Die Kleine Meerjungfrau darf nicht verhöhnt, verspottet oder lächerlich gemacht werden


27.11.2020
Dänemark
Die kleine Dämonin
von Thomas Borchert
40 000 Euro Strafe muss eine dänische Zeitung zahlen. Sie hatte die berühmte Statue der Kleinen Meerjungfrau in zwei Karikaturen politisiert – und damit „dämonisiert“, begründet das Gericht.
Wer die Kleine Meerjungfrau als Corona-Symbol zeigt, sie politisch in die rechte Ecke stellt oder sonst irgendwie mit dem Bösen in Verbindung bringt, muss in Dänemark teuer dafür bezahlen. Zur Zahlung von umgerechnet 40 000 Euro hat ein Gericht in Kopenhagen nun die Zeitung „Berlingske“ verurteilt, weil sie das weltberühmte Wahrzeichen der dänischen Hauptstadt am Hafen gleich zweimal „dämonisiert“ und damit das Urheberrecht der Erben von Bildhauer Edvard Eriksen verletzt habe.
Wohl nicht nur der Chefredakteur des Blattes, Tom Jensen, rieb sich nach dem Urteil ungläubig die Augen. „Das ist ja total aus dem Ruder“, kommentierte er. Das Gericht stieß sich unter anderem daran, dass „Berlingske“ die Bronzefigur in einer Fotomontage mit Corona-Maske ausgestattet und im Bildtext als potentielle Wählerin der Rechtspopulisten verunglimpft habe. „Angst vor Corona? Dann stimmst du wohl für die Dänische Volkspartei“ – so lautete der Bildtext.
In einer Karikatur mit zombieartig verzerrten Gesichtszügen und leicht apokalyptisch finsterer Umgebung sah das Gericht ebenfalls eine unzulässige „Dämonisierung“, weil die Meerjungfrau in Verbindung gebracht worden sei mit „rechter Politik und dem Bösen an sich“. Der „politisierende Kontext“ wurde als strafverschärfend für die beiden Illustrationen hervorgehoben: „Dies geschah aus einer ausdrücklich nationalen Perspektive, in der die Assoziierung der Kleinen Meerjungfrau mit dänischen Werten, ästhetischen wie ethischen, als deren Repräsentantin offensichtlich ist.“
Das Gericht entsprach mit dem Strafmaß fast zu hundert Prozent dem von Edvardsens Erbinnen und Erben eingeklagten und für dänische Verhältnisse extrem hohen Betrag. Sie sind in Dänemark bekannt und bei Medien gefürchtet dafür, dass sie ihre 107 Jahre nach der Installierung der kleinen Bronzefigur immer noch geltenden Urheberrechte fleißig in Schadensersatzforderungen zum Ausdruck bringen.
Der Bildhauer Edvard Eriksen hatte die kleine sitzende Frau mit Flosse aus dem Märchen von Hans Christian Andersen nach dem Kopf einer Primaballerina geformt.
Die berühmte Tänzerin Ellen Price wollte Edvard Eriksen allerdings nicht unbekleidet Modell stehen, so formte der Künstler den Körper der Meerjungfrau nach jenem seiner Frau Eline.
Diese Anekdote sowie die diversen Anschläge auf die Figur – mit abgesägtem Kopf oder Arm etwa – fehlen in keinem ordentlichen dänischen Geschichtsbuch. Neuland haben die Kopenhagener Richterinnen und Richter aber mit ihrer politischen Verortung der Meerjungfrau als Symbol für alles Gute an Dänemark und dem Verbot betreten, sich daran zu vergehen. Dass zum Selbstverständnis in diesem Land eigentlich unbegrenzte Presse- und Meinungsfreiheit gehört, hatte die ganze Welt 2006 zur Kenntnis genommen.
Damals veröffentlichte die Zeitung „Jyllands-Posten“ zwölf Karikaturen des Propheten Mohammed und geriet in der islamischen Welt in die Kritik, die sich auch durch gewalttätige Proteste ausdrückte. Der verantwortliche Redakteur hatte dies mit einem Satz begründet, der in Dänemark inzwischen zu einem geflügelten Wort geworden ist und auch in keinem Geschichtsbuch fehlt: „Auch Muslime müssen sich daran gewöhnen, verhöhnt, verspottet und lächerlich gemacht zu werden.“