Stadtpark von Huskvarna. Zusammen mit zwei ebenfalls 14-Jährigen sollen sie den Roma monatelang drangsaliert, Aufnahmen davon in sozialen Medien ausgelegt und ihr Opfer dort „Ratte“ genannt haben. Read the rest of this entry »
Propagiert inzwischen geschlossene Lager für Asylbewerber: Premier Stefan Lövfen.Foto: rtr
Vier Monate vor den Wahlen haben Schwedens regierende Sozialdemokraten die Weichen gegen den immer tieferen Fall in der Wählergunst stramm nach rechts gestellt. Ministerpräsident Stefan Löfven verkündet inzwischen immer schon am Anfang seiner Statements, dass offene Jobs doch wohl zuerst eingesessenen Schweden zustehen und nicht „Leuten, die man von der anderen Hälfte des Planeten herbringt“. Noch vor zweieinhalb Jahren hatte der Ex-Gewerkschaftschef die breite Öffnung seines Landes für Flüchtlinge mit dem Satz begründet: „Mein Europa baut keine Mauern.“
Nach dem gerade vorgelegten Wahlprogramm sollen diese Mauern unter sozialdemokratischer Führung nun zügig und wetterfest hochgezogen werden – buchstäblich mit permanenten Grenzkontrollen zu Dänemark als einzigem Nachbarn Richtung Europa. Als Ziel für einen ganzen Strauß von Verschärfungen definiert Löfven, die Zahl von 26 000 Asylbewerbern auf knapp die Hälfte herunterzudrücken. Wie erwünscht dabei für jedermann sichtbare Härte ist, zeigt der Vorschlag, Kinder von Asylbewerbern ohne gültige Papiere von jedem Schulbesuch auszuschließen. Hinzu kommen geschlossene Auffanglager, eine drastische Reduzierung des Familiennachzugs, Leistungskürzungen und anderes mehr.
Passend zum Wahlkampfmotto „Eine stärkere Gesellschaft und ein sicheres Schweden“ stellen die Sozialdemokraten auch das Thema innere Sicherheit ganz oben auf ihre Wahlkampf-Agenda. Sie werben auf ganzer Linie für härtere Strafen. 10 000 zusätzliche Polizisten verspricht Löfven zudem. Auch außenpolitisch wollen sich die Sozialdemokraten mit kräftig mehr Geld für das Militär, Wiedereinführung der Wehrpflicht sowie demonstrativ immer engerer Zusammenarbeit mit der Nato als zupackender Ordnungsfaktor in einer Zeit zunehmender Unsicherheit profilieren.
Am größten ist wohl die Unsicherheit über die eigene Zukunft, wie überall in Europa mit anhaltend sich verschlechternden Wahlergebnissen für die Sozialdemokratie. Über die jeweils 31 Prozent bei den beiden letzten schwedischen Wahlen wäre die deutsche SPD ja schon wieder glücklich. Aber in Schweden gelten sie nach wie vor als Katastrophe, nachdem die Partei ihr Land über hundert Jahre mit fast immer mehr als 40 Prozent faktisch im Alleingang regieren konnte.
Willy Brandt lernte hier politisches Handwerk, und auch noch Gerhard Schröder pilgerte in den 90er Jahren nach Stockholm, um erfolgreiches sozialdemokratisches Krisenmanagement zu studieren.
Kurz vor diesem Wahlkampf aber ist Schwedens einst so souveräne „Staatspartei“ auf katastrophale 26 Prozent gerutscht. Umgekehrt klettern die Schwedendemokraten, Rechtspopulisten mit Wurzeln bei Neonazis, immer weiter nach oben, von jetzt 13 Prozent im Reichstag auf 19 Prozent laut Umfragen. Klar ist, dass sie auch nach den Wahlen am 9. September wie schon seit 2015 jede stabile parlamentarische Mehrheit für Mittelinks oder Mitterechts blockieren werden. Löfvens Minderheitsbündnis mit den Grünen sowie Unterstützung der Linkspartei konnte vier Jahre nur überleben, weil die bürgerliche Opposition jedes Misstrauensvotum und eigenes Regieren mithilfe der Rechtspopulisten ausgeschlossen hat.
Dieselben Positionen wie die Rechtspopulisten
Diese Front wackelt vor dem bevorstehenden Urnengang an allen Ecken und Enden. Der konservative Oppositionschef Ulf Kristersson möchte zur Flüchtlingspolitik eine „breite Übereinkunft“ unter Einschluss der bisher parlamentarisch ins Abseits gestellten Schwedendemokraten. Das dürfte für wechselbereite Wähler nicht ganz unlogisch klingen, denn sowohl Kristerssons Partei wie auch die Sozialdemokraten vertreten heute im Wesentlichen dieselben Positionen zur Zuwanderung wie auch schon 2015 die Rechtspopulisten.
Deren Chef Jimmie Åkesson zeigte sich bei der kürzlichen TV-Debatte aller Parteispitzen hocherfreut über die Wahlkampf-Schwerpunkte des amtierenden Premiers. Die Umfragen des Senders bescheinigten Åkesson klare Punktsiege vor allen anderen sieben Parteichefs bei beiden Themen, Zuwanderung und innere Sicherheit. Der sozialdemokratische Wahlkampf-Chef John Zanchi hatte die Themensetzung der Genossen übrigens so begründet: „Die aktuelle politische Tagesordnung ist in gewissem Sinn autoritär. Es gibt in der Wählerschaft einen Wunsch danach, dass jemand die Kontrolle über die gesellschaftliche Entwicklung hat.“