Keine Hygge: Eine absurd verweigerte Einbürgerung in Dänemark

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Kopenhagen 2020: die Autorin an ihrem Schreibtisch. privat
Skandinavien 2020: Autorin Annette Herzog  am Schreibtisch.© privat

28.05.20 17:35

Einbürgerung in Dänemark

Dänisch lernen ist nicht schwer …

  • von Thomas Borchert

… Dänin werden dafür sehr. Annette Herzog lebt seit 30 Jahren in Kopenhagen, ihre Bücher sind preisgekrönt. Nun wird ihr die Einbürgerung verweigert, weil sie keinen Sprachtest vorweisen kann.

So einen wilden Slalom quer durch die zweite Sprache im Leben muss man erst mal hinbekommen, noch dazu mit Bilderbuchsturz vor dem Ziel. Annette Herzog, 1960 in der DDR geboren und dort zur Dänisch-Dolmetscherin ausgebildet, hat es nach Wende und Auswanderung in die Spitzengruppe von Dänemarks Kinderbuchautorinnen geschafft. Um jetzt vom Kopenhagener Ausländerministerium die Ablehnung ihres Antrags auf Einbürgerung mitgeteilt zu bekommen, weil sie „die geltenden Bestimmungen zum Nachweis von Dänischkenntnissen nicht erfüllt“.

Moniert wird, dass sie keine Sprachprüfung auf dem Niveau der 9. Gesamtschulklasse vorweisen kann. Ohne die kann aus ihr auch nach 39 Büchern in der Landessprache und 29 unbescholtenen Kopenhagener Jahren keine Dänin werden. Basta.https://embeds.fanmatics.com/?campaignId=98069297&referrer=https%3A%2F%2Fwww.fr.de%2Fpanorama%2Fdaenisch-lernen-nicht-schwer-13780179.html

In Galopp gebracht hat diesen Amtsschimmel ein drakonisch hart abweisendes und kafkaesk wirres Ausländerrecht, das Rechtspopulisten dem angeblich glücklichsten Volk der Welt über die letzten 20 Jahre verpasst haben. Damit man bei der „Hygge“ möglichst unter sich bleibt.

Kafkaesker als Kafka

Der Fall Herzog hat in Dänemark enormes Aufsehen erregt, auch wenn Ähnliches eigentlich an der Tagesordnung ist. Dänemarks größte Zeitung „Politiken“ widmete der Abweisung einen Leitartikel: „Selbst Kafka hätte Probleme, sich Absurderes auszudenken.“ Parlamentsabgeordnete bestürmen Ausländer- und Integrationsminister Mattias Tesfaye, für eine Revision der „zum Himmel stinkenden Fehlentscheidung“ zu sorgen.

Annette Herzog 1983 als junge Mutter in Greifswald, wo sie ihr Diplom als Dänisch-Dolmetscherin ablegte. 	privat
Annette Herzog 1983 als junge Mutter in Greifswald, wo sie ihr Diplom als Dänisch-Dolmetscherin ablegte.  © Privat

Bisher hat der Antragstellerin aber auch nicht geholfen, dass das Schulministerium 2017 ihren „außerordentlich bemerkenswerten Einsatz für leserfreundliche dänische Literatur“ mit seinem Autorenpreis ehrte. Im selben Jahr schickte das Kulturministerium die Autorin mit der Graphic Novel „Hjertestorm/Stormhjerte“ („Herzsturm/Sturmherz“) als nationale Kandidatin ins Rennen um den Nordischen Preis für Kinderliteratur (mit den Illustratoren Katrine Clante und Rasmus Bregnhøi).

Dass ihr trotz alledem als Bürgerin und Steuerzahlerin über drei Jahrzehnte das Wahlrecht verweigert wird, bringt sie selbst nicht wirklich aus der Ruhe. „Bürokratie ist hier immer ein einfaches Ding gewesen im Vergleich zu Deutschland, das hab ich auch bei Lesungen herausgehoben.“ Jetzt sei sie ihr das erste Mal „unsympathisch“ begegnet: „Man hat schon den Eindruck, dass die Mitarbeiter dort ein besseres Gefühl haben, wenn sie möglichst viele abweisen.“

Nach dem ersten von drei Jahren Wartezeit bot die Antragsstellerin an, die Sprachprüfung eben schnell nachzuholen, weil ihr dämmerte, auf welch vermintes Gelände sie geraten war. Das Einbürgerungsamt ignorierte ihr Friedensangebot und zog eine Materialschlacht vor. Die Kandidatin sollte ersatzweise Arbeitsbescheinigungen als Dolmetscherin aus der ehemaligen DDR vorlegen, und zwar binnen 14 Tagen. Was sich als schwierig erwies.

Das Amt wechselte in einen Stellungskrieg mit konsequentem Schweigen über fast ein Jahr. Als die Kandidatin erneut bat, den Antrag zwecks Ablegung der Sprachprüfung ruhen zu lassen, schlug blitzschnell die Abweisung in der Mailbox auf: „Du kannst nicht dänische Staatsbürgerin werden.“

Bis auf die Mitglieder der Königlichen Familie werden in Skandinavien ja alle geduzt – und so wurde dieser Zugewanderten per Du mitgeteilt, dass sie sich mit einem neuen Antrag wieder ganz hinten in der Schlange anzustellen habe. Nach Ablegen der Sprachprüfung für Neuntklässler, versteht sich. „Das mit der am Ende sehr plötzlichen Ablehnung hat mich dann doch gewurmt“, beendet Annette Herzog ihre überwiegend amüsierte Schilderung des bürokratischen Zickzacklaufs.

Aber: Wie kam sie überhaupt auf die Idee, damals, 1991, nach Dänemark zu ziehen? „Wir hatten so was von Abenteuerlust nach der DDR-Erfahrung und keine Ahnung, was uns erwartet“, erklärt sie den Umzug von Berlin nach Kopenhagen mit vier Kindern und Ehemann. In der ersten Zeit liest Annette Herzog zu Hause bergeweise Kinderbücher aus der Stadtbücherei vor, damit ihre Kleinen möglichst schnell Dänisch lernen. Nebenbei angemerkt sei: Alle vier Kinder sind im Land geblieben und heute berufstätig. Allein damit – und da sind die neun Enkel noch gar nicht erwähnt – hat die heute 59-Jährige einen bemerkenswerten Beitrag gegen die demografische Talfahrt ihrer Wahlheimat geleistet.

Doch zurück zur Chronologie: „Viele dänische Kinderbücher waren sehr gut, einige aber schlecht. Da hab ich gedacht, dass ich das auch und manchmal besser kann.“ Als sie langweilige Bürojobs satthat, bewirbt sie sich 2000 um einen Platz an der Kopenhagener Autorenschule für Kinderliteratur. Sie wird genommen und hat im selben Jahr auch schon das erste Kinderbuch in der zweiten Sprache herausgebracht: „Man ved aldrig med Emilie“ („Bei Emilie weiß man nie“).

2017 schließlich gelingt ihr mit „Hjertestorm/Stormhjerte“ der mehrfach preisgekrönte große Wurf. Sie schreibt in kristallklar schönem Dänisch über die Lust und Not von 14-jährigen Mädchen und Jungen in der Pubertät. „Raffiniert, überragend, ein deutsch-dänisches Gesamtkunstwerk“, lobte der Kritiker der „Jugendbuchtipps“ die deutsche Version. Der Vorgängerroman „Pssst!“, von Herzog wie viele ihrer Bücher auch in der Muttersprache veröffentlicht, brachte 2017 eine Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis.

Den Kurs wählte der Staat aus

Im Herbst erscheint auf Dänisch ein Buch für Erwachsene und auch eins für ganz junge Leser über Annette Herzogs 30 Lebensjahre in der DDR. Mit sicherem Blick für den Charme des Grotesken erzählt sie hier, wie ihr ungewöhnlicher Weg durch die dänische Sprache mit einer Anordnung begann. Sie wollte Dolmetscherin werden, das konnte man damals in Berlin, Leipzig oder Greifswald.

Berlin war ihr zu dicht am Elternhaus, erzählt Annette Herzog, und Leipzig „suspekt wegen zu viel Russisch und Chinesisch“. In Greifswald hätte sie Schwedisch genommen, wenn man sie gefragt hätte. Sie wurde aber nicht gefragt: „Am ersten Tag hieß es, du kommst in die dänische Gruppe. So ist es Dänisch geworden.“ Nach dem Dolmetscherdiplom konnte sie ihre Kenntnisse allenfalls mal bei der Übersetzung von Gebrauchsanweisungen, Toaster und so, anwenden. Mehr war eben nicht in der DDR.

„Als wir 1991 nach Kopenhagen zogen, war mein Dänisch ziemlich schlecht“, erinnert sich Annette Herzog. Das hat sich nachhaltig geändert, wie nicht nur unzählige junge und alte Leserinnen und Leser, sondern auch zwei Ministerien in Dänemark mit ihren Ehrungen bestätigen. Nur eben das Einbürgerungsamt im Ausländer- und Integrationsministerium nicht.

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