Merkel auf Island: Wo die Klimakrise schon die Tagesordnung bestimmt

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Klimakrise

Island verabschiedet sich vom toten Gletscher

  • von Thomas Borchert

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird in Island mit klimapolitischen Fakten konfrontiert. Vorher verabschiedet sich Island vom ersten für „tot“ erklärten Gletscher.

Kanzlerin Angela Merkel hat als Ehrengast der fünf nordeuropäischen Regierungschefs an diesem Dienstag in Reykjavik das Eindrucksvollste wohl verpasst. Kurz vor dem Treffen zur Klimapolitik sowie zur Kooperation in der Arktis hatte ihre Gastgeberin, Islands Premier Katrín Jakobsdóttir, an einer bizarren Trauerfeier für den ersten für „tot“ erklärten Gletscher auf der Insel im Nordatlantik teilgenommen. Die Erderwärmung hat das Eis auf dem Okjökull hier an der Grenze zur Arktis so drastisch schrumpfen lassen, dass die offizielle Statistik ihn nicht mehr als Gletscher führt.

Auf einer bronzenen Gedenktafel steht als „Brief an die Zukunft“ die düstere Vorhersage: „In den kommenden 200 Jahren ist zu erwarten, dass alle unsere Gletscher denselben Weg gehen.“ Nur die Leser der Tafel könnten wissen, ob angesichts dieser Bedrohung das „Notwendige getan worden ist oder nicht“.

Im Norden Europas ist das Bewusstsein für den Klimawandel da

Auch Merkels Kollegen aus Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden können dem Gast aus Berlin übereinstimmend berichten, dass sich im Norden Europas das Alltagsbewusstsein über eingetretene und bevorstehende Klimaveränderungen mit entsprechenden Forderungen an die Politik drastisch verbreitert hat.

Aus Schweden zeigen aktuelle Zahlen, dass die Begeisterung für Greta Thunberg und die von ihr initiierte Bewegung „Fridays for Future“ nicht nur Schönrederei ist. Auf Stockholms Flugplatz Arlanda gingen die Buchungen für Inlandsflüge im Sommer um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück. Gleichzeitig meldet die Bahn Rekordzahlen und will in großem Stil Nachtzüge wieder fahren lassen. Der hier in die Alltagssprache eingegangene Begriff „Flugscham“ (flygskam) zeigt Wirkung.

Der Okjökull im September 1986.

Nachbar Norwegen macht Schlagzeilen als weltweiter Vorreiter für die E-Mobilität. Schon seit 2011 lockt der Staat mit massiven Steuervergünstigung beim Neukauf sowie allerlei Verlockungen im Fahralltag: freie Parkplätze, dazu eine gut entwickelte Lade-Infrastruktur, Befreiung von Mautgebühren und anderes mehr. Im ersten Quartal 2019 hatten 61 Prozent aller Neuanschaffungen einen E-Motor (Deutschland 2,6 Prozent).

Klimapolitik ist das Thema Nummer eins in Finnland und Dänemark

In Finnland und Dänemark brachten die Wahlen dieses Jahres den auch hier wie hypnotisiert auf Umfragen schielenden Politikern vor allem eine dicke Überraschung: Die Klimapolitik schlug als Thema Nummer eins die Wirtschafts- sowie Zuwanderungspolitik aus dem Feld. Das brachte neue Mittelinks-Regierungen ans Ruder. Der finnische Ministerpräsident Antti Rinne wie ein paar Monate später die Dänin Mette Frederiksen sind danach mit ehrgeizigen Klimaplänen in ihren Regierungsprogrammen angetreten.

Das dabei in Kopenhagen festgeschriebene Ziel einer Reduzierung der CO2-Emissionen um 70 Prozent bis 2030 ist ein atemberaubender Europarekord. Die Sozialdemokratin Frederiksen weiß, dass es nur zu erreichen ist, wenn praktisch alle derzeitigen Emissionen aus Industrie und Landwirtschaft verschwinden und der Transport vollkommen revolutioniert wird. „Wir kommen nicht darum herum, unsere ganze Lebensweise zu ändern,“ sagt sie, muss aber einräumen, dass die handfesten Schritte für ihre Regierung noch alles andere als klar sind.

Donald Trump hat sich selbst nach Kopenhagen eingeladen

Mit Angela Merkel kann sie darüber in Islands Hauptstadt wohl differenzierter sprechen als zwei Wochen später mit US-Präsident Donald Trump. Der hat sich selbst nach Kopenhagen eingeladen und per Twitter angekündigt, die USA wollten den Dänen Grönland abkaufen. Die Arktikinsel ist mit dem dort schon lange markanten Schmelzen von Eisbergen und Gletschern samt dem daraus folgenden Anstieg des Meeresspiegels zu einem Symbol für die globale Klimabedrohung geworden. Merkel hatte sich das 2007 persönlich in der Diskobucht an der Westküste angeschaut und war beeindruckt.

Für Trump ist die größte Insel der Welt wegen der Rohstoffe dort nur eine „business opportunity“, eine Geschäftsmöglichkeit. Als Frederiksen erklärte, das teilautonome Grönland sei natürlich unverkäuflich, reagierte Trump mit der Mitteilung, dass er „vielleicht“ doch nicht nach Dänemark reisen will.

 

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