Corona & Schweden: Auch die zweite Welle rollt stärker als anderswo

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Karin Tegmark Wisell, Chefin der Gesundheitsbehörde, bereitet das Land auf die neuen Regeln vor. Anders Wiklund/rtr © via REUTERS

23.11.2020 15:54

Corona-Krise

Schwedens Sonderweg ist zu Ende

von Thomas Borchert

Ministerpräsident Löfven stimmt die Bevölkerung auf härtere Beschränkungen und einen „dunklen Winter“ ein.

Wenn an diesem Dienstag in Schweden das Versammlungsverbot für mehr als acht Personen in Kraft tritt, läutet das auch den Abgesang auf den weltweit bestaunten „Sonderweg“ des nordischen Landes ohne Lockdown aus der ersten Corona-Welle ein. Mit einer wahrhaft düsteren TV-„Botschaft an die Nation“ hat Regierungschef Stefan Löfven die zehn Millionen Bürger:innen zu Wochenbeginn auf einen „dunklen Winter“ nach wieder drastisch angestiegenen Infektionszahlen und Todesfällen eingestimmt: „Das klingt hart und brutal und ist es auch.“

Löfven erinnerte an die hohe Zahl von bisher 6500 Todesfällen im Zusammenhang mit Covid-19. Sie liegt, gemessen an der Bevölkerungszahl, um ein Vierfaches über der Zahl in Deutschland und noch deutlicher über denen der skandinavischen Nachbarländer. Alarmierend jetzt: In den November-Wochen sind die schwedischen Corona-Zahlen nun schon wieder viel steiler nach oben geschossen als anderswo. Vergangene Woche war die Zahl der Infektionen je 100 000 Einwohner knapp doppelt so hoch wie in Deutschland (154,2) und Dänemark (134,9) sowie mehr als fünfmal so hoch wie in Norwegen (78,2).

Dabei hatte Chef-Epidemiologe Anders Tegnell den heimischen Sonderweg ganz ohne Schul-, Geschäfts-. Restaurant- und auch ganz ohne Nachtclub-Schließungen auch damit begründet, dass man so schneller durch sein werde. Ob er damit die viel beschworene „Herdenimmunität“ meinte, wurde nie ganz klar. Seine Strategie mit Freiwilligkeit und gegenseitigem Vertrauen als Grundpfeilern der Corona-Eindämmung machte Tegnell nebenbei zu einem internationalen Medienstar, der unbeirrbar auch bei explodierenden Opferzahlen in Schwedens Altenheimen Optimismus zu verbreiten suchte: Im Herbst werde man schon sehen, dass Schwedens Weg der Richtige sei.

Es ist anders gekommen. Das zeigen auch die erneut alarmierenden, wenngleich nicht wieder Panik auslösenden Infektionszahlen aus den Heimen. Mit der im Frühjahr bedingungslosen Folgsamkeit der Regierung gegenüber den Vorgaben Tegnells und dessen Gesundheitsbehörde ist nun wohl Schluss. Der Chef-Epidemiologe selbst erklärte, er habe mit der Entscheidung, die Versammlungsgrenze von maximal 50 auf acht Personen zu senken, nichts zu tun: „Das ist der Willen der Regierung.“ Auch das kurz vorher verfügte Verbot von Alkoholverkauf ab 22 Uhr geht auf eine politische Initiative zurück.

In Löfvens TV-Rede am Sonntagabend fehlte die bisher unverzichtbare Berufung auf die Behörden-Fachleute genauso wie das übliche Lob für Freiwilligkeit mit gegenseitigem Vertrauen. Dafür las der Premier seinen Landsleuten die Leviten: Zu viele hätten nach der trügerischen Corona-Sommerpause „geschlampt“. Zu etwaiger Schlamperei seiner Behörden und/oder der Regierung bei den strategischen Entscheidungen war nichts zu hören.

Dass Löfven das Ruder komplett in Richtung Lockdown herumreißt, erwartet niemand in Stockholm. Tatsächlich haben sich Schweden und die vergleichbaren Länder seit dem Frühjahr gegenseitig angenähert. Flächendeckende Schulschließungen meiden jetzt auch andere Länder mit den Begründungen, die Tegnell schon im März genannt hatte. Umgekehrt sind auch in Schweden früh drastische Teilverbote verhängt worden, wie etwa das knapp ein halbes Jahr geltende Besuchsverbot in Altenheimen.

Gespannt darf man sein, wie lange es noch dauert, bis die Nordeuropäer auch eine Maskenpflicht einführen. Tegnell hält Masken für nutzlos. Die Forderung von Oppositionschef Ulf Kristersson, ihr Tragen wie von der WHO empfohlen zur Pflicht zu machen, kontert Sozialdemokratin Annika Strandhäll noch mit der Logik des bisherigen Sonderwegs: „Es steht allen frei, eine Maske anzuwenden.“

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