Interview mit SIPRI-Chef Dan Smith zum Ende des INF-Abrüstungsvertrags

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Ende des INF-Vertrages: Protestaktion vor Berliner US-Botschaft.

INF-Vertrag

„Die amerikanisch-russischen Beziehungen haben sich eindeutig verschlechtert“

  • von Thomas Borchert

Friedensforscher und SIPRI-Direktor Dan Smith zweifelt daran, dass China bei neuen Verhandlungen von Rüstungsverträgen mitwirkt.

Herr Smith, was erwarten Sie als die wichtigsten Konsequenzen aus dem Ende des INF-Vertrages?
Zentral scheint mir, dass die Rüstungskontrolle im Ganzen in der Krise steckt. Das Ende des INF-Vertrages deutet darauf hin, dass es wohl keine Erneuerung, Ausweitung oder einen Ersatz für den Star-Vertrag gibt, der die nuklear bestückten Langstreckenraketen zwischen den USA und Russland regelt. Der läuft in weniger als zwei Jahren aus. Die Gefahren, die das Schicksal des INF-Vertrages jetzt signalisiert, haben sich über einen längeren Zeitraum akkumuliert. In anderen Worten ist jetzt keine drastische Verschlechterung der Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Russland hier und heute zu erwarten. Aber es zeigt, dass wir uns in einer gefährlichen Abwärtsspirale bewegen, aus der wir wirklich herauskommen müssen.

Ist die Furcht vor einem neuen Kalten Krieg mit neuem atomaren Rüstungswettlauf übertrieben?
Die amerikanisch-russischen Beziehungen haben sich eindeutig verschlechtert. Jeder kann das sehen. Wenn Menschen eine Neuauflage des Wettrüstens aus den 60er und 70er Jahren befürchten, regen sie sich vielleicht über die falsche Sache auf. Bei Sipri sorgt uns im Augenblick nicht so sehr das klassische Wettrüsten. In den 60er und 70er Jahren wetteiferten die USA und die Sowjetunion in allen möglichen Waffenkategorien miteinander. Der eine hatte die Bomber, dann hatte der andere sie auch. Konzentrierte der eine sich auf bestimmte Raketen, etwa mit Mehrfachsprengköpfen, tat es der andere genauso. Auf die sowjetischen Mittelstraketen SS 20 in Europa folgten die US-Pershings. Diese klassische, klar definierte Rennen erwarte ich jetzt nicht mehr. Es kann sehr wohl eine Verschlimmerung der Konfrontation mit sich verschlechternden Beziehungen geben. Aber die Waffensysteme, die beide Seiten stationieren, werden einander nicht mehr so perfekt entsprechen. Das wird die Rüstungskontrolle in der Zukunft sehr viel komplizierter machen.

Könnte das Ende des amerikanisch-russischen INF-Vertrages auch eine Chance sein, bei neuen Vereinbarungen jetzt Staaten wie China einzubeziehen?
Die Möglichkeit dazu besteht schon, und ein Versuch wäre interessant. Allerdings muss man im Auge behalten, dass die Zahl nuklearer Sprengköpfe im Besitz der USA und Russlands jeweils 20-mal so groß ist wie von China und 30-mal so hoch im Vergleich zu Indien sowie Pakistan. Das sind nach wie vor keine vergleichbaren Arsenale, was die Größe betrifft. Trotzdem wäre eine mehr inklusive Architektur der nuklearen Rüstungskontrolle sinnvoll. Um das zu erreichen, hätte allerdings niemand den INF-Vertrag wegwerfen müssen. Es war wohl auch kaum die Motivation der Präsidenten Trump und Putin bei ihren Schritten weg von dem Vertrag jetzt.

Dan Smith hofft, dass die Weltgemeinschaft nun aufwacht und aktiv gegen Atomwaffen vorgeht.

Können wir wieder eine so starke internationale Protestbewegung erwarten wie vor der Vereinbarung des INF-Vertrages 1987?
Das wird wohl erst geschehen, wenn konkrete neue Bedrohungen spürbar geworden sind. Es waren ja sehr konkret die Stationierungen der SS-20- und der Pershing-Raketen, die die europäische Friedensbewegung in den 80er Jahren in Gang gebracht haben. Trotzdem sehe ich schon jetzt, dass wir wenigstens wieder über die Bedrohung durch Atomwaffen sprechen. Es deutete sich schon an mit dem Friedensnobelpreis für die Ican-Kampagne gegen Atomrüstung 2017. Die Aufmerksamkeit für das Ende des INF-Vertrages hat das jetzt beschleunigt. In den letzten anderthalb Jahren ist die Besorgnis mit Blick auf Atomwaffen wieder stärker geworden. Ehrlich gesagt, hat vor zweieinhalb Jahren Leute wie mich am meisten beunruhigt, dass sich niemand mehr wegen der Atomwaffen sorgte. Die Welt blickte mit Selbstzufriedenheit auf die atomare Bedrohung. Vielleicht hat der Tod des INF-Vertrages einen positiven Effekt, indem er die Welt aufweckt. Die Bedrohung durch Atomwaffen ist real und muss angegangen werden.

Interview: Thomas Borchert

Dan Smith ist Friedensforscher und Direktor des SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute).

 

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