Bornholm
Sind Dänen immun gegen Rassenhass?
Nach einer brutalen Mordtat schließt die Polizei ein fremdenfeindliches Motiv verblüffend schnell aus.
Auf der Ostseeinsel Bornholm haben zwei Einheimische einen Afro-Dänen nachts in einem Wald stundenlang so schwer misshandelt, dass er am folgenden Tag im Krankenhaus starb. Die Polizei teilte mit, dass einer der beiden dabei ein Knie auf den Hals des Opfers presste, genau wie ein US-Polizist im Fall des dabei getöteten Afro-Amerikaners George Floyd. Zwei Brüder wurden als tatverdächtig festgenommen, einer der beiden gilt als stolzer Träger von Hakenkreuz- und „White-Power“-Tattoos und huldigt auf Facebook einem wegen rassistischer Hetze verurteilten Koranverbrenner. Dennoch ist sich Dänemarks Polizei auffallend schnell sicher: Rassismus ist kein Motiv bei diesem Mord.
Staatsanwältin Bente Pedersen Lund präsentierte mit einer höchst eigenwilligen Formulierung diese Erkenntnis als sicher: „Die persönliche Beziehung zwischen den Tatverdächtigen und dem Opfer ist komplett schiefgegangen und der Grund für die Tötung.“ Der 28- jährige Sohn einer Frau aus Tansania und einem Dänen sowie die etwas jüngeren Tatverdächtigen waren befreundet, es soll um familiäre Rache gegangen sein. Aber soll die stundenlange, brutale Misshandlung des Opfers tatsächlich nichts mit dessen dunkler Hautfarbe zu tun haben?
„Was muss passieren, damit die Polizei bei uns etwas als rassistisch ansieht?“ fragt der Journalist Philip Sampson vom Online-Magazin „POV International“ auf seiner Facebookseite. Sampson, selbst Afro-Däne, hatte eine Welle von Reaktionen ausgelöst, als er sich öffentlich auch über die passive Reaktion der großen Medien auf dieses Verbrechen mit Verbindungslinien zum Mord an George Floyd wunderte.
Schönfärberische Aussagen
Tatsächlich berichtete die dänische Version der „Tagesschau“ nach Bekanntwerden des Falles in epischer Breite über einen Bandenmord im Zuwandererbezirk Vollmose, erwähnte aber die Tat in Bornholm mit keinem Wort. Man könne nun mal nicht alle 50 Morde pro Jahr im Fernsehen berücksichtigen, sagte der Nachrichtenchef des Senders DR später zur Begründung.
Die Suche nach Erklärungen führt zu einer aktuellen Umfrage über die Ausbreitung von Rassismus. Gut die Hälfte der befragten Dänen ist sicher, dass es dergleichen in ihrem Land gar nicht gibt, nur 30 Prozent äußern das Gegenteil. Diese schönfärberische Sicht auf die eigene Gesellschaft sehen Kritiker auch widergespiegelt in Behörden, Medien und dem politischen Mainstream. Die Rechtspopulistin Pia Kjærsgaard, bis zur Wahlniederlage ihrer Partei DVP 2019 Parlamentspräsidentin und als erfolgreichste Politikerin des Landes über zwei Jahrzehnte allseits geachtet, hat gerade erst verkündet: „Rassismus gibt es in der dänischen DNA nicht.“
So sieht auch eine breite Mehrheit im Parlament nichts Rassistisches daran, dass die ethnische Herkunft „nicht-westlicher“ Bewohner den Ausschlag dafür geben kann, Wohnbezirke mit starken sozialen Problemen offiziell als „Ghetto“ oder auch „hartes Ghetto“ einzustufen – wo für bestimmte Gesetzesbrüche das Strafmaß verdoppelt werden kann.
Dass es den alltäglichen Rassismus in Dänemark genauso gibt wie anderswo, bezeugt die Statistik: 15 Prozent aller Opfer von Gewalttaten gaben bei einer Erhebung des Kopenhagener Justizministeriums für die Zeit von 2005 bis 2018 an, dass die Gewalt gegen sie sicher oder wahrscheinlich rassistisch begründet war. Das würde nach Berechnung der Zeitung „Information“ zwischen 4000 und 5400 rassistisch motivierte Gewalttaten pro Jahr bedeuten. Zur Anklageerhebung wegen Hassverbrechen kam es aber nur in 84 Fällen.