Hängepartie in Schweden
Parteien in Schweden wollen eine mögliche Regierung nicht von den Stimmen der Rechtspopulisten abhängig machen.

Stockholm steht mehr als zwei Monate ohne neue Regierung genauso ratlos wie am ersten Tag nach den Wahlen einer wenig angenehmen Königsfrage gegenüber: Was tun, wenn alle gewohnten Konstellationen von massiv erstarkten Rechtspopulisten blockiert werden? Am Mittwoch ist an entgegengesetzten Antworten erstmal die Bürger-„Allianz“ hinter dem konservativen Parteichef Ulf Kristersson zerbrochen.
Als Kandidat für das Amt des Regierungschefs zusammen mit den kleinen Christdemokraten fuhr der 54-Jährige eine klare und absehbare Niederlage mit 154 gegen 195 Stimmen ein. Denn seine bisherigen Partner vom Zentrum und den Liberalen hatten auf „Nein“ gedrückt, weil die Mehrheit nur mithilfe der aus Nazi-Gruppen entstandenen Schwedendemokraten (SD) möglich war.
„Es geht im Kern um die Frage, ob wir Rechtsnationalisten mit ihrem autoritären Menschenbild Macht zugestehen“, erklärte Zentrumschefin Annie Lööf im Reichstag. Mache man sich als Regierung abhängig von deren Stimmen, werde es künftig nur noch Mehrheiten mit immer neuen Maßnahmen gegen Zuwanderer als Gegenleistung geben. Kristersson dagegen wollte sich zwar der SD-Stimmen beim angestrebten Machtwechsel bedienen, ohne sich mit einer Minderheitsregierung, so seine wenig glaubwürdige Ankündigung, anschließend im Geringsten von den Populisten abhängig zu machen: „Wir finden blockübergreifend die richtigen Lösungen.“
Vor der Vertrauensabstimmung brachte ihm das wohlwollende, auch leicht augenzwinkernde Kommentare von SD-Chef Jimmie Åkesson ein, den Kristerssons anhaltende verbale Distanzierung nicht aus der Ruhe brachte: „Hier seh ich einen neuen Rechtsblock entstehen“. Mit 17,5 Prozent im Rücken ist er als klarer Wahlsieger Anfang September jetzt auch im Parlamentssaal seinem Ziel nähergekommen, handfest Macht auszuüben und als Mehrheitsbeschaffer für eine Mitterechtsregierung das Schmud-delimage loszuwerden. Aber erstmal setzte es für den Kandidaten Kristersson eine 154:195-Niederlage, weil Zentrum und Liberale das Lager wechselten und mit den bisher zusammen regierenden Sozialdemokraten und Grünen sowie der Linkspartei stimmten.
Das ist für Schwedens politische Landschaft nach 14 Jahren unverbrüchlicher „Allianz“ unter konservativer Führung eine Zäsur. Noch kurz nach der Wahl hatten die beiden Mitteparteien zusammen mit Konservativen, Christdemokraten und eben auch den SD von ganz rechts den sozialdemokratischen Premier Stefan Löfven abgewählt. Löfven, nur noch geschäftsführend im Amt und wie sein Kontrahent Kristersson als klarer Wahlverlierer in ausgesprochen schwacher Position, spricht auch dauernd von „blockübergreifenden“ Lösungen, ohne dass er den zehn Millionen Bürgern aber eine realistische Regierungskonstellation anbieten kann. Mit 28 Prozent ist seine Partei, die Schweden über 100 Jahre souverän fast immer im Alleingang regieren konnte, auch nur noch ein Schatten vergangener Tage.
In dieser trüben Lage für die abgehalfterten Großen sieht die 35- jährige Mittepolitikerin Lööf vom kleinen Zentrum ihre Chance. Sie wolle gerne selbst die Möglichkeiten für eine – natürlich blockübergreifende – Regierung unter eigener Führung sondieren, hat sie verkündet. Aber eine Regierung mit den Sozialdemokraten sei nach wie vor ausgeschlossen. Umgekehrt steht ihr der unverrückbar verkündete Anspruch Löfvens auf das Spitzenamt im Wege. Können sich beide nicht einigen, sind nach ein paar weiteren Monaten mit quälend erfolglosen Sondierungen vorzeitige Neuwahlen die unausweichliche Folge. Auf die dürfte sich vor allem Jimmie Åkesson freuen.