Schweden: Wo ein Topmanager bei Geschlechtsumwandlung den Job behält

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Ihren Geschäftspartnern schickte Farberger eine schlichte Mail: „Hallo. Ich will mitteilen, dass ich morgen den Vornamen wechsele und auch das Geschlecht.“

Transgender

„Ich bin Geschäftsfrau und Familienvater“

  • von Thomas Borchert

Caroline Farberger leitet die Versicherungstochter der größten schwedischen Supermarktkette. Bis vor kurzem hieß sie Carl. Die Geschichte einer mutigen Verwandlung.

Nach der Betriebsversammlung war es dann ein normaler Arbeitstag“, erzählt die Schwedin Caroline Farberger ihren Rundfunkhörern. Bei der Versammlung mit der ganz und gar ungewöhnlichen Neuigkeit habe die größte Herausforderung als Chefin vor der Belegschaft der ICA-Versicherung darin bestanden, die Stimme etwas höher zu bekommen: „Das ist harte Arbeit für eine wie mich.“ Aber wichtig eben, um die Veränderung nicht nur durch die Frauenkleidung und sorgfältiges Schminken klarzumachen.

Am Tag vorher hatte noch der männliche Versicherungschef Carl Farberger ungeschminkt im Anzug das Büro verlassen und kurz vorher Geschäftspartnern eine Sammelmail geschickt: „Hallo. Ich will mitteilen, dass ich morgen den Vornamen wechsele und auch das Geschlecht.“

Auch für Schweden, wo männliche Mainstream-Politiker sich durchweg als Feministen einstufen und #MeToo gerade im Berufsleben durchgeschlagen hat wie nirgendwo sonst, ist der Geschlechtswechsel eines Topmanagers am selben Arbeitsplatz bisher einzigartig. Die 51-jährige Farberger hat den Schritt im letzten September getan und die Öffentlichkeit zweimal ausführlich daran teilhaben lassen.

Am Tag des Outings vor den eigenen Mitarbeitern erschien in der Wirtschafts-Tageszeitung „Dagens Industri“ eine große Reportage über die anderthalbjährige Vorbereitung mit Vorher-nachher-Fotos. Und mit klaren Bekenntnissen aus der Spitze des Mutterkonzerns ICA, der landesweit größten Supermarktkette mit 22 000 Beschäftigten, zu Caroline nach der Geschlechtsanpassung.

„Meine erste Reaktion war schon Überraschung und dann Zuversicht“, sagt Konzernchef Per Strömberg. Er habe sofort nach der ersten Information bei Farberger angerufen, um mitzuteilen, dass „der gesamte Konzern 100 Prozent hinter ihrem Veränderungsprozess steht“. Neugierig sei er natürlich auch gewesen, und da das Verhältnis zu Carl/Caroline „von Beginn an cool war, konnte ich alles fragen“.

Im Nachhinein hat Farberger bei aller Begeisterung für die positive Reaktion von ganz oben doch auch berichtet, dass dem ersten Gespräch mit ICAs Bankchefin Marie Halling als ihrer Vorgesetzten viele schlaflose Nächte vorausgingen: „Davor hat mir gegraut. Meine und die Existenz meiner Familie hingen von ihrer Reaktion ab.“ Halling nahm sie, die da noch ein Er war, erst mal in den Arm.

Farberger, Vater von drei schulpflichtigen Kindern, ist und bleibt verheiratet mit seiner Frau Ylva Rönnqvist. Sie war es, die ihm mit der wiederholten Frage die Augen endgültig dafür geöffnet hatte, dass er als „Transperson“ im falschen Geschlecht lebte: „Sag, möchtest du nicht eigentlich lieber ein Mädchen sein?“

ICA ist die landesweit größte Supermarktkette und hatte 2016, ein Jahr nach dem Einstieg ins Privatversicherungsgeschäft, den erfahrenen Versicherungsmann und früheren McKinsey-Berater Farberger von einem Großkonkurrenten abgeworben. Als CEO sollte er den schnell wachsenden neuen Geschäftszweig mit inzwischen 150 000 Kunden in die Gewinnzone führen. In bisher zwei Geschäftsberichten erklärt nun dieselbe Person erst als Mann und nun als Frau, dass man im Rekordtempo wachse, aber doch noch ein paar Herausforderungen bis zu Break-even zu bewältigen seien. Wie CEOs so etwas eben geschlechtsunabhängig darlegen, so dass es positiv und optimistisch klingt.

ICA ist mit seiner hundertjährigen Genossenschaftsgeschichte und Kundenkarten für fast die Hälfte aller zehn Millionen Bürger in etwa so wichtig für das schwedische Nestgefühl wie Volvo, Ikea, Abba und Pippi Langstrumpf. Nicht nur unter männlichen Chefs, die im Herbst fast geschlossen auf die testosteronlastige Elchjagd gehen, dürfte sich die Achtung vor Männern mit Hang zu Frauenkleidern in Grenzen halten.

ICA-Chef Strömberg antwortete in „Dagens Industri“ auf die Frage nach möglichen Umsatzverlusten durch Farbergers öffentlichen Geschlechtswechsel: „Unmöglich vorherzusagen. Unsere Händler und Kunden spiegeln die Gesellschaft wider. Da könnte es schon ein paar Skeptiker geben.“ Andererseits werde dieser Fall vielleicht auch zu einem Plus für ICA als Marke, nachdem man auch schon öffentlich mit Praktikanten mit Down-Syndrom geworben habe: „ICA will bei so etwas immer vorn sein. Erst ging es um Menschen mit Behinderung und in letzter Zeit auch um LBGT-Fragen.“ Wie Farberger dieser Vergleich gefällt, ist nicht bekannt.

„Ich bin Geschäftsfrau und Familienvater.“ Mit diesem Satz als Begrüßung hat sie jetzt in der populären Radioserie „Sommarprat“ („Sommergespräch“) ausführlich erzählt, wie es ihr ergangen ist, seit sie aus den männlichen Chefnetzwerken in die weiblichen gewechselt ist: „Erst mit dem Verlassen der männlichen Rolle habe ich einen klareren Blick dafür erhalten, was eigentlich Privilegien bedeuten.“

Wenn man sie habe, „erlebt man alle Vorteile als natürlichen Teil des Daseins“. Sie sei sehr überrascht, wie schnell sie in Frauennetzwerke eingeladen und dort als gleichberechtigt aufgenommen worden sei, „wo sich alle mehr öffneten“, wenn keine Männer dabei sind. Ihr Respekt vor der dahinterstehenden Arbeitsleistung ist dadurch noch deutlich gewachsen: „Ich sehe ja auch, wie Frauen sonst ungeheuer kontrolliert agieren, um sich besser in das Geschäftsleben einzupassen.“

Skeptischer als früher Carl ist jetzt Caroline Farberger gegenüber Statistiken über die Gleichstellung von Frauen in Unternehmensspitzen: „Richtige Gleichberechtigung handelt nicht von derselben Anzahl Personen auf einem bestimmten Level. Wirkliche Gleichberechtigung handelt von einer gleichen Verteilung von Macht.“ Die sei aber weiter, was echte Geschäftsentscheidungen angehe, ganz überwiegend in Männerhänden.

Wichtig im neuen Dasein ist für Caroline Farberger, dass sie als Direktorin auch beitragen kann zu dem, was ihr ganz besonders gefällt an den weiblichen Chefs im Vergleich zu den männlichen: „Der erste ins Auge fallende Unterschied ist die Kleidungsvielfalt, mit der die Frauen ihre Persönlichkeit zum Ausdruck bringen.“ In ihrem hochpersönlichen Radiogespräch erzählt sie, wie sie 1976 als Schuljunge das erste Mal den brennenden Wunsch spürte, das auch zu tun: „Ich sah die unglaublich schönen Kleider bei der Hochzeit von Königin Silvia“, erinnert sie sich.

Von ihrem langen, schweren Weg voller Scham und Verdrängung bis zur Verwirklichung dieses Wunsches erzählt Caroline Farberger im Radio so intensiv, dass die Rezensentin von „Dagens Nyheter“ den Nagel auf den Kopf traf, als sie schrieb: „Dieses mutige Programm bringt einen beim Zuhören ins Grübeln, welche Türen man vor sich selbst verrammelt hat.“

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