Norwegen: “Volksaufstand” gegen Automaut

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Mautgegner sind Favoriten für die Kommunalwahl

  • von Thomas Borchert

Die neue „Volksbewegung gegen mehr Mautgebühren“ liegt rund vier Wochen vor der Kommunalwahl in Norwegen in Umfragen vorn. Sie halten die Maut für „ungerecht“.

Es gab auch international viel Lob für diese norwegische Weitsicht, als Bergens Stadtrat 1985 erstmals in Europa eine Automaut für die City einführte. Dreieinhalb Jahrzehnte später sagen die Umfragen der „Volksbewegung gegen mehr Mautgebühren“ hier für die Kommunalwahl am 9. September einen klaren Wahlsieg vor allen anderen Parteien mit 25 Prozent vorher. Die Neulinge treten mit besten Aussichten auch in anderen großen Städten an, wo es bereits Mautsysteme gibt. Nur so könne man Instandhaltung und Ausbau des teuren Straßennetzes finanzieren, haben die Politiker den gut fünf Millionen Bürgern von Beginn an erklärt. Ausdünnung des Verkehrs und Klimapolitik als Begründung kamen später dazu.

Damit aber stoßen sie immer mehr auf taube Ohren im Land der vielen Fjorde. Deren Untertunnelung ist ja auch nicht billig und soll von den Nutzern bezahlt werden. In Oslo kann die im Volksmund nur kurz „Mautpartei“ genannte Gruppierung mit zehn Prozent rechnen. Das in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausgebaute Gebührensystem bedeutet für Hauptstädter, dass sie für eine Fahrt vom Stadtrand ins Zentrum und zurück in der Spitzenzeit umgerechnet rund 13 Euro zahlen müssen. Für Pendler kann das pro Monat mehr als 200 Euro ausmachen.

Trym Aafløy, Gründer und Spitzenmann der Mautpartei, verweist in Interviews einerseits mit Recht auf die massive soziale Schlagseite dieser staatlichen Einnahmequelle. Die alleinerziehende Mutter in der billigen Stadtrandwohnung mit dem schlecht bezahlten Pflegejob im Zentrum wird genauso zur Kasse gebeten wie der betuchte Manager im teuren SUV. Fährt er einen der beliebten Teslas, gibt es auch noch einen satten Mautrabatt wegen des Elektroantriebs. „Die Leute haben die Politiker einfach satt“, sagt Aafløy immer gern mal und kommt damit so gut an, dass er auch bei den nächsten Parlamentswahlen antreten will.

Den Vorwurf, seine Partei sammle billige Punkte mit einem einzigen Thema, wehrt er ab. Er betont, dass man ja auch gegen die Windkraftwerke an Land sowie die Besteuerung von Wohneigentum sei: „Allein in Bergen haben wir 102 Programmpunkte.“

Zu den leicht bizarren norwegischen Besonderheiten dieses frischen Populisten-Erfolges gehört, dass er nicht zuletzt die eingesessenen Populisten hart trifft. Die etablierte Fortschrittspartei wurde schon in den 70er Jahren stark mit Protest gegen fast jede Steuer und hat neben Zuwanderung auch stets gegen die Automaut gewettert. Seit sechs Jahren aber regiert Parteichefin Siw Jensen als Finanzministerin Seite an Seite mit der konservativen Ministerpräsidentin Erna Solberg. Ohnehin im internationalen rechtspopulistischen Spektrum eher moderat, erfüllt Jensen immer stärker die Rolle der Systemerklärerin aus dem Establishment.

Als Ministerin hat sie den Ausbau der Straßengebühren in dem beinahe endlos langgestreckten Norwegen mitgetragen. Auch die Position des Landes als souveräner europäischer Vorreiter in Sachen Elektroautos ist dieser Regierung zuzuschreiben. Dank großzügiger staatlicher Subventionierung sind mehr als die Hälfte aller Neuwagen Elektroautos. Was nichts daran ändert, dass die Finanzministerin Jahr für Jahr die maximale Ausnutzung der fossilen Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee mit absegnet, die dem Land im letzten halben Jahrhundert zu gigantischem Reichtum und prall gefüllten Rentenkassen verholfen haben.

 

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