Finnische Linke und Rechtspopulisten sind die klaren Wahlsieger

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Rechtspopulismus

Finnland polarisiert sich

  • von Thomas Borchert
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    Das Gesicht des Wechsels: Antti Rinne, Chef der Sozialdemokraten.

Die Regierungsbildung wird für die Sozialdemokraten nach dem Erstarken der Rechten schwierig.

Das glücklichste Volk der Welt ist für bessere Krankenhäuser, Schulen, ehrgeizige Klimaziele und mehr Respekt für Arbeitslose nach links gerückt, hat aber zugleich Rechtspopulisten mit ihren Parolen gegen Zuwanderer sowie „Klimahysterie“ stark gemacht. Finnlands bisheriger Regierungschef Juha Sipilä vom Zentrum wird nach der krassen Niederlage bei der Reichstagswahl wohl nicht mehr den aktuellen „UN World Happiness Report“ unterschreiben, wonach seine Landsleute zufriedener sind mit ihrem Leben als alle anderen Völker. Die 5,5 Millionen Finnen haben sich mit der Wahl eine politische Polarisierung beschert, die auch hier bisherige politische Konsensmodelle ins Wanken bringt.

Auf Sipiläs Rechtskoalition mit den Konservativen und den Rechtspopulisten folgt nun voraussichtlich eine Regierung unter Führung des Sozialdemokraten Antti Rinne. Allerdings auf keinen Fall vor den Europawahlen Ende Mai. Rinnes SDP hat die Nase vorn, aber mit 17,7 Prozent (zuletzt 16,5) nur hauchdünn vor den rechtspopulistischen „Wahren Finnen“ (17,5) und knapp vor den Konservativen mit 17 Prozent. Sipiläs Zentrum fiel von 21 auf 13,8 Prozent. „Ehrlich gesagt hätte ich mir ein bessere Ergebnis gewünscht“, sagte Rinne schon bei der ersten Prognose. Sein Parteivolk reagierte bei der „Siegesrede“ mit eisigem Schweigen, als er auf den Applaus für die Bemerkung wartete, nun sei man nach mehr als 20 Jahren wieder Finnlands stärkste Partei.

Zu krass war der Abstieg im Endspurt nach langer souveräner Führung in den Umfragen ausgefallen, versinnbildlicht auch durch eine schwere Erkrankung Rinnes Anfang des Jahres. Es macht sich einfach nicht gut, wenn ein Anwärter auf das politische Spitzenamt als Erfolgsmeldung mitteilt, er könne schon wieder 150 Meter gehen, ohne zu verschnaufen. Und alle studieren im Wahlkampf gespannt, ob das auch stimmt.

Grüne in Finnland können jubeln

Guten Grund zum Jubeln in Helsinki hatten die Grünen mit ihren 11,5 Prozent (2015: 8,5) und die Linkspartei mit 8,2 statt zuletzt 7,1 Prozent. Es waren diese beiden Parteien, denen der Linksruck am Ende zu verdanken war. Erstmals überhaupt fuhren die Grünen ein zweistelliges Ergebnis ein und hatten im 61-jährigen Veteranen Pekka Haavisto einen Spitzenkandidaten, dessen herausragende Popularität quer über Parteigrenzen zu durchaus ernsthaften Medienkommentaren führte, ob ein Regierungschef Haavisto nicht viel geeigneter wäre für die Ablösung der bisherigen Rechtskoalition.

Dazu passte in der Personengalerie, dass die Linkspartei die erst 31-jährige Li Andersson, eine ebenfalls herausragend populäre Politikerin, aufbieten konnte, die vor allem junge Wähler direkt, authentisch und optimistisch ansprach. Sie konnte doppelt so viele persönliche Stimmen sammeln wie der matte Sozialdemokrat Rinne. „Die rot-grünen Parteien sind die klaren Sieger dieser Wahl, und damit müssen wir jetzt mal zufrieden sein,“ kommentierte sie das Ergebnis.

Klarer als die Sozialdemokraten hatten sich Grüne und Linke im Wahlkampf beim Thema Klimapolitik aufgestellt und profitierten vom nicht zu übersehenden „Greta-Thunberg-Effekt“. Von dem profitierten umgekehrt aber auch die „Wahren Finnen“, die ihre Kampagne gegen die „Klimahysterie“ am Ende fast genauso intensiv betrieben wie die Hetze gegen Fremde. Zuwanderung ist für die Finnen in ihrem dünn besiedelten, bedrohlich überalterten Land am Rand von Europa bei einem Bevölkerungsanteil von sieben Prozent mit Migrationshintergrund in mancherlei Hinsicht weniger direkt greifbar als der Klimawandel. Drei Viertel des Landes bestehen aus Wald, dem lebenswichtigen Naturraum zur Bekämpfung des Kohlendioxid in der Luft. Aber die endlosen finnischen Wälder sind via industrieller Abholzung eben auch die wichtigste Einnahmequelle für den Export.

Rechte sprechen von „dunkelhäutigen Vergewaltigern und klimabesessenen Job-Zerstörern“

Populistenchef Jussi Halla-aho hat im Wahlkampf die Mobilisierung von Angst vor „dunkelhäutigen Vergewaltigern und klimabesessenen Job-Zerstörern“ so erfolgreich kombiniert, dass er sich selbst die Augen rieb: „Mit diesem Ergebnis hätte ich nie gerechnet. Die anderen hatten uns ja schon ganz abgeschrieben.“ Der Europaabgeordnete hatte die Spitze bei den „Wahren Finnen“ (die ihre Partei selbst nur noch „Die Finnen“ nennen) erst vor anderthalb Jahren gegen den Willen seines als Außenminister mitregierenden Vorgängers Timo Soini erobert. Soini blieb in der Regierung und verließ mit der halben Fraktion die Partei, während Halla-aho aus der Opposition immer radikalere Töne anschlug. Das hat ihn am Sonntag zum Kandidaten mit der höchsten persönlichen Stimmenzahl gemacht, fast dreimal so viel wie für den voraussichtlich nächsten Regierungschef von den Sozialdemokraten.

Traditionell sind alle finnischen Parteien zur Regierungszusammenarbeit miteinander bereit. Während Grüne und Linke die radikalisierten Populisten recht kategorisch ausschließen, will Sozialdemokrat Rinne nur von einer „im Moment unwahrscheinlichen Zusammenarbeit“ sprechen. So ähnlich formulieren es auch die Konservativen, die wohl am liebsten in eine Koalition mit Rinnes SDP, den Grünen und der kleinen schwedischsprachigen SFP einsteigen würden. Ob die Linken dabei sein werden, gilt als offen.

Damit es wenigstens mal erwähnt wird: Die Außenpolitik in Finnland mit einer 1200 Kilometer langen Landgrenze zu Russland samt baltischen Nachbarn und immer engerer, aber umstrittener Anbindung an die Nato, hat im Wahlkampf nicht die geringste Rolle gespielt. Auch nicht Finnlands vollkommene wirtschaftliche Abhängigkeit von einer gut funktionierenden EU, in der Helsinki am 1. Juli den Vorsitz übernimmt. Halla-ahos Partei hat sich derweil mitten im Wahlkampf der EU-Nationalistenliga des italienischen Innenministers und Rechtsaußen Matteo Salvini angeschlossen.

 

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