Die Rechte stürmt auch in Schweden voran
Schwedens Rechte vor dem Wahlsieg
Die Sozialdemokraten und gemäßigte Parteien befürchten enorme Stimmenverluste.

Wenn Galgenhumor Stimmen bringt, kann Schwedens sozialdemokratischer Regierungschef Stefan Löfven doch noch hoffen. Als ihn beim TV-Duell vor der Reichstagswahl an diesem Sonntag sein konservativer Herausforderer Kristersson mit der Bemerkung verspottete, „Ihr seid eine 24-Prozent-Partei und glaubt, ihr hättet immer noch 50“, konterte der Premier trocken wie Knäckebrot: „Wie groß seid ihr denn?“ Gelächter im Studio, denn Ulf Kristerssons Partei erwartet allen Umfragen zufolge genauso sicher eine Katastrophe wie die Sozialdemokraten: 2010 hatten die „Moderaten“ noch 30 Prozent, jetzt liegen sie um die 17.
Die beiden vorab feststehenden Verlierer setzten ihren Wortwechsel vor der Kamera unverdrossen fort, als könnten sie noch siegen und den zehn Millionen Schweden kurz nach der Stimmenauszählung stolz eine neue Regierung präsentieren, entweder Mitte-Links oder Mitte-Rechts. Aber der Vertrauensverlust ist atemberaubend: Die Demoskopen sehen die aus Nazigruppen hervorgegangenen Schwedendemokraten (SD) so souverän in der Siegerrolle, dass sich die beiden traditionell dominierenden Kräfte womöglich noch nicht mal, nach deutschem Muster, in eine große Koalition werden retten können.
„Mein Europa baut keine Mauern“ war einmal
Offen lassen die Umfragen, ob die rechten Populisten von jetzt knapp 13 „nur“ auf 17 bis 18 Prozent klettern – oder ob ihr Feldzug gegen Zuwanderung als Grund aller Übel (von Bandenkriminalität über Wohnungsnot bis zu langen Wartezeiten vor Operationen) sie vielleicht sogar zur größten Fraktion im Reichstag aufsteigen lässt. Bisher stellen sie die drittgrößte. Gegen Ende des Wahlkampfs hat SD bei den per Telefon durchgeführten Umfragen zwar spürbar an Zugkraft verloren. Nach anonym über das Internet eingesammelten Angaben allerdings wollen stabil weiterhin 20 bis 25 Prozent ihr Kreuz hier machen. Niemand kann sagen, ob hier immer noch der „Schamfaktor“ wirkt – wie auch 2014, als die Telefonumfragen viel niedrigere Prognosen ergaben als das dann sensationelle Wahlergebnis der Populisten.
„Die anderen passen sich uns so weit wie möglich an, um ihre Verluste zu minimieren“, kann SD-Chef Jimmie Åkesson im Wahlkampf zufrieden und mit Recht verkünden. Denn seit dem Herbst 2015 mit 160 000 Flüchtlingen – relativ zur Bevölkerungszahl weitaus mehr als in Deutschland – hat Regierungschef Löfven sein damaliges Motto „Mein Europa baut keine Mauern“ durch permanente Grenzkontrollen und massive Verschärfungen der Asylregeln mit aller Kraft korrigiert. Die Sozialdemokraten präsentieren sich im Wahlkampf als Law&Order-Partei, versprechen 10 000 zusätzliche Polizisten gegen die die Schweden beunruhigende Zunahme von Schießereien rivalisierender Banden, gegen Drogenhandel und das Abfackeln von Autos.
Löfven, honoriger, aber farblose Ex-Gewerkschaftschef, plädiert sogar gelegentlich vor gelbblauen Fahnen für „schwedische Jobs für Schweden“. Es klingt ehrlich gemeint, aber auch ein bisschen herumgedruckst, genau wie seine andererseits tapfer vorgetragene Einordnung der Schwedendemokraten als „rassistisch mit Naziwurzeln“. Sie kämen nie und nimmer für eine Zusammenarbeit infrage, beteuert er.
Allerdings hat das seine seit hundert Jahren meist im Alleingang regierende Partei nicht vor der Wählerflucht gerettet. Dabei boomt Schwedens Exportwirtschaft, mit all den Volvos und Ikea-Möbeln. Der Staatshaushalt schreibt schwarze Zahlen. Löfven lockt bei der „Volksabstimmung über Schwedens Wohlfahrt“ als Wahlkampfhit mit einer Woche Zusatzurlaub für alle Eltern von Kindern zwischen vier und 16 Jahren. Ein letzter, wohl schon verzweifelter Klimmzug kurz vor dem Urnengang ist das. Denn die Topthemen im Wahlkampf sind Mängel im Gesundheitswesen, die kräftige Zuwanderung, Integrationsprobleme inklusive Kriminalität – was den Populisten ihre Schwarzmalerei leicht gemacht hat.
Als schwedische Wälder in der endlosen Sommerhitze lichterloh brannten, ist die Klimapolitik eine Weile nach vorne gerückt. Sie hat den Grünen, seit 2014 kleiner Koalitionspartner in Löfvens Minderheitsregierung, wohl den Verbleib im Parlament und über der Vier-Prozent-Sperrklausel gesichert.
Die Linkspartei, von Löfven vor vier Jahren als Regierungspartner abgewiesen, aber bei Abstimmungen in der Regel an seiner Seite, kann mit einer Stimmenverdoppelung von bisher fünf auf vermutlich über zehn Prozent rechnen. Sie zieht Wähler an, denen die sozialdemokratische Anpassung an den rasant nach rechts driftenden politischen Zeitgeist zu weit geht. Genau wie die kleine Zentrumspartei im bisherigen bürgerlichen Oppositionslager für ihr klares Bekenntnis zu einer humanen Flüchtlingspolitik mit einem ähnlich großen Sprung nach vorn belohnt wird.
Löfven will auch nach der unausweichlichen Niederlage der Sozialdemokraten auf jeden Fall im Amt bleiben. Er möchte das Zentrum und die Liberalen aus dem Bürgerblock ins eigene Lager ziehen, ist damit aber abgeblitzt. Kristersson könnte ihn nach der Wahl nur mit den Stimmen der SD-Fraktion ablösen. Dazu ist er entschlossen. Wie er anschließend aber, so die Ankündigung, ohne jede Zusammenarbeit mit den Rechtsaußen regieren will, ist sein Geheimnis geblieben. Schweden, so viel ist sicher, stehen massive Veränderungen der politischen Landschaft bevor.