Norwegen: Wutbürger gegen Wölfe
10. Januar 2017
Wutbürger und Wölfe
Von Thomas Borchert

Von weit her angereiste Norweger verlangen vor dem Parlament ein „Land ohne Wölfe“ und ihr „Recht auf Leben“. Osloer Medien berichten breit vom „Wolfsgipfel“ der Parteien, und der Umweltminister verbeugt sich im Fernsehen vor dem Volkszorn. „Ich habe volles Verständnis für die Furcht der Menschen. Nun müssen wir untersuchen, ob die Wölfe eventuell doch potenziell gefährlicher geworden sind,“ sagte Vidar Helgesen. Damit nahm er im bitteren Streit über den kleinen Bestand von Tieren im Südosten Norwegens schon mal Maß für einen Purzelbaum.
Es wird nicht der erste sein. Voriges Jahr hatte Helgesen zum Entsetzen von Umweltschützern die Verdreifachung der Jagdquote von 15 auf 47 Tiere vorgeschlagen und mit einem „Raubtier-Konsens“ parlamentarisch absegnen lassen. Plötzlich – kurz vor Weihnachten – verfügte er auf Anraten von Juristen die Rücknahme dessen, was Greenpeace- als „beschämendes Abschlachten von zwei Dritteln unseres Bestandes“ angeprangert hatte.
Zu den 65 bis 68 „rein norwegischen“ Wölfen kommen 25 „Grenzwölfe“ hinzu. Sie pendeln auch ins benachbarte Schweden und sind total geschützt. Man komme mit der Berner Konvention über bedrohte Tierarten in Europa und mit nationalen Bestimmungen über die Artenvielfalt in Konflikt, begründete Helgesen die überraschende Anordnung, nun doch wieder nur 15 Abschüsse zu erlauben.
Das ließ die Wut in den Bezirken der norwegischen „Wolfszone“ und auch anderswo explodieren: „Wir wollen mit unseren Kindern nicht in einem Raubtierreservat leben,“ sagte eine Demonstrantin im Fernsehen. Mit 18 Bussen waren die Protestierer in die Hauptstadt gekommen.
Eigentlich waren die Wölfe ja im 19. Jahrhundert ausgerottet. Aber nun sind sie wieder da. Hin und wieder zeigen Online-Medien Bilder oder Videos von einem Tier, das in einem Vorgarten an einer Schaukel schnüffelt. Kürzlich berichtete Norwegens größtes Boulevardblatt „Verdens Gang“ über einen blutigen Kampf von Elch-Jagdhund Igor mit einem Wolf. Die dramatischen Bilder dazu lieferte eine Webkamera an Igors Bauchbinde.
Dass seit 215 Jahren niemand von einer tödlichen Wolfsattacke auf Menschen in Norwegen gehört hat, mindert den allseitigen Schauder genauso wenig wie die Unzufriedenheit der Hundehalter, allen voran der Jäger: 100 ihrer vierbeinigen Begleiter sollen in den vergangenen zwei Jahrzehnten von Wölfen totgebissen worden sein. Den harten Kern der in Medien gern so genannten Wolfsgegner bilden nicht überraschend Bauern, die um ihre Schafe auf den Weiden fürchten.
Der Hinweis von Tier- und Umweltschützern auf die sehr niedrigen Bestandszahlen an Wölfen wird gekontert mit der höhnischen Bemerkung: Diese Herrschaften würden allenfalls bei gemütlichen Touristensafaris am Wochenende eine Wolfsspur im Schnee zu Gesicht bekommen. Sie lebten in der Regel im wirtschaftlich boomenden Oslo Seite an Seite mit den Machthabern im Königreich. Auf dem darbenden, von Entvölkerung bedrohten Land habe man dann mit den Folgen der weltfremden Hauptstadt-Entscheidungen zu kämpfen.
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Der ländliche Aufstand gegen die Wölfe im eigenen Land ist in Wirklichkeit einer gegen die Hauptstadt. Den Aufruf zur Demo vor dem Parlament „Storting“ und dem Umweltministerium haben auch 100 von 426 norwegischen Bürgermeistern unterschrieben, von denen viele nie einen leibhaftigen homo homini lupus in der eigenen Gemeinde fürchten müssen. Sie sehen den Alleingang des Umweltministers als weiteres Beispiel für das Streben der Zentrale nach Allmacht.
Im September stehen Neuwahlen an, bei denen die konservative Regierungschefin Erna Solberg und ihr rechtspopulistischer Partner FRP wiedergewählt werden möchten. Man kann als sicher annehmen, dass Solbergs Parteikollege Helgesen spätestens bis zum Frühjahr, wenn die Schafe auf die Weide kommen, den Wolfsgegnern erklären kann, warum die Wölfe doch potenziell gefährlicher sind als bisher angenommen.