Berlin (dpa) – So niederschmetternd und schön, befremdlich und vertraut zugleich lässt sich eine durchwachte Nacht umschreiben: «Aber für den Schlaf brauchte es die Ruhe des Verstandes, seine Zutraulichkeit zum Leben und das Verzeihen durchlebten Kummers, und Woschtschew lag in trockener Anspannung des Bewusstseins und wusste nicht – ist er nützlich auf der Welt oder kommt alles glücklich ohne ihn aus?» Andrej Platonows 1930 geschriebener und von Gabriele Leupold jetzt neu übersetzter Roman «Die Baugrube» ist so prall gefüllt mit überraschenden, auf wundersame Weise fesselnden Sätzen, dass man fast jede Seite wieder aufschlagen und neu lesen möchte.
Pressefreiheit in Skandinavien: Einblicke in die Pandadiplomatie
In Skandinavien heißt das Zauberwort „Akteneinsicht“, doch selbst hier gibt es Grenzen: Die vier nordeuropäischen Länder stehen an der Spitze der Weltrangliste zur Pressefreiheit.
Versuchte, Berichte zu unterbinden: Sigmundur Davíð Gunnlaugsson
“Es liegt an der ganzen Art, wie wir unsere Gesellschaft zusammenstricken.“ So erklärt Mogens Blicher Bjerregård die Spitzenstellung von vier nordeuropäischen Ländern auf der Weltrangliste zur Pressefreiheit. Der Däne war anderthalb Jahrzehnte Chef der heimischen Journalistengewerkschaft und hat jetzt als Präsident der Europäischen Journalisten Föderation beste Vergleichsmöglichkeiten.
Überschaubarkeit, politische und wirtschaftliche Stabilität mit starker Verankerung sozialer Gleichheit und Konsenskultur sind die eine Seite, geschichtliche Wurzeln die andere: „Finnen und Schweden haben als Erste auf der Welt 1776 die Zensur abgeschafft und der Öffentlichkeit Zugang zu Regierungsdokumenten garantiert. Das sitzt fest“, so Bjerregård.
Recht weitgehender Quellenschutz, gut abgesicherte öffentlich-rechtliche Medien und bedingungslose staatliche Stützsysteme als Ausgleich für die jeweils kleinen Märkte nennt er als weitere Stützpfeiler. Das verbriefte Recht auf „Akteneinsicht“ für Journalisten hier im kalten Norden klingt anderswo wie ein heißes Zauberwort. Gerade erst konnte „Politiken“ seinen Lesern erstaunliche bis haarsträubende Mails dänischer Chefdiplomaten präsentieren. Für sie hatte Chinas Angebot zum „Leasing“ von zwei Pandabären durch den Kopenhagener Zoo höchste Priorität.
„Chinas Präsident betonte zur Bitte unserer Königin um die Pandabären, dass sein Land solche Zusagen nur den besten Freunden gibt“, schrieb Botschafter Friis Arne Petersen in seiner Internauswertung eines Staatsbesuches von Hu Jintao 2012. Aus politischer Willfährigkeit gegenüber dem Gast aus Peking hatte die Polizei Demonstranten alle tibetanischen Flaggen entrissen. Ihr Anblick sollte Hu Jintao nicht die Laune verderben. Dokumente mit entsprechenden Anweisungen bekamen Reporter genauso per Antrag auf Akteneinsicht in die Finger wie ein nicht ganz astreines Angebot des begeisterten Kopenhagener Zoodirektors: Er bot allen an der Pandadiplomatie Beteiligten im Außenministerium Gratis-Jahreskarten an.
Ein Teil der Akten wurde „Politiken“, wie üblich in solchen Angelegenheiten, mit Hinweis auf „außenpolitische Interessen des Reiches“ verweigert. Man darf vermuten, dass richtig spannende darunter waren. So ist die Pressefreiheit auch bei den Skandinaviern keine immer strahlend blühende Pracht. Finnland verlor seinen ersten Platz auf der neuen Weltrangliste der „Reporter ohne Grenzen“ an Norwegen, weil Regierungschef Juha Sippilä den öffentlich-rechtlichen Sender YLE mit Mails zur Unterbindung von Berichten über zweifelhafte Familiengeschäfte bombardierte. Er hatte Erfolg in der YLE-Chefetage. Sein isländischer Ex-Kollege Sigmundur Davíð Gunnlaugsson versuchte Ähnliches beim Sender RUV, nachdem die Regierung den Sender schon vorher durch immer neue Mittelkürzungen ausgezehrt hatte. Island steht auf der Weltrangliste als Letzter aus dem Norden auf Platz 10.
Für Bjerregård ist all das bei stabilen Fundamenten immer noch „eine ganz andere Qualität“ als die akute Bedrohung der Pressefreiheit in Ländern seiner europäischen Föderation. Wie anderswo auch steht traditionellen Medien im Norden das Wasser bis zum Hals durch die sozialen Medien mit ihrer Gratis-, Hass- und Fake-Kultur und durch die Finanzmacht der Internet-Giganten. Unterm Strich fehlen dann eben irgendwann die Ressourcen für personalintensive, zeitraubende Akteneinsicht und andere Segnungen der Pressefreiheit.