Nobelpreis für Handke
Handke – vom Zweifel keine Spur
Der Schriftsteller Peter Handke kanzelt wieder Menschen ab, die ihn auf seine Haltung zu Verbrechen im Jugoslawienkrieg befragen.
Man meinte, Donald Trump bei einer Attacke auf die „Lügenpresse“ zu hören, aber es war eindeutig Peter Handke als Literaturnobelpreisträger vier Tage vor der Verleihung in Stockholm: „Ich habe anonym Toilettenpapier mit draufgemalten Ausscheidungen zugesandt bekommen. Das zieh‘ ich Ihren leeren Fragen vor“, zischte der Österreicher einen Reporter an, der ihn nach seiner heutigen Ansicht über den vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag konstatierten Völkermord an Bosniern in Srebrenica gefragt hatte: Ob er diesen Begriff weiter wie in seinen Büchern nicht akzeptiere.

Direkt vor diesem Auftritt hatte die für 2018 nachträglich geehrte polnische Autorin Olga Torkaczuk (57) eine warme, optimistische Botschaft über die Rolle der Literatur in der Gesellschaft im Börsensaal der Schwedischen Akademie verbreitet. Nach den weltweiten Protesten gegen die Vergabe des 2019-Preises an Handke wegen dessen relativierender Äußerungen zu Verbrechen im Balkankrieg bemühte sich auch der Österreicher sichtlich um einen milden Ton. Die Organisatoren taten das ihre und hatten ein Ständchen zum 77. Geburtstag des Österreichers an diesem 6. Dezember organisiert.
Der angespannt wirkende Handke, den in Stockholm Demonstrationen von Hinterbliebenen bosnischer Kriegsopfer erwarten, antwortete auf die Frage nach einer „Versöhnungsgeste“, er bemühe sich um ein Treffen mit einer serbischen und einer bosnischen Mutter, die jeweils einen Sohn im Krieg verloren hätten. Bisher aber vergeblich. Wobei Handke von der „serbischen und der muslimischen Seite“ sprach.
Auch auf die erste direkte Frage nach seiner heutigen Sicht auf die Kriege beim Zerfall Jugoslawiens konnte er noch kontrolliert, wenn auch ausweichend antworten: „Das ist eine lange Geschichte, und hier ist nicht der Ort, sie zu erzählen.“ Irgendwann bei den Folgefragen brach dann seine Wut auf die Medien schlechthin durch. „Ich hatte nie eine Meinung, ich hasse Meinungen. Ich mag Literatur. Nicht Meinung“, so der Autor.
Für die Nobeljuroren hat Handke damit die diesjährige Vergabe endgültig zu einer Katastrophenveranstaltung gemacht. Wenige Stunden vor der Pressekonferenz hatte schon Peter Englund, ein Ex-Chef der Akademie, aus Protest gegen die Preisvergabe, seinen Boykott aller Nobelveranstaltungen angekündigt. “Es wäre grobe Heuchelei von mir, mit Handke hier zu feiern“, schrieb Englund in der Zeitung „Dagens Nyheter“. Er war in den 90er Jahren als Korrespondent direkter Zeuge der Balkankriege.
Nach Stockholmer Medienberichten empörte ihn kurz nach der Akademie-Entscheidung für Handke, dass dieser in einem Interview mit dem schwedischen TV die Vermeidung des Begriffs „Völkermord“ damit begründet habe, dass das Massaker von Srebrenica mit 8000 Toten für ihn „Brudermord“ gewesen sei: „Das finde ich viel schlimmer.“
Die Akademie, im Gefolge eines Vergewaltigungskandals in den letzten zwei Jahren mehrfach kurz vor der Auflösung, hat zu Handke einen denkwürdigen Slalom hingelegt. Bei der Bekanntgabe im Oktober beschied Komiteechef Anders Olsson noch selbstsicher: „Dies ist ein literarischer und kein politischer Preis.“ Nach der Wucht der weltweiten Proteste schwenkte die Akademie um. Man habe alle Schriften genauestens geprüft: „Nichts in Handkes Werk bricht mit unseren grundlegenden Werten.“
Wenig später trat die Schriftstellerin Gun-Britt Sundström aus der (externen) Komiteearbeit nach nur einem Jahr zurück: Sie teile die Ideologie „innerhalb und außerhalb der Akademie“ nicht, wonach Literatur über der Politik stehe.
Wie die Schwedische Akademie Handkes Schriften zum Jugoslawienkonflikt intern diskutiert hat, bleibt bis Anfang 2070 ihr Geheimnis. Als Wortführer hinter den Kulissen tat sich einmal mehr der seit zwei Jahrzehnten machtvollste Juror und Literaturkritiker Horace Engdahl hervor. Er hält mit unerschütterlicher Arroganz daran fest, dass die Entscheidungen für den Nobelpreis, also auch für Handke, aus höheren Sphären kämen und nicht zur Diskussion stünden: „Die Schwedische Akademie ist keine Behörde, sondern ein Zusammenschluss von Auserwählten. Wir sind dazu bestimmt, die Heilige Flamme zu hüten.“