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Herausragende Neuerscheinung: Platonows “Baugrube”

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Platonows geniale «Baugrube» über einen mörderischen Sozialismus

Von Thomas Borchert, dpa

Bauarbeiter schaufeln eine Grube aus und damit vielleicht ihr eigenes Grab: In der grotesken, hier genial eingesetzten Apparatschik-Sprache der Partei hat Andrej Platonow 1930 den Alptraum unter Stalin als Apokalypse beschrieben.

Für eine Verbeugung vor Leupold, nominiert für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse 2017, braucht es keine Russischkenntnisse für das als «unübersetzbar» geltende Original: Die Lektüre ist sprachlich einfach ein Genuss, aber einer mit Folgen.

Denn er kommt Seite für Seite mit der Eindringlichkeit von Axthieben. Platonow erzählt vom Ausheben einer gigantischen Baugrube in Stalins Sowjetunion Ende der 20er Jahre. Die Hauptperson Woschtschew, aus der Maschinenfabrik entlassen, weil er bei laufender Produktion über den Sinn des Lebens nachgedacht hat, legt sich hier zum Schlafen nieder und findet dann auch Arbeit. Was entstehen soll, weiß so recht niemand. Vielleicht eine Art sozialistischer Babel-Turm zu Beherbergung all derer, die mitschaufeln und auch der anderen Glücklichen im Kommunismus?

Nur dass es über das Schaufeln nie hinausgeht, dass dabei massenhaft gestorben statt gelebt und Massenmord auch von den potenziellen Opfern schon als Selbstverständlichkeit akzeptiert wird. Ob am Ende die Grube in Wirklichkeit nur als riesiges Grab für alle gedacht ist? Platonow lässt Kulaken, gut gestellte Bauern, in diesen Jahren der landwirtschaftlichen Zwangskollektivierung mit Hunderttausenden Toten zur Baugrube pilgern. Sie begehren die Auslieferung der eigenen, von ihnen selbst maßgefertigten Särge.

Aus der Personengalerie von intellektuellem Sinnsucher, entwurzeltem Kriegsinvaliden, drögem Apparatschik und proletarischem Muskelmann spricht das unschuldige Waisenmädchen Nastja die ungeheuerlichsten Sätze. Die Bauarbeiter haben sie liebevoll bei sich aufgenommen, schon mal als Vorgeschmack auf das sozialistische Paradies. «Geh und bring sie um!», sagt die Neunjährige einem von ihnen beim Anblick von Kulaken und lässt lahmen Widerspruch nicht durchgehen: «Wir sind ja, gemäß des Plenums, verpflichtet, sie mindestens als Klasse zu liquidieren, dass bloß das ganze Proletariat und der Tagelöhnerstand von Feinden verwaist!»

Platonow lässt seine Figuren in dieser apokalyptischen Geschichte durchgehend die groteske, bombastisch floskelhafte und mausetote Parteisprache der sozialistischen Paradies-Erbauer sprechen. Egal, ob sie zum Mord auffordern, sich gegenseitig denunzieren oder die Hauptfigur einfach von Trübsinn befreien möchten: «Wer den Ausweis der Partei in den Hosen trägt, muss sich unablässig sorgen, dass im Körper Enthusiasmus ist. Ich rufe Sie auf, Genosse Woschtschew, zu wetteifern um das höchste Glück der Stimmung!» Es grenzt an ein Wunder, wie der Autor diese Sprache durch konsequent stoische Anwendung zu einem ganz eigenen, den Leser unabweisbar bedrängenden Leben erweckt und das Entsetzen sich noch ganz anderen Schichten öffnet als dem über den Horror des Stalinschen Terrorsystems.

Aber eine vernichtende Abrechnung damit war es schon, weshalb «Die Baugrube» im Land der Entstehung erst mit 50 Jahren Verspätung erscheinen konnte. Platonow überlebte immerhin den Großen Terror, auch das fast ein Wunder. Er starb 1951, ziemlich unbekannt und verarmt.

Sein Landsmann Joseph Brodsky, Nobelpreisträger 1987, schrieb über die Sprengkraft der «Baugrube» und des zweiten Hauptwerkes «Tschewengur» durch ihre Sprache, sie könnten «nur in Einheiten gemessen werden, die mit Literatur wenig zu tun hätten: Weil sie dem System fast genau das antäten, was das System seinen Untertanen angetan habe.» Zur herausragenden publizistischen Leistung bei der deutschen Neuausgabe gehören auch instruktive Erläuterungen der Übersetzerin über die Entstehung des Romans und ein Nachwort von Sibylle Lewitscharoff.

02:07 21-03-2017

 

 

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