
Haft für Gui Minhai„Generell sind wir in Schweden in höchstem Maß an guten Beziehungen zu China interessiert.“
Keine freien Worte in China
Der schwedisch-chinesische Autor Gui Minhai ist zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Seine europäische Exilheimat protestiert gegen das Urteil nur schwach.
Zu zehn Jahren Haft für den „Verrat von Staatsgeheimnissen“ hat ein Gericht im chinesischen Ningbo den schwedisch-chinesischen Autor und Verleger Gui Minhai verurteilt. Gui ist wahrscheinlich schwer krank, wurde zweimal von Agenten seines Geburtslandes brutal gekidnappt und in seinem nordeuropäischen Exilland mit dem Kurt-Tucholsky-Preis „für unermüdlichen Einsatz für das freie Wort“ ausgezeichnet.
Das Urteil aus der Millionenstadt südlich von Schanghai kam vollkommen überraschend. Weder wurden die Behörden Schwedens über den Prozess informiert, noch hatten seit 2018 Diplomaten der Botschaft in irgendeiner Form Kontakt mit dem seit fünf Jahren Inhaftierten.
Trotz alledem konnte sich die Stockholmer Außenministerin Ann Linde am Dienstag erst nach langem Zögern zu einem betont vorsichtigen Protest durchringen. „Wir fordern wie bisher die Freilassung unseres Mitbürgers und sofortigen Kontakt für konsularischen Beistand“, sagte die Ministerin im Rundfunk.
Sie wand sich verbal schon fast beeindruckend, um nur ja kein kritisches Wort in Richtung Regierung in Peking von sich zu geben. Man versuche nun, an amtliche Informationen über das Urteil und den Prozesshergang zu gelangen, kündigte die Sozialdemokratin an und beeilte sich mit dem Zusatz: „Generell sind wir in Schweden in höchstem Maß an guten Beziehungen zu China interessiert.“
Die in solchen Fällen übliche Einbestellung des zuständigen Botschafters wollte Linde als Möglichkeit nicht einfallen. Dabei hat Pekings Vertreter in Stockholm schon von sich aus großes Interesse an Gui Minhai gezeigt, der als Student nach Schweden gekommen und nach dem Tiananmen-Massaker 1989 geblieben war. Als Kulturministerin Amanda Lind der Tochter des Inhaftierten persönlich den Tucholskypreis überreichen wollte, drohte Botschafter Gui Congyou öffentlich, sie werde dann zur Persona non grata in seinem Land erklärt. Lind blieb standhaft. Kurz danach verlangten führende schwedische Medien in einem gemeinsamen Aufruf mehr Unterstützung der Regierung gegen ständig zunehmenden Druck sowie Drohungen der chinesischen Botschaft bei kritischer Berichterstattung.
Da immerhin hatte die Ministerin Gui Congyou einbestellt. Im Fall des Buchverlegers aber steht die von ihrem Haus betriebene „stille Diplomatie“ vor dem totalen Offenbarungseid gegenüber der Weltmacht China, der auch schon das schwedische Wohlstandssymbol Volvo zu 100 Prozent gehört.
Gui Minhai war 1999 nach Ningbo zurückgekehrt und hatte später von Hongkong aus kritische Bücher über das Privatleben chinesischer Spitzenpolitiker veröffentlicht. 2015 wurde er bei einem Thailand-Aufenthalt von chinesischen Agenten in sein Geburtsland verschleppt und vor Gericht gestellt. Für Amnesty International, Human Rights Watch und „Reporter ohne Grenzen“ waren seine Geständnisse vor TV-Kameras erzwungen.
Zweite Entführung im Zug
Nach der überraschenden Freilassung Ende 2017 begleiteten ihn schwedische Diplomaten nach Peking zu einer Untersuchung wegen der bei ihm vermuteten Nervenerkrankung ALS. Unterwegs stürmten zehn Männer den Zug und entführten Gui Minhai zum zweiten Mal – gefolgt von neuerlichen Schuldbekenntnissen und der angeblichen Lösung von der schwedischen Staatsbürgerschaft auf eigenen Wunsch. China erkennt deshalb Schwedens Zuständigkeit nicht an.
Einen bizarren Beitrag zur „Diplomatie auf leisen Sohlen“ lieferte Anna Lindstedt, Schwedens Ex-Botschafterin in China, als sie Gui Minhais Tochter vor einem Jahr zu einem Meeting mit dubiosen chinesischen Geschäftsleuten in Stockholm lotste. Gegen das vage Versprechen, diese könnten die Freilassung ihres Vaters erwirken, sollte sich die öffentlich für ihren Vater eintretende Angela Gui zu Stillschweigen verpflichten. Als dann Drohungen fielen und die 24-Jährige auch nicht ohne Bewachung die Toilette in einem Stockholmer Hotel aufsuchen durfte, floh sie und machte das seltsame Treffen öffentlich.
Das Außenministerium will von der Initiative nichts gewusst haben. Lindstedt muss sich vom 19. März an vor einem schwedischen Gericht für „eigenmächtige Verhandlungen mit einer fremden Macht“ verantworten.