Der dänische Regierungschef kündigt nach Jahren die Kooperation mit den Rechten auf, aber den Diskurs in dem Land haben sie längst nachhaltig vergiftet. Eine Analyse von Thomas Borchert.
11. Januar 2018

Aus Kopenhagen kommen kurz nach der Jahreswende überraschende Nachrichten für alle Freunde des weltoffenen, freundlichen Dänemark, die schwer fassen können, dass dieses Land mit Ungarn, Polen und neuerdings Österreich um die hässlichste Zuwanderungspolitik in Europa konkurriert: Regierungschef Lars Løkke Rasmussen hat die bisherige Geschäftsgrundlage mit seinen Mehrheitsbeschaffern von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (DF) aufgekündigt. Erst mal jedenfalls.
Er könne „nur schwer begreifen, warum ein bisschen mehr Geld in der Tasche von Pflegepersonal partout mit der Ausländerpolitik verknüpft werden muss“, begründete Rasmussen knurrend seine Absage von eigentlich fest vereinbarten Verhandlungen über eine Steuerreform und neue Verschärfungen im Zuwanderungsrecht. Rasmussens Zweifel klingt für Außenstehende simpel und logisch, für dänische Ohren aber revolutionär.
Diese Art von Kuhhandel hat seit 2001 als unerschütterliches Fundament bürgerlicher Regierungspolitik in Kopenhagen gedient: DF, damit zur zweitstärksten Partei im Folketing mit 21 Prozent Stimmenanteil aufgestiegen, stimmte als Mehrheitsbeschaffer für alle möglichen Projekte der Minderheitsregierung, wenn sie nur im Gegenzug ihre Forderungen nach immer neuen Verschärfungen gegen all die „Fremden“ durchgewinkt bekam.
„Ausländerverschärfungen“ als Erfolgsmarke
So geschah es, Jahr für Jahr, mit durchschlagendem Erfolg für DF und lange auch für die sich willig anpassende Regierung. Ausländerministerin Inger Støjberg aus Rasmussens liberaler Partei „Venstre“ lässt ganz vorn auf der Internetseite ihres Hauses die jeweils aktuelle Zahl der „Ausländerverschärfungen“ seit 2015 als Erfolgsmarke verkünden.
Gerade ist sie bei Nummer 67 angelangt. Bei Nummer 50 präsentierte sie sich mit einer Jubiläumstorte im Arm strahlend auf Facebook: „Das muss gefeiert werden.“ Der seltsame Begriff „Ausländerverschärfung“ ist in die dänische Alltagssprache dank Politikern und Medienkommentatoren mit derselben Selbstverständlichkeit eingegangen und wird genauso frohgemut propagiert wie, um beim aktuellen Beispiel zu bleiben, die Steuererleichterung.
Eigentlich wollte Rasmussen den Preis des einen für das andere, die ja nichts miteinander zu tun haben, auch dieses Jahr wieder zahlen. Die Idee des von der DF verlangten „Gezeitenwechsels“ für die ohnehin extrem harte Zuwanderungspolitik sage ihm zu, erklärte er vor Weihnachten. Sein Kabinett arbeite an einem umfassenden „Ghettoplan“, verkündete er in der Neujahrsansprache.
Aber dann legten die Populisten plötzlich nochmal einen kräftigen Zahn zu. Nach der krachend verlorenen Kommunalwahl im Herbst schien es der Partei ratsam, sich wieder uneinholbar an die Spitze beim Wettkampf um die schärfsten „Ausländerverschärfungen“ zu setzen. Sowohl die Partei des Regierungschefs wie vor allem auch die oppositionellen Sozialdemokraten haben sie auf der Jagd nach Wählerstimmen dabei inzwischen eingeholt. Siehe die Ausländerministerin.
Hoher Verhandlungspreis
So also trieben die Populisten nach Neujahr den Verhandlungspreis kräftig in die Höhe und produzierten Zeitungsüberschriften wie „DF verlangt Ausgangsverbot für Jugendliche in Ghettos ab 20 Uhr“. Gemeint sind Wohngebiete mit hohem Migrantenanteil und vielen sozialen Problemen auf einer 2010 eingeführten und offiziell so genannten „Ghettoliste“. Der nachweihnachtliche Wunschzettel enthielt auch: Totales Arbeitsverbot und kein Dänisch-Unterricht mehr für Flüchtlinge mit zeitlich begrenzten Aufenthaltsgenehmigungen, sowie deren Internierung in Lagern einschließlich der Kinder – Schluss mit jeder Form von Integration also.
Die Regierungsjuristen winkten ab. Nie und nimmer werde derlei mit Blick auf internationale Konventionen vor Gericht Bestand haben. Bürgermeister und andere, auch in Rasmussens eigener Partei, schüttelten den Kopf bei der Aussicht auf den Abbruch erfolgreicher, oft erfrischend pragmatischer Integrationsbemühungen in ihren Städten und Gemeinden. Dem recht pragmatischen Rasmussen scheint da die Aussicht auf ein Ende mit Schrecken verlockender als die auf endlos neuen, unberechenbaren Forderungen seines langjährigen Mehrheitsbeschaffers.
Frischer Wind in Dänemark
Dafür hat er nun auch eine groß angekündigte Steuerreform geopfert, nach der letzten Wahl das wichtigste Regierungsprojekt. Er steht ohne Mehrheit da. Seinen kleinen Koalitionspartner von der Liberalen Allianz, ausschließlich wegen felsenfest versprochener Steuersenkungen mit von der Partie, gibt Rasmussen der Lächerlichkeit preis.
Der Kabinettschef selbst würde in Ländern mit einer weniger populistisch verseuchten Politikkultur wohl abtreten. Man wird sehen, spätestens bei den nächsten Wahlen bis Ende 2019. Vorerst aber hat Rasmussen, obwohl verdächtig nahe an der undankbaren Hauptrolle im Märchen seines Landsmannes Hans Christian Andersen „Des Kaiser neue Kleider“, seinem Land einen guten Dienst erwiesen: Plötzlich sind unverhofft ein paar Fenster geöffnet für frischen Wind durch Dänemark nach anderthalb klaustrophobischen Jahrzehnten mit Rechtspopulisten, die möglichst auch die letzte Ritze zustopfen wollen.