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Rezension von Margaret Atwood, “Hexensaat”

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Theaterstück im Theaterstück

Atwood erzählt Shakespeares «Sturm» mit Schwung und Stolpersteinen
Ein Roman über ein Theaterstück im Theaterstück: Margaret Atwood erzählt raffiniert, witzig und mit Schwung, aber auch mit lästigen Stolpersteinen Shakespeares «Sturm» nach. Aus dem Mailänder Herzog Prospero macht sie den kanadischen Regisseur Felix, beide Vertriebene mit Rachegelüsten.
10.05.2017, 08:00 

Das Cover von «Hexensaat», dem neuen Buch von Margaret Atwood. Foto: Knaus Verlag/dpa
Von Thomas Borchert
München (dpa) – Die Nacherzählung von Shakespeare-Theater als Roman habe ihr «großes Vergnügen» bereitet, schreibt Margaret Atwood im Abspann zu «Hexensaat». Man glaubt es ihr aufs Wort, denn vor allem Vergnügen bereitet die Lektüre dieser Version des Dramas «Sturm», wenngleich nicht ohne Stolpersteine. Der unvermindert sprudelnde Einfallsreichtum der ewigen Nobelpreisfavoritin aus Kanada, Atwoods mal entspannter, mal ätzender, dabei immer geistreicher Witz und ihr Jonglieren mit der über fast 500 Jahre mysteriös schillernden literarischen Vorlage über Täuschung, Rachsucht und Magie in der Luft machen einfach Spaß. Nur dass Lesern bei diesem Kunststück der 1939 geborenen Autorin auch die Übersicht verloren gehen kann.
Der Roman ist eine Auftragsarbeit: Acht namhafte internationale Autoren sollen je ein Shakespeare-Drama nacherzählen, demnächst kommt der norwegische Krimiautor Jo Nesbø mit «Macbeth» in Prosa. Das wird ein Psychothriller, darf man vermuten. Margaret Atwood legt sich die Latte beim weit weniger blutigen und lichteren «Sturm» ziemlich hoch. Sie stellt zwei Inszenierungen des Dramas ins Zentrum ihrer Geschichte mit dem Regisseur Felix als Hauptfigur, der zugleich Shakespeares Hauptfigur Prospero im «Sturm» sein soll, das Stück zweimal auf die Bühne bringt und selbst die Hauptrolle spielt. 
Klingt kompliziert? Ist es mit dieser Figur aber nicht: Felix sieht sich bei der ersten Inszenierung fies von seinem karrierebewussten Assistenten Tony ausgetrickst und abserviert ins Nichts. So wie Prospero bei Shakespeare als Herzog von Mailand vom machthungrigen Bruder Antonio auf eine einsame Insel vertrieben wird. Prospero schafft am Ende zusammen mit seiner Tochter Miranda und nicht ohne magische Hilfe die Rückkehr.
Bei Atwood verbringt Felix zwölf einsame Jahre als Einsiedler und hält Zwiesprache mit seiner schon lange toten Tochter Miranda. Er glaubt, er könne Miranda durch Regiearbeit wieder ins Leben zurückholen. Die Chance darauf, auf ein Comeback und auf Rache an Tony bietet sich als Regisseur von Amateurschauspielern im Knast. Bei den Proben sind nur Flüche in der Shakespeare-Sprache wie «oberlausiges Monster» gestattet, «fuck» wird streng geahndet. Ein Riesenspaß erwartet alle und auch den Leser, als der inzwischen zum Minister aufgestiegene Ex-Assistent Tony samt Anhang zur Premiere erscheint. Die Herrschaften werden vom Regisseur Felix mit allerlei Theatertricks sowie unfreiwilliger, massiver Drogeneinnahme in die Knie gezwungen. Die Magie unserer Tage.
Das hat enormen Schwung. Wie eben Shakespeare auf der Bühne. Aber doch erwarten den, der mit dem «Sturm» und dessen Personengalerie nicht vertraut ist, verwirrende und auch streckenweise ermüdende Passagen, etwa mit Diskussionen über die Figurengestaltung zwischen Regisseur und Knast-Schauspielern. Überflüssig auch, weil in Atwoods Nacherzählung allein die Hauptperson Felix alias Prospero zu echtem Leben erweckt wird. Kleiner Lesetipp: Unbedingt zuerst die viel zu diskret am Ende versteckten fünf Seiten Inhaltsangabe von Shakespeares «Sturm» lesen.
Hexensaat
Margaret Atwood: Hexensaat, Knaus Verlag, München, 314 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-8135-0675-4

Gotland wid aufgerüstet

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Frontstellung Gotland

Schweden rüstet die Ostseeperle auf – aus Angst vor Moskau und der eigenen Opposition

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2. Mai 2017

Von  Thomas Borchert

“Wenn Putin gegen das Baltikum losschlägt, schnappt er sich als Erstes unser Gotland.“ Das ist so ein gängiges Argument in Schweden für schleunigste Aufrüstung. Ähnlich sah es wohl US-General David Perkins bei seinem Besuch dieser Tage auf der schönen Ferieninsel unweit der Küsten von Estland, Lettland und Litauen: „Gotland ist wie ein unsinkbarer Flugzeugträger mitten in der Ostsee. Dass auf der Brücke unser guter Freund Schweden das Kommando hat, ist von großem Nutzen für uns.“ Read the rest of this entry »

Pressefreiheit im Norden

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3. Mai 2017

Pressefreiheit in Skandinavien: Einblicke in die Pandadiplomatie

In Skandinavien heißt das Zauberwort „Akteneinsicht“, doch selbst hier gibt es Grenzen: Die vier nordeuropäischen Länder stehen an der Spitze der Weltrangliste zur Pressefreiheit.

Versuchte, Berichte zu unterbinden: Sigmundur Davíð Gunnlaugsson

“Es liegt an der ganzen Art, wie wir unsere Gesellschaft zusammenstricken.“ So erklärt Mogens Blicher Bjerregård die Spitzenstellung von vier nordeuropäischen Ländern auf der Weltrangliste zur Pressefreiheit. Der Däne war anderthalb Jahrzehnte Chef der heimischen Journalistengewerkschaft und hat jetzt als Präsident der Europäischen Journalisten Föderation beste Vergleichsmöglichkeiten.

Überschaubarkeit, politische und wirtschaftliche Stabilität mit starker Verankerung sozialer Gleichheit und Konsenskultur sind die eine Seite, geschichtliche Wurzeln die andere: „Finnen und Schweden haben als Erste auf der Welt 1776 die Zensur abgeschafft und der Öffentlichkeit Zugang zu Regierungsdokumenten garantiert. Das sitzt fest“, so Bjerregård.

Recht weitgehender Quellenschutz, gut abgesicherte öffentlich-rechtliche Medien und bedingungslose staatliche Stützsysteme als Ausgleich für die jeweils kleinen Märkte nennt er als weitere Stützpfeiler. Das verbriefte Recht auf „Akteneinsicht“ für Journalisten hier im kalten Norden klingt anderswo wie ein heißes Zauberwort. Gerade erst konnte „Politiken“ seinen Lesern erstaunliche bis haarsträubende Mails dänischer Chefdiplomaten präsentieren. Für sie hatte Chinas Angebot zum „Leasing“ von zwei Pandabären durch den Kopenhagener Zoo höchste Priorität.

„Chinas Präsident betonte zur Bitte unserer Königin um die Pandabären, dass sein Land solche Zusagen nur den besten Freunden gibt“, schrieb Botschafter Friis Arne Petersen in seiner Internauswertung eines Staatsbesuches von Hu Jintao 2012. Aus politischer Willfährigkeit gegenüber dem Gast aus Peking hatte die Polizei Demonstranten alle tibetanischen Flaggen entrissen. Ihr Anblick sollte Hu Jintao nicht die Laune verderben. Dokumente mit entsprechenden Anweisungen bekamen Reporter genauso per Antrag auf Akteneinsicht in die Finger wie ein nicht ganz astreines Angebot des begeisterten Kopenhagener Zoodirektors: Er bot allen an der Pandadiplomatie Beteiligten im Außenministerium Gratis-Jahreskarten an.

Ein Teil der Akten wurde „Politiken“, wie üblich in solchen Angelegenheiten, mit Hinweis auf „außenpolitische Interessen des Reiches“ verweigert. Man darf vermuten, dass richtig spannende darunter waren. So ist die Pressefreiheit auch bei den Skandinaviern keine immer strahlend blühende Pracht. Finnland verlor seinen ersten Platz auf der neuen Weltrangliste der „Reporter ohne Grenzen“ an Norwegen, weil Regierungschef Juha Sippilä den öffentlich-rechtlichen Sender YLE mit Mails zur Unterbindung von Berichten über zweifelhafte Familiengeschäfte bombardierte. Er hatte Erfolg in der YLE-Chefetage. Sein isländischer Ex-Kollege Sigmundur Davíð Gunnlaugsson versuchte Ähnliches beim Sender RUV, nachdem die Regierung den Sender schon vorher durch immer neue Mittelkürzungen ausgezehrt hatte. Island steht auf der Weltrangliste als Letzter aus dem Norden auf Platz 10.

Für Bjerregård ist all das bei stabilen Fundamenten immer noch „eine ganz andere Qualität“ als die akute Bedrohung der Pressefreiheit in Ländern seiner europäischen Föderation. Wie anderswo auch steht traditionellen Medien im Norden das Wasser bis zum Hals durch die sozialen Medien mit ihrer Gratis-, Hass- und Fake-Kultur und durch die Finanzmacht der Internet-Giganten. Unterm Strich fehlen dann eben irgendwann die Ressourcen für personalintensive, zeitraubende Akteneinsicht und andere Segnungen der Pressefreiheit.

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Rezension: Rahmans “Soweit wir wissen”

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Sipri über steigende Militärausgaben

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Bildschirmfoto 2017-03-19 um 08.56.25.pngFriedensforschungsinstitut Globale Rüstungsausgaben steigen weiter

2015 wurden durchschnittlich weltweit 2,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für staatliche Rüstungsausgaben abgezweigt. Mit Erfüllung der Nato-Forderung würde Deutschland zur militärischen Großmacht.

Die globalen Militärausgaben sind auch im Jahr vor dem Antritt des betont rüstungswilligen US-Präsidenten Donald Trump weiter angestiegen. Wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri ermittelt hat, gaben die Staaten 1,686 Billionen Dollar für die Rüstung aus, und damit 227 Dollar pro Erdenbürger sowie 0,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Bis auf kleine „Dellen“ 2011 bis 2014 hat sich der Trend, die Militärausgaben zu steigern, seit 1998 verfestigt. Während die weltweit agierenden Großmächte 2016 durchweg zulegten, kürzten von Öleinnahmen abhängige Staaten wie Saudi-Arabien, Irak, Venezuela und Südsudan ihre Militärausgaben jedoch drastisch um ein Drittel bis zu mehr als der Hälfte.

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Herausragende Neuerscheinung: Platonows “Baugrube”

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Die deutsche Zeitung für Amerika
The German Newspaper for America

 

Platonows geniale «Baugrube» über einen mörderischen Sozialismus

Von Thomas Borchert, dpa

Bauarbeiter schaufeln eine Grube aus und damit vielleicht ihr eigenes Grab: In der grotesken, hier genial eingesetzten Apparatschik-Sprache der Partei hat Andrej Platonow 1930 den Alptraum unter Stalin als Apokalypse beschrieben.

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Die dänische Post ist total kaputt

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Wenn der Postbote kaum noch klingelt

Der dänische Staat hat seinen Briefverkehr digitalisiert. Jetzt muss die Post gerettet werden.

17.03.2017 14:01 Uhr
Kopenhagen. Postmand Per, den freundlichsten und zuverlässigsten Postboten der Welt, besingen die dänischen Kinder als „ganz besonderen Mann“. Jetzt hat sein oberster Chef, Pjer Kjær Jensen, in wenig freundlichen Worten angekündigt, dass Per nur noch einmal die Woche mit Briefpost kommen wird. 4000 seiner Kollegen, knapp die Hälfte der ohnehin schon massiv ausgedünnten Belegschaft, soll den Job ganz verlieren. Die Steuerzahler sollen mit einer Finanzspritze über 2,3 Milliarden Kronen (310 Millionen Euro) zur Kasse gebeten werden, damit Dänemarks Post nicht komplett zusammenkracht.

Schon jetzt kosten ein normaler Brief und die Osterpostkarte zu Freunden in Deutschland 3,50 Euro Porto. Das ist dreieinhalb mal so viel wie dieselbe Dienstleistung in umgekehrter Richtung. Trotzdem hat die deutsche Post gerade erst einen Rekordgewinn für 2016 gemeldet, und auch die Post in Schweden, 2009 mit Post Danmark zu „Postnord“ fusioniert, konnte im vergangenen Jahr ohne Probleme satte schwarze Zahlen schreiben. Die jüngsten, umgerechnet 200 Millionen Euro Verluste in Dänemark bedeuten den Verlust des Eigenkapitals und werden in Kopenhagen vorzugsweise mit einem Begriff erklärt, der nicht zur viel gerühmten „Hygge“, der Gemütlichkeit beim „glücklichsten Volk der Welt“, passen will: „Zwangsdigitalisierung“.

Bürger müssen Mails schreiben

Seit 2000 ist der traditionelle Briefverkehr in Dänemark um 80 Prozent geschrumpft. Viel kräftiger als anderswo und auch kräftiger, als man habe erwarten können, erklärt Postchef Kjær Jensen. In Schweden war es nur die Hälfte. Tatsächlich hat der dänische Staat seine Bürger in rasantem Tempo und mit harten Bandagen gezwungen, ihren Postverkehr mit Behörden in beide Richtungen digital abzuwickeln. Das Muss gilt für alle ab 16 Jahren, und auch für die über 100. Wer sich davon befreien lassen will, muss beim „Bürgerservice“ vorsprechen und persönliche Handicaps wie Demenz, akute Sehschwäche, Sprachprobleme oder Ähnliches nachweisen.

Beim schwedischen Partner stoßen die Kopenhagener Erklärungen für immer neue Verluste durch immer weniger Briefverkehr auf wenig Gegenliebe. Wirtschaftsminister Mikael Damberg findet nicht, dass „die leutseligen dänischen Umsatzprognosen von schwedischen Briefträgern und Steuerzahlern ausgebadet werden sollen“. Denn Kopenhagen möchte für das Sparprogramm bei Postnord Entlassungen auch in Schweden und eine Kapitalzufuhr aus dem dortigen Steuersäckel. Der Nachbar ist mit 60 Prozent Anteilen der gewichtigere Partner. Damberg schließt eine Entflechtung mit der Rückkehr zu zwei nationalen Postkonzernen ausdrücklich in die Optionen seiner Regierung ein.

Sollte Stockholm damit ernst machen, wird die Wiedergenesung der traditionsreichen königlich-dänischen Post mit ihren strahlend roten Uniformen noch viel schwerer. Dass bei der Bildung des Logistik-Verbundes Postnord auf ein milchiges Blau umgestellt wurde, empfinden viele Dänen als trostloses Symbol für den Untergang eines gesellschaftlichen Grundpfeilers.

Aber wir behalten doch all die strahlend roten Postkästen, entgegneten ihnen die Topmanager frohgemut. Leiser fügten sie im vergangenes Jahr an, dass man die nur noch zweimal die Woche leeren werde. Und künftig nur noch einmal. Wer einen Papierbrief in Dänemark garantiert am nächsten Tag in der Nachbarstadt haben möchte, muss 3,50 Euro hinblättern und persönlich zum nächsten Posthaus.

Dänische Trumpine in der Frankfurter Rundschau

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Wenn Torte politisch wird

Dänemarks Ausländerministerin schlägt mit abfälligem Facebook-Bild über die Stränge.

Dänemark
Der Facebook-Post hat die Dänin auch unter ihren Parteifreunden einiges an Zustimmung gekostet. Foto: rtr

Wenn wichtige Parteifreunde Brechreiz bekunden, wird es auch für erfolgsgewohnte Populisten gefährlich. Dänemarks Ausländer- und Integrationsministerin Inger Støjberg hat sich wohl verrechnet, als sie für Facebook freudestrahlend mit einer Jubiläumstorte posierte. Zwischen Früchten und Schokolade, geschmückt mit der Zahl 50 sowie der rotweißen Nationalfahne standen die Sätze: „Heute habe ich die Verschärfung Nummer 50 in der Ausländerpolitik durchgebracht. Das muss gefeiert werden!“Der Vorsitzende von Støjbergs rechtsliberaler Partei „Venstre“ in der Stadt Skive, wo die Ministerin ihren Wahlkreis hat, will auf keinen Fall mitfeiern: „Hier ziehe ich die Grenze. Das entspricht ja einem Bürgermeister, der seiner Verwaltung Sahnetorte spendiert, weil sie gerade die 50. Pflegekraft gefeuert hat. Und das dann auch noch auf Facebook verbreitet.“

Anders Ladekarl, Generalsekretär des Roten Kreuzes in Dänemark, konterte Støjbergs Ausfall mit den gleichen Mitteln: Er zeigte auf Facebook ein Foto von sich,     strahlend und mit einer riesigen Torte, mit einer 50 und dem Nationalfähnchen geschmückt. Ein wahrer Grund zum Feiern seien sechs Jahre Hilfe für 2,5 Millionen syrische Kriegsopfer, schrieb er dazu und rief seine Landsleute auf, 50 Kronen (sieben Euro) per SMS mit dem Stichwort „Torte“ für die humanitäre Hilfe zu überweisen. Innerhalb kürzester Zeit waren eine halbe Million Kronen beisammen. Støjbergs Regierungschef Lars Løkke Rasmussen murmelte indessen verlegen, es sei „beklagenswert“, wenn so viele Menschen Støjbergs Post als neuen Tiefpunkt kompletter Schamlosigkeit und der Ausnutzung von menschlichem Unglück zum eigenen Vorteil sehen. „Sie hat es nicht so gemeint.“ Nach einer stürmischen Fraktionssitzung vermutete der Parteikenner Jarl Cordua, Støjberg habe sich in diesem Kreis wohl „endgültig als Möglichkeit für das Spitzenamt disqualifiziert“. Dabei ist Støjberg gerade durch ihren populistischen Holzhammer-Stil mit „eingängigen“ Statements vor allem auf Facebook, aber immer gern auch vor Kameras zum populärsten Mitglied der Kopenhagener Mitte-Rechts-Regierung aufgestiegen. Mal befeuerte sie die Diskussionen mit ihrer Klage, im Kino habe ein „Haufen Zuwandererjungs“ um die 14-15 sie von Anfang bis Ende belästigt. Dann verkündete sie, man werde syrische Bürgerkriegsflüchtlinge bei der Einreise nach Schmuck durchsuchen: Nur Wohlhabende würden ja so weit durchkommen. Ob das dann die richtigen Empfänger der dänische Hilfsbereitschaft seien, fragte sie.

Immer stabile Umfragewerte

Jedes Mal war die Empörung gewaltig, aber noch viel größer die Begeisterung klickender Facebook-Fans und das Schulterklopfen von Kommentatoren in den traditionellen Medien: Wie instinktsicher hier doch eine Politikerin die öffentliche Debatte mit ganz wenigen Sätzen nach Belieben in Gang bringen und ihre Gegner zu den immer gleichen Gefühlsausbrüchen provozieren könne. Mit am Ende immer stabilen Spitzenwerten bei Popularitätsumfragen.

Diesmal scheint der Politiker-Zynismus ohne jeden moralischen Kompass jedoch nach hinten loszugehen. Vielen Dänen mit einem solchen Kompass tut es bitter weh, wenn ihnen eigene Medien übersetzen, was ausgerechnet die deutsche „Bild“-Zeitung zu ihrer populärsten Politikerin fragt: „Hat die Welt einen weiblichen Trump gefunden – eine ‚Trumpine‘, die auf Kosten von Flüchtlingen mit haarsträubenden Social-Media-Aktionen auf sich aufmerksam machen will?“

Rezension: Barnes über Schostakowitsch

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“Der Lärm der Zeit”
Julian Barnes über Genie und Unterwerfung

14.03.2017

Der britische Autor Julian Barnes stellt den Russen Dmitri Schostakowitsch in den Mittelpunkt seines neuen Romans. Foto: Marta Perez

Der britische Autor Julian Barnes stellt den Russen Dmitri Schostakowitsch in den Mittelpunkt seines neuen Romans. Foto: Marta Perez

Ein musikalisches Genie, das sich mit dem Teufel arrangiert: Julian Barnes hat einen Roman über den Slalom des Komponisten Dmitri Schostakowitsch durch das Terrorsystem Stalins geschrieben. Wie immer bei dem begnadeten britischen Erzähler fesselnd, aber auch mit ein paar überraschenden Brüchen.

Von Thomas Borchert, dpa

Köln (dpa) – Anpassung, den Verrat von Idealen und mitunter Menschen aus Feigheit oder für einen persönlichen Vorteil kennt jeder, und auch Selbstverachtung im Gefolge ist vielen nur zu gut geläufig.

Es macht natürlich einen Unterschied, ob ein glattes Image, die Festanstellung oder vielleicht viel mehr auf dem Spiel steht. Wenn der Komponist Dmitri Schostakowitsch in Julian Barnes’ neuem Roman “Der Lärm der Zeit” Nacht für Nacht fix und fertig angezogen, mit gepacktem Koffer schon vor der Wohnungstür darauf wartet, von Stalins Häschern abgeholt zu werden, geht es um den ultimativen Einsatz. Die Oper “Lady Macbeth von Mzensk” hat dem Tyrannen bei einer Aufführung 1936 missfallen, damals fast ein Todesurteil. Barnes notiert über seine Hauptperson: “Freunden hatte er erzählt, wenn er sich je von Lady Macbeth lossagen würde, dann sollten sie daraus schließen, dass ihm die Ehrlichkeit abhanden gekommen war.” Die Häscher bleiben diesmal aus.

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