Die Schwedische Akademie zerlegt sich selbst
Ein ausgekungeltes Frauenopfer
Das Komitee für den Literaturnobelpreis zerlegt sich endgültig, indem ausgerechnet zwei Frauen gehen müssen.
14. April 2018
Von Thomas Borchert

Die Vergabe des Literaturnobelpreises könnte nicht nur in diesem Jahr ausfallen. Sechs Monate nach Anschuldigungen von 18 Frauen über sexuellen Missbrauch und Gewalt im eigenen Umfeld droht der Jury das Aus. Es wäre ein Ende mit Schrecken.
Nachdem Sara Danius, bis Donnerstagabend „Ständige Sekretärin“ der Schwedischen Akademie, ihren erzwungenen Rücktritt verkündet hat und die Lyrikerin Katarina Frostenson ebenfalls nicht ganz freiwillig die Mitarbeit einstellt, ist das Gremium mit nur noch elf aktiven von nominell 18 Mitgliedern laut den Statuten gesprengt. Sie darf jetzt keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen. Noch viel schwerer für die Zukunft der Akademie dürften die postwendend eingesetzten Proteste einer empörten Öffentlichkeit wiegen.
„Ein Schandfleck, der nicht mehr wegzuwischen ist: Zwei Frauen wurden geopfert, eine gegen die andere“, schrieb aus der Mitte der total zerstrittenen Akademie deren Mitglied Per Wästberg. „Man erniedrigt Frauen, aber es ist die Frau, die geopfert wird. Sieht so euer Schlusssatz aus, Schwedische Akademie?“ twitterte Maria Schottenius von der Zeitung „Dagens Nyheter“. Vollkommen ahnungslos über den nun unausweichlichen Protest und schon unfreiwillig komisch bestätigte der neue kommissarische Akademie-Sprecher, Anders Olsson, diese Einschätzung, als er treuherzig im Rundfunk erzählte, er habe als „Deal“ die beiden Frauenrücktritte bei einer Audienz mit Schwedens König Carl XVI. Gustaf ausgekungelt. Nur der Monarch kann die Änderungen der mehr als 200 Jahre alten Statuten verfügen, ohne die es auch formell keine Zukunft mehr gibt.
Die Vorgeschichte: „Dagens Nyheter“ hatte im November die Berichte von Frauen über jahrzehntelange sexuelle Drangsalierung bis hin zu Vergewaltigungsvorwürfen gegen den Künstler Jean-Claude Arnault veröffentlicht. Der Ehemann von Frostenson und Betreiber des mit der Akademie auch durch Subventionen auf das Engste verknüpften Kulturklubs „Forum“ bestreitet alle Vorwürfe. Die Berichte der Frauen in „Dagens Nyheter“ lasen sich wie Blaupausen des MeToo-Starts in den USA mit Harvey Weinstein und der deutschen Anklagen gegen Dieter Wedel. Einschließlich der Hinweise auf frühe, ebenfalls öffentliche Klagen über sexuelle Gewalt schon 1996, die von der damaligen Akademiespitze achtlos beiseite geschoben wurden.
Sara Danius kam 2015 als erste Frau an die Spitze der Sprachakademie, die seit 1901 auch über den Literaturnobelpreis entscheidet. Sie setzte sofort eine umfassende externe Untersuchung in Gang und pflegte nicht nur dabei einen gänzlich anderen Stil als weiter im Gremium mit Sitz und Stimme vertretene Vorgänger. Es war der inzwischen 89-jährige Sture Allén, der als Sekretär vor zwei Jahrzehnten Frauenklagen gegen Arnault unbeachtet ließ und dies weiterhin richtig findet.
Horace Engdahl (68), Akademie-Sekretär bis 2009, hat stets öffentlich seine enge persönliche Freundschaft mit dem gebürtigen Franzosen herausgehoben. Für ihn ein „Lebensstil-Vorbild“.
Bei den Ermittlungen eines Stockholmer Anwaltsbüros zur möglichen MeToo-Verwicklung der Akademie kam auch zutage, dass Katarina Frostenson entgegen den Statuten Mitbetreiberin vom „Forum“ ihres Mannes ist und ihm daheim auch die jeweils anstehenden Nobelpreisträger vorab verraten habe. Danius sah das als so gravierend an, dass sie den Ausschluss der Lyrikerin aus der Akademie vorschlug, in einer Kampfabstimmung aber 6:8 unterlag. Drei mit ihr stimmende männliche Mitglieder traten aus Protest zurück.
Die beiden Vorgänger aus vergangenen Zeiten sahen als Sieger bei dieser Abstimmung die Stunde gekommen, um weitere Rechnungen zu begleichen. Nie zuvor seit 1786 sei ein Akademie-Sekretär „erfolgloser gewesen als die derzeitige“, schrieb Engdahl in einem herablassenden, auf verbale Vernichtung zielenden Zeitungskommentar. Allén bestätigte kühl im Fernsehen, die Zeit sei reif, über das „fehlende Vertrauen der Akademie“ in die Frau an der Spitze zu befinden. Durch den Abgang der drei Danius-Mitstreiter waren die Mehrheitsverhältnisse ja ziemlich klar. Kein Wort fiel mehr über die Rolle der eigenen Institution in Sachen MeToo.
Die politische Stärke dieser Bewegung in Schweden muss der Engdahl/Allén-Fraktion komplett entgangen sein. Sonst hätte sie nicht allen Ernstes ihren Vorschlag als „Kompromiss“ angepriesen, bei dem im Gegenzug für den Abgang der ungeliebten Sekretärin auch Frostenson den Platz räumt. Auch werde man „alles daran setzen“, Sara Danius und die letzte Woche abgetretenen drei Mitglieder zurückzugewinnen, verkündete Interims-Sekretär Olsson. Sowie auch die seit 2015, entnervt von der „sozialen Abgeschlossenheit“ der Akademie, weggebliebene Schriftstellerin Lotta Lotass.
Schon 1989 hatte ihre Kollegin Kerstin Ekman ihre Mitarbeit bei dem eingestellt, was sie damals als „Rokokotheater“ verspottete und heute „Sekte“ nennt. Beide werden nach dem vorsintflutlichen Statut formell weiter unter den nominell sieben Akademie-Frauen mit aufgeführt. Wenn die enge Danius-Mitstreiterin, Sara Stridsberg, alsbald auch noch ihren zu erwartenden Abgang verkündet, sind es in Wirklichkeit nur noch zwei.