Dänisch für Fortgeschrittene

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Dänisch für Fortgeschrittene

Die Dänen gehören zu den glücklichsten Menschen der Welt. Wie wird man denn ein glücklicher Däne und will man das überhaupt? Die Staatsbürgerschaftsprüfung jedenfalls ist nichts für Anfänger. Unser Autor Thomas Borchert versucht es.

4. Mai 2017

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Gute Laune in der dänischen Hauptstadt: In Kopenhagen fliegen am internationalen Tag der Kissenschlacht die Federn. Foto: AFP

Vor dem Beitritt zum glücklichsten, in schlechten Jahren zweitglücklichsten Volk der Welt türmen sich überraschende Hürden auf. Als einer von gut dreitausend Kandidaten für die Staatsbürgerschaft hatte ich bei der Prüfung „Dansk 3“ meine Sprachkenntnisse unter Beweis zu stellen. Im mündlichen Teil musste jeder von uns mit einem Minivortrag zur Frage Stellung nehmen: „Wie stehst du zu unserer entspannten Alkoholkultur in Dänemark?“ Alle duzen sich ja und sind offenbar stolz auf ihr „skål“ in allen Lebenslagen als Kulturleistung. In eleganten Wendungen, so jedenfalls die eigene Wahrnehmung, und mit leichtem Akzent bekannte ich, dass sie mir Zuwanderer in 33 Jahren eine Menge Spaß gebracht hat. Getrübt durch ein moderat schlechtes Gewissen als Vater von drei Dänen-Sprösslingen mit einer Dänen-Mutter. Die Jugend hier hat die allseitige Entspanntheit zur trinkfreudigsten in Europa gemacht.

Die blonde Zensorin und ihr brünetter Mitzensor hörten diesen Ausführungen interessiert zu und entließen mich mit einer erfreulichen Zensur, weil die Grammatik stimmte. Auch die „Staatsbürgerschaftsprüfung“ aus 30 schriftlichen Fragen wie „Gibt es die Todesstrafe in Dänemark?“ war zu stemmen. Alle hatten sich auf 80 Seiten Vorbereitungspapier alles komplett bis auf ein paar aktuelle Fragen vorab aneignen können. Ich Däne in spe kreuzte auch richtig an, ob als letzter ausländischer Regierungschef Angela Merkel, David Cameron oder der Schwede Stefan Löfven nach Kopenhagen gekommen war. Als Korrespondent hatte man hier einen Wettbewerbsvorteil, weil andere nach dem Putzen in Krankenhäusern, Backen in Pizzerien oder Schleppen auf Bauplätzen eventuell kein Interesse an staatstragenden Politikerbesuchen mehr mobilisieren konnten.

Für mich Glückspilz also rückte die doppelte Staatsbürgerschaft, in Dänemark 2015 eingeführt, einen großen Schritt näher. Bis ich in Wunstorf, Niedersachsen, im Stau bei Rot langsam über eine Ampel rollte und mit dem dänischen Nummernschild geblitzt wurde. Das kam ungelegen. Wer ein Bußgeld für Delikte aller Art über 3000 Kronen (400 Euro) oder mehr aufgebrummt bekommen hat, kann viereinhalb Jahre weder Däne noch Dänin werden. 100 statt 80 km/h auf der Landstraße reichen. Unfreiwillig Schlagzeilen machte mein afghanischer Zuwanderer-Kollege Nasim Mashir, als er nach 14 Jahren im Land immer noch nicht mit dem Unkrautbrenner klarkam. Den Brand seiner Ligusterhecke konnte die Feuerwehr ohne Folgeschäden schnell stoppen. Trotzdem flatterte ein Bußgeldbescheid über 3000 Kronen ins Haus und dann die Mitteilung, dass der Antrag auf Einbürgerung nunmehr abgewiesen sei. Der Kandidat möge sich in viereinhalb Jahre eventuell neu bewerben.

Bei Rot über die Ampel, egal wo, gilt sicher als genauso „udansk“, undänisch, wie Inkompetenz am Flammenwerfer, dachte ich im Stillen und schickte den Einbürgerungsantrag nicht ab. Besser, so die Schmach der Abweisung zu umschiffen. Und sowieso würde der dänische Pass für mich EU-Bürger keine handfesten Konsequenzen haben. Ich wollte nach drei Jahrzehnten einfach bei einer „Folketings“-Wahl mitstimmen dürfen. Und meine Freude über die guten, für mich so lehrreichen Jahre hier mit der Einbürgerung als Deutschdäne für jeden sichtbar feiern. In den freundlich entspannten Alltag, auch ohne „skål“, war ich vom ersten Tag an vernarrt und bin es immer noch.

Ein paar Monate gingen ohne Bußgeldbescheid aus Niedersachsen ins flache Land zwischen Nord- und Ostsee. Sie bekommen es in der EU wohl nie gebacken mit der Amtshilfe bei Verkehrsdelikten. Nach einem halben Jahr schien genug Gras über die Sache gewachsen. Leider ist für manche der Weg bis zum Ausfüllen und Abschicken kilometerlanger Formulare weit. Als ich mich endlich aufraffen konnte, war zu viel Gras über die Sache gewachsen. Dänemarks Regierung hatte meine Staatsbürgerschaftsprüfung durch eine „indfødsretsprøve“ ersetzt, wörtlich: „Eingeborenenrechtsprüfung“. Der altertümliche Rechtsbegriff von 1776 sollte die angestrebte Senkung der Zahl von Neudänen mit Pass verbal untermauern. Um Eingeborener werden zu können, musste man jetzt 40 statt 30 und viel schwerere Fragen beantworten. Im Lehrbuch zur Vorbereitung waren 125 statt 80 Seiten auswendig zu lernen.

Es funktionierte besser als von den Urhebern erwartet. Beim ersten Anlauf nach neuem Muster fielen zwei Drittel durch. Diese Prüflinge aus Palästina, Polen, der Ukraine, Usbekistan, diversen Teilen Kurdistans bis zu den Philippinen, konnten zum Beispiel nicht korrekt ankreuzen, ob Carl Nielsen, der berühmteste aller dänischen Komponisten, 1865–1931, 1870–1940 oder 1892–1965 gelebt hatte. Und wollen sich Dänen nennen! Auch 1968, 1970 oder 1971 als Premierenjahr der Kinoklamotten mit der legendären Olsenbande hatte kaum jemand parat. Obwohl doch auf einer der 125 Seiten glasklar steht: „1968–1981 entstanden 13 Filme über die Olsenbande.“

Ich schaffte beim unverbindlichen Selbsttest 33 richtige Antworten von 40, mit Ach und Krach eine mehr als zum Bestehen nötig. Als Skandinavien-Korrespondent, der eigentlich jeden Tag beruflich für diese Prüfung gepaukt hatte. Außerdem schrieb ich gerade an einer deutschen „Gebrauchsanweisung für Dänemark“ zu Geschichte, Kultur, dem freundlichen Alltag und dem sonstigen Drum und Dran. Und las zugleich in der Zeitung, wie die Ausländerministerin sich mit der drastisch gestiegenen Durchfallquote ohne Umschweife brüstete. So ist Inger Støjberg zur populärsten Politikerin im Land der Hygge, der allgegenwärtigen Gemütlichkeit, aufgestiegen. Verschärfungen beim Ausländerrecht sind ihr als Erfolgskriterium schlechthin so wichtig, dass sie später bei „Verschärfung Nr. 50“ ein glückseliges Foto von sich samt Jubiläumstorte auf Facebook auslegte: „Das muss gefeiert werden.“

„Ihr könnt euch die Staatsbürgerschaft sonst wohin schmieren“, grummelte es bei der Lektüre im Zuwandererbauch. Bis meine bestandene Prüfung ihr Verfallsdatum überschritten hatte: Sie galt ja nun als viel zu leicht. Endgültig abhaken oder neuer Anlauf? Lebenslang verguckt in das freundliche Alltags-Dänemark oder zu viel Brechreiz? Nach einem halben Jahr saß ich wieder in einer schlecht beheizten Turnhalle und kreuzte brav die 40 Fragen für die neue „Eingeborenenrechtsprüfung“ an. Nur ein Fehler. Die Fallgruben für uns „fremmede“, die Fremden, waren jetzt etwas weniger mörderisch ausgelegt. Die Fragenformulierer hatten die erwünschte Balance gefunden, damit wir Kandidaten mit ausreichend Schultraining uns durchwursteln konnten, die „aus nichtwestlichen Ländern“ ohne dieses Rüstzeug aber immer noch ausreichend tief plumpsen würden. Wenngleich auch ich falsch riet, ob die epochale Reform des Tarifwesens 1933 als „Kanzlergade-Einigung“ oder „September-Einigung“ allen echten Dänen in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Halten Sie mich ruhig für einen Wackelpudding, Wendehals oder windelweichen Zauderer. Wieder sind Monate ins Land gegangen, ohne dass ich den Antrag abgeschickt hätte. Obwohl mein Interesse am dänischen neben dem deutschen Pass seit dem Brexit von handfestem Eigensinn genährt wird. Bei den Briten geht es ja schon jetzt nicht nur Osteuropäern aus EU-Ländern an den Kragen. Gerade bekam eine deutsche Zuwanderin nach 20 Jahren im Land keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, so war in der FR unter der Schlagzeile „Ausländer als Faustpfand“ (für die Brexit-Verhandlungen) zu lesen. Sie hatte sie als „Prophylaxe“ für die unsicheren Zeiten nach dem EU-Austritt beantragt. Aus demselben Grund ist die Zahl von Anträgen auf die britische Staatsbürgerschaft explodiert.

Alles der helle Wahnsinn, und jetzt erreicht er eben auch uns Luxusmigranten aus der EU: Wer kann mir reiferem Semester sagen, ob die Kopenhagener Ministerin eventuell die 100. und 150. „Verschärfung zum Ausländerthema“ damit feiert, dass sich meinesgleichen bei den Warteschlangen für die Hüftoperation, die bessere kommunale Wohnung oder irgendwann den Pflegeheimplatz hinten anzustellen hat? „Dänemark zuerst“ muss immer weitergedreht werden, so funktioniert nun mal das politische Showgeschäft. Das Selfie mit der Jubiläumstorte brachte der populärsten dänischen Politikerin 35 000 Likes. Das ist erste Facebook-Sahne für dieses kleine Land. Genauso gewinnt man hier seit zwanzig Jahren auch die Wahlen. Die Kopenhagener Kommentatoren feiern die Vielgelikte als Meisterin der „politischen Kommunikation“. Das Zeug zur Regierungschefin habe sie allemal.

Man liest es, und wieder krabbelt Trotz hoch. Immerhin haben wir zu Hause mit drei Sprösslingen einen überdurchschnittlich wichtigen Beitrag gegen den Geburtenrückgang in Dänemark geleistet. Wir brauchten dazu auch keine groß aufgemachte TV-Show am Samstagabend mit dem unvergleichlichen Titel „Knald for Danmark“, „Vögelt für Dänemark“, voller praktischer Ratschläge von der Verführung bis zum Windelwickeln, zur nationalen Selbsterhaltung. Tatsächlich kamen neun Monate später mehr Dänen-Babys auf die Welt als üblich. Eigentlich sind nationale Aufwallungen mir fremd, egal oder suspekt, positive wie negative, deutsche und dänische und auch die in Bulgarien oder Bolivien. Erst recht, seit Dänen mir Zugelaufenem unaufgeregten Pragmatismus ohne solche Scheuklappen als viel produktiver vorgeführt haben. Jetzt führen ihre Meinungsmacher zur Abgrenzung von „nichtwestlichen Zuwanderern“, sprich Muslimen, immer neue Zauberkunststücke bei der Definition von „danskheden“, dem Dänischen, mit der Lautstärke und intellektuellen Kraft von Stammeskriegern vor. „Danskhed“ ist zum Synonym für alles Gute und Bewahrenswerte am Menschen geworden und gerade auch zum Wort das Jahres gekürt: Es habe „2016 umhüllt“. Um im Fernsehbild zu bleiben: Man fühlt sich wie im Dschungelcamp von RTL.

Mein Antrag auf die Einbürgerung schmort immer noch ohne Unterschrift vor sich hin. Ein paar Tage nach der bombastischen Jubiläumstorte der Ministerin sah man die Kopenhagener Stadträtin Anne Mee Allerslev auf Facebook mit einem bescheideneren Kuchen und der Zahl 75 drauf: Sie wolle feiern, dass 75 Prozent der Zuwanderer einen Job haben. 45 000 Likes, 10 000 mehr als für die famose Støjberg. Da wäre man dann eventuell doch gerne dabei und findet wieder den Draht zum Ursprungswunsch: Ich wollte so gern bei einer „Folketings“-Wahl an die Urne. Wo jede Stimme noch mehr zählt als auf Facebook. Morgen schick ich den Antrag ab.GA Cover .jpgThomas Borchert: Gebrauchsanweisung für Dänemark, 224 Seiten, Piper Taschenbuch, 15 Euro

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