absolut zu empfehlen: “Justizpalast” von Petra Morsbach
Morsbach über eine Richterin: Vergnügliches Hohelied auf das Recht
Von Thomas Borchert, dpa
Richter sind auch nur Menschen. Die immer genau hinschauende Petra Morsbach erzählt in ihrem neuen Roman mit der Lebensgeschichte einer Richterin fesselnd, klug und komisch von Funktionieren und Scheitern der Justiz.
München (dpa) – Diese beruflich souveräne und privat eher gehemmte Richterin verhandelt Komisches wie den Erbstreit um die Rechte am bayerischen Volksliedklassiker «Bayernland hat Oberhand». Es wird eigentlich nur gejodelt, so dass die Nachkommen des Komponisten Anspruch auf den Löwenanteil der üppigen Tantiemen haben? Die Erben des Texters («Hollera – hudiliöö – dolioo») sehen das ganz anders und kämpfen in einem Saal des Münchner Justizpalastes erbittert um Fifty-Fifty. Thirza Zorniger muss bei immer neuen Betrugs- und auch herzzerreißenden Scheidungsfällen richten: «Ein leukämiekranker Bub, der glaubte, seine Krankheit habe die Krise ausgelöst, erklärte unaufhörlich, es gehe ihm gut. Ein anderer holte sein Sparschwein, als die Eltern um Geld stritten, und rief: «Hört auf! Ich zahle!»».
90 Prozent ihrer Fälle, so resümiert die Richterin nach drei Berufsjahrzehnten, drehen sich zwar ums Geld, «aber Geld steht dabei für menschliche Leidenschaften von Not bis Gier in sämtlichen Abstufungen: Geltungssucht, Stolz, Hass, Angst, Komplexe, Bedürftigkeit und sämtliche Mischformen. Es ist der Schlüssel zur Psyche der Gesellschaft.»
Petra Morsbach erzählt in «Justizpalast» die Geschichte der Zivilrichterin Zorniger vom ersten Berufswunsch als Teenager bis zur Pensionierung mit ihrem fast immer wachen Sinn für Gerechtigkeit. Sie entwirft zugleich ein liebevoll buntes und zugleich nüchtern kritisches Panoramabild der Justiz als wertvollem Regulierungsinstrument unserer Gesellschaft. Damit Gier, Rachsucht und andere recht unangenehme menschliche Eigenschaften sich nicht ungebremst austoben können.
Thirza Zorniger, Tochter eines schuftig vor der Familie geflüchteten Schauspielers sowie Frauenhelden und einer Mutter mit dem unerfüllt gebliebenen Berufswunsch Richterin, arbeitet sich engagiert, kompetent und auch am Abend fleißig lesend durch allerlei Stationen des Münchner Justizwesens. Sie urteilt Jahr um Jahr über alle nur erdenklichen Schadenersatzklagen, Insolvenzen, Erbschaftskriege, Ehefehden, Firmenstreit über Markennamen und wird darüber im Gegensatz zu etlichen Kollegen weder zynisch, opportunistisch, korrupt oder karrieregeil noch zur Trinkerin. Den nüchtern kritischen Blick auf Gesetze und Justiz als Herrschaftsinstrumente kann sie sich bewahren. Auch hin und wieder unausweichliches persönliches Scheitern mit Fehlurteilen und andere, mal grobe, mal feinere Webfehler der Justiz verwandelt die Autorin in spannende Romanlektüre.
Als ihr in der Mitte ihres Lebens (und des Romans) doch noch ganz unerwartet mit dem beruflich weniger erfolgreichen, dafür aber viel lebensfroheren Juristenkollegen Max Girstl Liebesglück ins Pasinger Haus flattert, kann Thirza Zorniger vorbehaltlos genießen. An der Vorliebe für die Kitschromane der Hedwig Courths-Mahler hält sie gegen die hohen literarischen Ambitionen ihres Vorlesers Max fest. Auch für dieses private Glück, solange es denn währt, hat Morsbach im siebten Roman einen lakonisch zurückhaltenden und dabei doch immer auch warmen und witzigen Ton gefunden. Furios mitreißend gelingt ihr der Auftakt mit der bewegten Kindheitsgeschichte der späteren Richterin. Man ist sofort mittendrin und hat Lust auf mehr.
Das ist erzählerisch ein Kontrapunkt zu den vielen nüchternen Fällen aus dem Berufsleben der Hauptperson. Die Autorin hat sich nach eigener Aussage fast zehn Jahre als Zuhörerin bei Verhandlungen im Gericht, fleißige Leserin juristischer Texte und Gesprächspartnerin von 50 Juristen, darunter 30 Richtern beiderlei Geschlechts, in das Objekt ihrer schriftstellerischen Neugier eingearbeitet. Dafür sind das Kantinengerede unter Richtern, ihre Hahnenkämpfe (auch mal mit einer der wenigen Hennen) und Wirren des Privatlebens genauso von Belang wie die Finessen des Zivilrechts.
Die 1956 geborene Morsbach hat das alles im Blick, nicht zuletzt immer auch die unfreiwillige Komik, und präsentiert aus dem Alltag von Thirza Zorniger Dutzende Gerichtsfälle durch deren richterliche Brille. Wie sie dafür eine zugleich präzise, nüchterne, aber auch literarisch lebendige Sprache gefunden hat, ist eine Meisterleistung.
Ob es aber wirklich so viele Einzelfälle auf den 480 Seiten sein mussten? Die Juroren des Wilhelm-Raabe-Preises haben Petra Morsbach für das Buch ausgezeichnet, weil sie es fertiggebracht habe, das «filigrane Meisterwerk» Recht «realistisch und komisch, analytisch und verständnisvoll» zu Literatur zu machen». Wohl wahr: Am Ende klappt man diesen außergewöhnlichen Roman mit dem Gefühl zu, bei hohem Erkenntnisgewinn über die Justiz als wichtigen, komplexen Teil unseres Leben auch ein Lesevergnügen der Extraklasse hinter sich zu haben.