Kommentar als “Wahlbeobachter” in Jyllands-Posten: Die nackten Sozialdemokraten

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Mette Frederiksens neue Kleider

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von Thomas Borchert, 16.5. 2019

Als nicht-dänischer Wahlbeobachter geht mir jedesmal das dänische Märchen vom Kaiser in den neuen Kleidern durch den Kopf, wenn ich an Mette Frederiksen denke – auch als der Berliner Chefredakteur ein Porträt von Dänemarks wahrscheinlich kommender Regierungschefin bestellte. „Hat sie vielleicht ein Rezept für die deutsche Sozialdemokratie, die lebensgefährlich darniederliegt?“ fragte der. Mithilfe von Hans-Christian Andersen will ich jetzt erzählen, warum die Antwort Nein lautet.

 

Gemessen am kümmerlichen Ergebnis der letzten Folketingswahl hat Frederiksen ihre sozialdemokratische Partei keinen nennenswerten Zuwachs gebracht. Die Wähler wählen einfach nur eine schwache, total verschlissene Regierung ab. Dass der „rote Block“ so einen gewaltigen Vorsprung hat, muss den anderen Parteien dieses Lagers, Volkssozialisten, den sozialliberalen und der Einheitsliste zugeschrieben werden. Und die hat Frederiksen mit kaiserlicher Selbstsicherheit von der Regierungsbeteiligung ausgeschlossen.

Noch energischer hat sie ihre eigene Partei auf einen Paarlauf mit der Dänischen Volkspartei bei der „strammen Ausländerpolitik“ eingeschworen. Wer aus Moral und Anstand den endlosen Wettlauf um das nächste schlagzeilenträchtige Verbot gegen irgendwas mit Islam verweigert – wie die Abgeordnete Mette Gjerskov beim Burkaverbot – kommt an den Pranger und wird abgestraft.

 

Der Journalist Thomas Larsen hat in einem Porträtbuch über Frederiksen artig bis untertänig niedergeschrieben, wie Dänemarks kommende Regierungschefin gern gesehen werden möchte. Auch sozialdemokratischen Strategen sollten sich die Nackenhaare sträuben, angesichts der Bedinunglosigkeit und verblüffenden Naivität, mit der Frederiksen ihre Partei hier an die rechtspopulistische DF ausliefert. Ihre „tief empfundene“ Beziehung zu deren Chef Kristian Thulesen Dahl beschreibt sie mit einem Pathos, der im Buch sonst dem sozialdemokratischen Urvater Anker Jørgensen in diesem Buch vorbehalten bleibt: „Die echte Beziehung kommt nur zustande, wo ein Resonanzboden ist. Es hat sich gezeigt, dass es ihn hier gibt.“ Nach und nach, so schwärmt sie, haben beiden ein Band des Vertrauens geknüpft: „Wir haben das im Namen unserer Parteien und damit im Namen von 40-50 Prozent der Dänen getan. Das ist gut für unsere Parteien. Und das ist gut für die Dänen.“

 

Reiner Politikerkitsch ist das. Mettes Vertrauter Kristian quittierte, indem er die Pensionsinitiative der Sozialdemokraten erst in den Himmel hob, um sie dann in Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Regierung abzuschießen. Und das mit den „40-50 Prozent“ löst sich auch gerade in Luft auf. Thulesen Dahl hat ja schon mal angekündigt, dass er „selbstverständlich“ zur Zusammenarbeit mit dem Koranverbrenner und blutrünstigen Hetzer Paludan bereit ist. Dieser stiehlt gerade Wähler von deer DF; indem er das Erfolgsrezept dieser Partei aus den letzten 20 Jahren anwendet: Sei immer der Schärfste bei der scharfen Ausländerpolitik. Da wird der freundliche Thulesen Dahl sich im Endspurt des Wahlkampfes noch käftig anstrengen müssen. Böses Worte von den Sozialdemokraten braucht er dabei nich zu fürchten. Dafür wird die „kompromisslose“ Parteichefin schon sorgen.

 

Viel deutet darauf hin, dass die Wähler auch Frederiksen Regierungsmodell abwählen werden. Sicher wird sie die nächste Ministerpräsidentin, aber in einer genauso schwachen Position wie der jetzige. Denn die DF wird massiv schrumpfen, und die sozialdemokratischen Partner im „roten Block“, die sie weggeschoben hat, werden kräftig zulegen. Das erinnert mich, wie gesagt, an das Märchen von Andersen. Das Kind, das die Wahrheit über des Kaisers neue Kleider sagt, ist die junge Mette Frederiksen. 2001 sagte sie über die Annäherungen aus ihrer Partei an die ausländerfeindlichen Rechtspopulisten: „Jedesmal, wenn wir einen Schritt nach rechts gehen, gibt es andere, die zwei machen. Wir können diesen Kampf nicht gewinnen.“ Putzig, dass das Kind, das die Wahrheit gesagt hat, in der Zwischenzeit selbst zum Kaiser ohne Kleider geworden ist.

Valgobservatør: Thomas Borchert, (f. 1952) tysk korrespondent, bosat i København, på Falster og en smule i Berlin. Han skriver for Frankfurter Rundschau og er forfatter til en bog med titlen ”Gebrauchsanweisung für Dänemark”. Som observatør har han oplevet danske valgkampe siden 1984. Han er mest interesseret i, hvordan der kan blive plads til andre temaer end udlændingepolitik som klima, bolignød, social ulighed og bevarelsen af demokrati i et splittet Europa.

 

3 thoughts on “Kommentar als “Wahlbeobachter” in Jyllands-Posten: Die nackten Sozialdemokraten

    Micha said:
    May 16, 2019 at 11:13 pm

    tja, wie der kaiserins vorgängerin schon sagte, “ich bin kein sozialist, sondern sozialdemokrat”. Das hört sich auch an wie: “Ich bin nicht nackt, sondern mit attributen bekleidet.” Hoffentlich kommt da nicht bald noch ein natianalatribut mit voran! Schön auf m punkt observiert. gruss Micha

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    Bengt Moss-Petersen said:
    May 18, 2019 at 6:57 pm

    “Gemessen am kümmerlichen Ergebnis der letzten Folketingswahl hat Frederiksen ihre sozialdemokratische Partei keinen nennenswerten Zuwachs gebracht. Die Wähler wählen einfach nur eine schwache, total verschlissene Regierung ab. Dass der „rote Block“ so einen gewaltigen Vorsprung hat, muss den anderen Parteien dieses Lagers, Volkssozialisten, den sozialliberalen und der Einheitsliste zugeschrieben werden. Und die hat Frederiksen mit kaiserlicher Selbstsicherheit von der Regierungsbeteiligung ausgeschlossen.”

    Will Borchert uns weismachen, dass die unzufriedenen rechtsliberale und rechtspopulististische Wähler jetzt linksliberal und linkssozialistisch wählen? In Wirklichkeit ist natürlich folgendes passiert: Die Sozialdemokraten haben massiv Zuzug von rechts bekommen, und die linksliberalen und linkssozialistischen Parteien haben wiederum Zuzug von linken Sozialdemokraten bekommen. Sie können es hier nachlesen: https://jyllands-posten.dk/politik/ECE11388485/vaelgeranalyse-s-har-hentet-over-100000-vaelgere-fra-df-og-v/.

    Das Nettoergebnis: die Wâhler sind massiv vom rechten “blauen” zum linken “roten” Block gewandert. Entgegen der Meinung Thomas Borcherts darf man also schlussfolgern, dass die dänischen Sozialdemokraten eine brauchbare Strategie gegen den Rechtspopulismus gefunden hat.

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    Bengt Moss-Petersen said:
    May 20, 2019 at 7:38 am

    Verzeihung, Kongruenzfehler:
    “die unzufriedenen rechtsliberale und rechtspopulististische” : “die unzufriedenen rechtsliberalen und rechtspopulististischen”
    “gefunden hat” : “gefunden haben”
    😉

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