Die rechte Mehrheit bereitet den Regierungswechsel vor
Schwedens Konservative vor dem Sündenfall
Nach der verlorenen Wahl scheint Parteichef Kristersson bereit zur Zusammenarbeit mit den rechtspopulistischen „Schwedendemokraten“.

Dass die Schwedendemokraten bei den schwedischen Reichstagswahlen „nur“ um knapp fünf Prozentpunkte auf 17,6 Prozent klettern konnten, hat die Siegerstimmung bei ihrer Wahlparty deutlich gedämpft. Die Rechtspopulisten hatten nach verschiedenen Umfragen auf den Sprung über 20 Prozent gehofft, vorbei an den Konservativen und möglichst auch noch an den seit mehr als 100 Jahren dominierenden Sozialdemokraten. SD-Parteichef Jimmie Åkesson (39) konnte nach seinem Wahlkampf gegen Zuwanderung als Wurzel aller Übel trotzdem Optimismus verbreiten: „So deutlich gestärkt werden wir jetzt massiv Einfluss bekommen.“ Er werde schon Montag „den Ulf zu einem langen Gespräch einladen“ und sei zu jeder Zusammenarbeit bereit.
Ulf Kristersson von der „Moderaten Sammlungspartei“ wird vorerst weder eine derartige Einladung annehmen noch öffentlich von „Jimmie“ sprechen, auch wenn in Skandinavien alle per Du sind. Vorerst. Seine Konservativen sind eigentlich die Wahlverlierer. Sie rutschten von 23,3 auf 19,8 Prozent, heftiger noch als die Sozialdemokraten. Die Partei von Premier Stefan Löfven fuhr zwar mit 28,4 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein, holte aber im Schlussspurt mächtig auf und stellt im neuen Reichstag wieder die klar stärkste Fraktion.
Trotzdem hat der Konservative gute Aussichten auf das Spitzenamt – wenn er sich mit den Rechtspopulisten einlässt. Noch schließt Kristersson das aus. Als „Träumereien“ tat er im Wahlkampf Avancen der Populisten ab und distanzierte sich von deren „Wertefundament“. Aber im Ton doch zurückhaltend, bei weitgehendem Entgegenkommen in der Flüchtlingspolitik. Vor allem geht ihm die Abscheu gegenüber der aus Nazigruppen entstandenen Partei völlig ab, aus der sein 2014 als Ministerpräsident abgewählter konservativer Parteikollege Fredrik Reinfeldt nie einen Hehl gemacht hatte.
Schwierige Regierungsbildung
Am Montag war in Stockholm wie erwartet klar, dass weder Löfvens Mitte-links-Block aus Sozialdemokraten, Grünen und der Linkspartei noch die als „Allianz“ angetretenen vier Parteien des alten Bürgerblocks eine Mehrheit bilden können. Die SD sind der unüberwindliche dritte Block. Löfven lehnt einen Rücktritt ab und lädt die Liberalen und das Zentrum zur blockübergreifenden Regierungszusammenarbeit ein. Ohne Erfolg.
Die wilde Entschlossenheit, mit der Kristersson jetzt die Abwahl Löfvens in zwei Wochen mit den SD-Stimmen ankündigt, lässt eine andere blockübergreifende Regierung wahrscheinlicher erscheinen: Er kann selbst als Chef einer Minderheitsregierung nur überleben, wenn die SD ihn zumindest passiv stützen. Noch ist der Weg dahin weit. Die Zusammenarbeit mit einer Partei, in der ein Spitzenmann Juden und Angehörige der samischen Urbevölkerung als Minderheiten einstuft, „die nicht Schweden sein können“, war in Stockholm bisher tabu. Aber Kristersson weiß, dass mehr als die Hälfte seiner Wählerschaft ein Zusammengehen wünscht. Selbst malte er im Wahlkampf die Probleme im reichen, insgesamt gut funktionierenden Schweden teils genauso schwarz wie die Populisten. Sollten Zentrum und Liberale sich einem Arrangement mit den Populisten verweigern, könnten die Konservativen im Alleingang oder zusammen mit den scharf nach rechts abgebogenen Christdemokraten als Juniorpartner ihr Glück versuchen.
„Normalisierung“ der schwedischen Politik
Viele Kommentatoren werden das dann als „Normalisierung“ der schwedischen Politik abhaken. Bei allen skandinavischen Nachbarn sind die Rechtspopulisten längst als Regierungspartner im politischen Mainstream angekommen. In Dänemark dominieren sie so unangefochten, dass dort die Sozialdemokraten von Herzen gerne mit den ausländerfeindlichen Populisten gemeinsam regieren möchten.
Löfven hat die Aussicht auf den wohl unausweichlichen Verlust der Regierungsmacht auf andere Gedanken gebracht. Mit viel mehr Leidenschaft als im Wahlkampf geißelte er nach der Stimmenauszählung, dass in seinem Land eine Partei „mit Nazi-Wurzeln“ so viele Stimmen bekommen konnte: „Das ist eine Partei, in der Mitglieder Journalisten und Menschen anderer Meinung den Tod wünschen, Adolf Hitler bejubeln und Opfer des Holocaust demütigen.“ Wie ein versteckter Abschied von der Regierungsmacht, aber auch wie spät entdeckter Kampfgeist klang der Schlusssatz des Ex-Gewerkschaftschefs: „Wir trauern nicht, wir organisieren uns.“