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Literatur: Wie die Stones Partner entsorgt und Kunst kreiert haben

München (dpa) – Noch ein Buch über die Rolling Stones. Jeder weiß doch, dass sie seit Ewigkeiten kein nennenswertes Album mehr zustande bekommen haben und bei Konzerten vor allem abkassieren wollen.

Hunderte Bücher sind geschrieben über das halbe Jahrhundert von Mick Jagger und Keith Richards als verbittertem Paar, das einzig Geld zusammenhält. Rich Cohen erzählt diese Geschichte in «Die Sonne, der Mond & die Rolling Stones» über 500 Seiten noch mal so gut, dass sie frisch, lebendig und spannend ankommt, obwohl endlos oft gehört.

Genau wie die Musik der Band aus ihrer Glanzzeit. Cohen tourte als junger Reporter und leidenschaftlich bekennender Fan in den 90ern mit den Stones durch die USA, bekam «Zugang» zu den Rockstars und hat zusammen mit Jagger und dem Regisseur Martin Scorsese die HBQ-Serie «Vinyl» geschrieben. Seine Liebe zu «Honky Tonk Women» oder «Jumpin’ Jack Flash» und «Wild Horses» sitzt so tief, dass er sie «mein Land» nennt, «in dem ich mein Leben lebe».

Das hindert ihn nicht, Jagger als «monströs» und grausam zu porträtieren und die Band als «Maschine, die nach menschlichem Treibstoff verlangte»: «Von Anfang an hatten die Stones keine Hemmungen, unerwünschtes Personal über Bord zu werfen. Hatten sie ihre Schuldigkeit getan, wurden die Teilzeitpartner zwanglos entsorgt.» Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich der 1968 geborene Autor unbestechlich, frei und unbeschwert, wenn er den interessanten Teil der Bandgeschichte vom Start in London 1961 über den Rausschmiss und Tod des Bandgründers Brian Jones bis 1978 erzählt. Die Zeit seitdem wird nur kurz zusammengefasst, weil musikalisch nichts mehr passiert sei und es die Band überhaupt nur wegen Jaggers kläglichem Scheitern als Solosänger gebe. Cohen hat sehr viele Interviews geführt und die Hausaufgaben als Stones-Historiker mit gigantischer Stoffmenge auch sonst fleißig erledigt, ehe er sich ans Schreiben machte. Er ist ein erstklassiger Schreiber mit immer offenem Blick in alle Richtungen. Da liest sich der Abschnitt über den Rauswurf des Pianisten Ian Stewart als «zu hässlich» genauso faszinierend wie Cohens Texte über den grenzenlos melancholischen Song «Wild Horses», seinen eigenen Stones-Favoriten: «Es heißt, dass jegliche Form von Kunst danach strebt, Musik zu sein. Ich hatte immer den Eindruck, als wolle jegliche Form von Musik so sein wie ‘Wild Horses’.» Cohens Blick geht auch immer in die eigene Richtung: Dass er ja zu spät geboren wurde und erst dazukam, als die aufregende Welt dieser Rock-Archetypen aus den 60ern schon am Ende war. Dass mit dem Schreiben des Buches seine «Liebe zur Gitarre eigentlich nur noch gewachsen», der Gitarrenlehrer Brian ein wahrer Guru sei und nun auch die Begleitung von «Wild Horses» sitze, hätte man vielleicht nicht unbedingt so im Detail erfahren müssen.

Aber dass dieses Buch neue Lust auf die Musik macht, gerade durch seine manchmal niederschmetternde Schilderung trostloser Schicksale und hoffnungslos verbogener Stars, stimmt eindeutig. Nach dem Zuklappen des Buches sucht der Finger wohl zwangsläufig zum Startknopf der nächsten Anlage mit verfügbaren Stones, am besten «Exile On Main Street» von 1972.

Rich Cohen, Die Sonne, der Mond & die Rolling Stones, btb Verlag, München, 528 Seiten, 24,99 Euro, ISBN 978-3-442-75626-1

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