Der Sozialdemokrat Stefan Löfven regiert Schweden auch mit Hilfe von zwei Bürgerparteien weiter – und will so den Einfluss der Rechtspopulisten begrenzen.
Vier Monate haben die Schweden auf eine neue Regierung warten müssen, weil durch den Wahlsieg der Rechtspopulisten alle gewohnten Konstellationen matt gesetzt wurden. Jetzt sind die Meinungen in Stockholm geteilt, ob der Sozialdemokrat Stefan Löfven in dieser Zeit voller Hinterzimmer-Verhandlungen seinen noch aus Gewerkschaftstagen stammenden Ruf als Verhandlungsgenie endgültig zementiert hat. Oder ob er für seine zweite Amtszeit an der Spitze einer Minderheitsregierung mit der Umweltpartei ganz einfach die Seele der eigenen Partei verkauft hat.
Das Zentrum und die Liberalen lassen sich ihren Lagerwechsel aus dem bürgerlichen Lager teuer bezahlen, mit dem sich der 61-jährige Löfven die Mehrheit gesichert hat. Die vereinbarten Steuersenkungen für Spitzenverdiener, die Aufweichung des Kündigungsschutzes samt Liberalisierung des Mietrechts und weiter unbegrenzten Profit für Privatfirmen im Wohlfahrtssektor hatte der Sozialdemokrat im Wahlkampf noch durchweg als rechtes Teufelszeug angeprangert. Dabei behielt er aber stets die ihm eigene stoisch ruhige Tonlage bei, die Schweden unter dem Gattungsbegriff „lågmäld“, zurückhaltend oder gedämpft, für eine unbedingt positiv zu bewertende landestypische Eigenschaft halten.
Nicht links, nicht liberal
Löfven zeigte „lågmäld“ auch in der Nacht des rechtspopulistischen Wahlsieges. Die stolze schwedische Sozialdemokratie erhielt da mit 28,3 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit über 100 Jahren, worauf der Verlierer unaufgeregt ankündigte: „Jetzt müssen wir uns über die alten Blockgrenzen hinweg verständigen und dafür sorgen, dass wir eine anständige Gesellschaft bleiben und einer Rassistenpartei keinen Einfluss zugestehen.“
Die Schwedendemokraten (SD), entstanden aus Nazi-Gruppen, erreichten 17,5 Prozent und blockieren damit sowohl Mehrheiten für das seit 2014 regierendes Mittelinks-Lager aus Sozialdemokraten, Umwelt- und Linkspartei wie auch die vier Parteien der bürgerlichen „Allianz“. Löfvens Herausforderer Ulf Kristersson von den Konservativen, auch ein klarer Wahlverlierer, hätte nur mit SD-Duldung eine Regierung zusammenzimmern können, weil er im ein Mandat weniger hinter sich hat als der Sozialdemokrat.
Kristersson beteuerte, er werde sich nie und nimmer von den Stimmen der Schwedendemokraten abhängig machen, marschierte dann aber so schnurstracks auf dieses Modell zu, dass er seine bisherigen „Allianz“-Partner bis auf die Christdemokratien verprellte. Zentrumschefin Annie Lööf hatte sich im Wahlkampf erfolgreich als kompromissloseste Gegnerin der Populisten profiliert. Andererseits hat niemand in Schweden die frühere Ankündigung der Wirtschaftsliberalen vergessen, sie wolle lieber ihren „rechten Schuh essen als Stefan Löfven als Regierungschef stützen“. Genau das setzt sie nun zusammen mit ihrem liberalen Kollegen Jan Björklund ins Werk, der diesen Lagerwechsel auch im Angesicht katastrophaler Umfragezahlen als großartigen Sieg anpreist: „Wir haben die Sozialdemokraten dazu gebracht, unsere bürgerliche Politik auszuführen.“
Verschreckt und vorsichtig
Alle Parteien bis auf die Rechtsaußen eint der Horror vor vorzeitigen Neuwahlen – das hat die Bereitschaft zu Richtungswechseln beträchtlich gefördert. Diese Befähigung zu politischen Bocksprüngen wird Löfven in den nächsten Jahren auch brauchen, weil er neben den neuen Parteien von rechts auch noch die Linkspartei als Mehrheitsbeschafferin braucht. In die Regierungskanzlei Rosenbad hat ihn ein für heutige Berufspolitiker ungewöhnlicher Lebensweg gebracht: Löfven wuchs erst im Kinderheim und dann bei Pflegeeltern auf. Nach 16 Jahren als Schweißer stieg er zum Chef der Metallgewerkschaft auf und ließ sich 2012 nur widerwillig zur Übernahme des Parteivorsitzes als Quereinsteiger überreden. Die Sozialdemokraten waren mit einem kurzzeitig ungestümen Linkskurs tief in den Umfragekeller gefallen und riefen nach Löfven als Ruhe ausstrahlenden Mann der Mitte .
Seine erste Wahl 2014 fiel mit 31 Prozent schwach aus, brachte aber auch nach acht Oppositionsjahren eine sozialdemokratische Minderheitsregierung. Ein Jahr später bei der großen Flüchtlingsbewegung durch Europa begründete Löfven Schwedens noch offenere Aufnahmepolitik als in Deutschland knapp: „Mein Land baut keine Mauern.“ Um kurz danach mit dem noch knapperen „Wir waren naiv“ die zügige und stramme Anpassung an die europaweite Errichtung von Mauern gegen Flüchtlinge zu organisieren. Mit den bei diesem Thema liberaleren neuen Stützparteien hat er jetzt wieder eine deutliche Erleichterung beim Familiennachzug vereinbart.
LÖFVEN HAT DAS BÜRGERLICHER LAGER GESPRENGT
Kommentar von Thomas Borchert
Die Wahl des Sozialdemokraten Stefan Löfven zum schwedischen Regierungschef ist eine gute Nachricht. Auch in Stockholm hatte sich für Rechtspopulisten das Tor zur Macht geöffnet. Vier Monate nach dem Wahlsieg der Schwedendemokraten verhindern zwei Bürgerparteien per Lagerwechsel, dass die Rechtsaußen als Mehrheitsbeschaffer für eine Mitte-Rechts-Regierung salonfähig werden.
Löfven hat ein mickriges Blatt nach dem schlechtesten Wahlergebnis für Sozialdemokraten seit hundert Jahren clever gespielt und dabei das bürgerliche Lager gesprengt. Die neue Mehrheit stellt die Isolierung der aus Nazigruppen erwachsenen Schwedendemokraten ins Zentrum.
Bei den Nachbarn in Oslo, Kopenhagen und Helsinki bestimmen Rechtspopulisten die Regierungspolitik mit. In Stockholm darf es nicht bei rituellen Verurteilungen von Rassismus und Nationalismus bleiben. Ehrgeizige Klimaziele des Bündnisses setzen ein erstes Signal für den Anlauf, den Totengräbern der Demokratie das Privileg der gesellschaftlichen Problemformulierung wieder abzujagen.