In Jyllands-Posten: Erinnerung an die viel zu früh gestorbene Sara Danius

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27.10.2019

(Deutsche Version)

Sara Danius traf mächtige Männer im Solar Plexus

 

Von Thomas Borchert

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Zuletzt hat mich mehr als anderes die Mitteilung vom Tod der Schwedin Sara Danius  ins Herz getroffen. Dabei gab es reichlich Anlass in ganz anderen Dimensionen: Auf der Weltbühne der Verrat unseres Westens mit all seinen wunderbaren „Werten“ an den Kurden in Syrien, die nun zu Hunderttausenden flüchten müssen. Hier in Kopenhagen die jämmerliche Reaktion der Regierung darauf: Weil ein paar nun vielleicht nicht mehr in kurdisch-syrischen Lagern gefangene IS-Kämpfer mit dänischem Pass eventuell zurückkommen könnten, werden für deren Ausbürgerung alle Rechtsstaatsprinzipien mal eben im Eilverfahren in die Tonne getreten. In Stockholm vergab die Schwedische Akademie den Literaturnobelpreis an Peter Handke, der serbische Kriegsverbrecher, verantwortlich für Massenmord und ethnische Vertreibung im Balkankrieg, auf groteske Weise in Schutz genommen hat.

 

Sara Danius hat die Akademie von 2015 bis 2018 geleitet und in dieser Zeit die Aufklärung des MeToo-Skandals in den eigenen Reihen mit eiserner Konsequenz durchgezogen. Sie startete mit dieser Feststellung: „Es hat sich erwiesen, dass Mitglieder, die Töchter und Ehefrauen von Mitgliedern der Schwedischen Akademie sowie Personal der Kanzlei unerwünschter Intimität oder unpassender Behandlung durch Personen ausgesetzt gewesen sind.“ Die Verurteilung der männlichen Hauptperson wegen zweifacher Vergewaltigung zu zweieinhalb Jahren Gefängnis hat ihr recht gegeben. Die vornehme Jury mit der Nobelpreis-Glorie entpuppte sich vor aller Augen wie der Kaiser ohne die Kleider bei HCA als inzestuöser Altherrenclub. Die alten Herren aber bäumten sich noch einmal gegen die neuen Zeiten auf. Ihr Wortführer Horace Engdahl, emsiger Förderer, enger Weggefährte und bis zuletzt Verteidiger des verurteilten Vergewaltigers, verhöhnte Danius öffentlich als „schlechteste Sekretärin der Akademie seit 1786“. Er brachte eine Mehrheit hinter sich, die ihr das Vertrauen entzog.

 

Danius brachte ein paar tausend Stockholmer Frauen hinter sich, die vor dem Sitz der Akademie demonstrierten und sich dabei allesamt die „knytblus“ (sløjfebluser) überstreiften, die diese auch modebewusste Frau zu ihrem Markenzeichen gemacht hatte. Der Ruf der Frauen nach dem Rauswurf Engdahls blieb ungehört.

 

In Kopenhagen erinnert mich das an eine 13 Jahre alte, offenbar unverwüstliche „Politiken“-Kronik von Gretelise Holm. Sie beschreibt mit haarsträubenden Beispielen, wie machtvolle (dänische) Männer auch nach den irrwitzigsten und teils kriminellen Fehlleistungen allesamt auf wundersame Weise wieder auferstehen: „Ich hab mit stetig zunehmender Verblüffung die Beobachtung gemacht, dass es für Männer praktisch so gut wie unmöglich ist, sich für die denselben Typ (Macht-) Position zu disqualifizieren.“ In Stockholm wurde Danius als Jury-Chefin vom Hof gejagt. Was die New York Times zu dem Schluss brachte: „Beim Nobelskandal wird ein Mann für sexuelles Fehlverhalten angeklagt. Gestürzt wird eine Frau.“ („In Nobel Scandal, a Man Is Accused of Sexual Misconduct. A Woman Takes the Fall.”)

 

Allerdings hatte Danius genau wie Engdahl nach den uralten Statuten lebenslang Anspruch auf ihren Sitz in der Akademie. Nach der Entmachtung als Jury-Chefin setzte sie sich bei der Nobelpreisverleihung 2018 in einem knallrot-orangenem Ungetüm von einem Kleid, bunt und unübersehbar wie ein Paradiesvogel zwischen all die schwarzen männlichen Frackträger und ein paar diskret gekleidete Damen auf die Bühne. Sie war einfach nicht zu übersehen, was Kritik weckte: Was für eine grenzenlos egozentrische Frau. Ich sah es erst mal auch so.

 

Ein paar Monate danach gab sie, sicher aus anderen Gründen, den endgültigen Austritt aus der Akademie bekannt. Noch mal zehn Monate später, nach ihrem Tod als Folge einer sehr langen Krebserkrankung, ziehe ich jetzt beim Blick auf die Bilder mit der Frau im monströsen Festkleid voller Respekt den Hut. Selbst hatte sie das Kleid so erklärt: „Ich wollte Freude zum Ausdruck zu bringen und dass es Zeit für ein neues Kapitel ist.“

 

Was für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass dieses Kapitel so extrem kurz geworden ist. Dass die Akademie, um ihren komplett ruinierten Ruf doch noch irgendwie zu retten, sich jetzt mit neuen Mitglieder zusammensetzt und auf eine Weise arbeitet, die den Vorstellungen von Danius stark entgegenkommt, fühlt sich tragisch, aber genauso auch als Trost an.

 

Mich hat für Danius auch ganz anderes als ihr Eintreten gegen die männlichen Dinosaurier eingenommen. Sie war eine sehr gute Komikerin. Unvergesslich, wie sie im schwedischen TV-Interview erst klug, nachdenklich und selbstbewusst auf Fragen nach MeToo, die Arbeit als Literaturprofessorin und ihre atemberaubende Kindheit als ältestes der 9 Kinder von Anna Wahlgren antwortete. Ältere dänische Eltern wissen von wem die Rede ist. Viele von ihnen haben wie ich selbst als junger desorientierter Vater Wahlgrens hochpopulären Erziehungsratgeber „De kære børn“ („Die lieben Kinder“, 1983) studiert. Wir hatten keinen Schimmer, welch lebensgefährlichen Abenteuern diese Ratgeberin ihre eigene Kinderschar in einem ägyptischen Dorf ohne Arzt und Schule aussetzte. Sie war hoffnungslos in einen Mann von dort verliebt. Einen Bruder von Sara Danius hat das mit vier Jahren das Leben gekostet. Danius sprach über ihre Mutter ernst und mit dem Grundton, dass Menschen grenzenlose Fehler machen können, die nicht zu korrigieren sind. Dass man aber immer auch verzeihen können muss.

 

Irgendwann schlug Danius plötzlich einen ganz anderen Ton an, fiel in einen schweren Malmö-Dialekt, wurde zu einer komplett anderen Person und plapperte als ihr alter ego „Gittan P. Jönsson“ fröhlich vor sich hin. Auf die Journalistenfrage nach dem Warum antwortete sie: „Das Leben wird so viel lustiger. Du siehst auch aufgemuntert aus. Alle brauchen mehr Gittan, auch bei der MeToo-Debatte.“

 

Sie hat diese Nummer auch gern mal in der Schwedischen Akademie gebracht. Dem Altherrenclub hat auch das missfallen.. Sara Danius ist im Alter von 57 Jahren gestorben. Sie hinterlässt einen 19- jährigen Sohn. Ehre sei ihrem Andenken.

 

 

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