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Dänemark zählt seine Flaggenstangen – ist denen langweilig?

Patriotismus rot-weiß

22. Januar 2016

 

 Von Thomas Borchert

Menschliche Masten gelten nicht.  Foto: REUTERS

Kopenhagen –  Wer keine Sorgen hat, macht sich selber welche. Dänemarks Finanzministerium hat Staatsdiener zum Jahresauftakt die Fahnenmasten vor sämtlichen öffentlichen Gebäuden des Königreiches abzählen lassen. Das Ergebnis war schriftlich in Kopenhagen einzureichen. Sinn und Zweck blieben lange ein offenbar streng zu hütendes Staatsgeheimnis. Es habe etwas mit der „staatlichen Beflaggungspraxis“ zu tun, mehr sage man nicht, schmetterte eine Sprecherin von Finanzminister Claus Hjort Frederiksen Medienvertreter ab. „Berlingske“ zitierte anonym einen Spitzenbürokraten: „Es könnte sein, dass es etwas ist, das dazu dient, herauszufinden, ob etwas anderes realistisch ist.“ Ah ja.

Parlamentarier im „Folketing“ bekannten unisono, dass ihnen das Flaggenstangen-Zählen sinnfrei erscheint. „Es passiert selten, dass man auf ein Mysterium dieses Kalibers stößt“, sagte Pernille Skipper aus der linken Einheitsliste. Von ganz rechts wies Søren Søndergaard den Verdacht zurück, seine „Danske Folkeparti“ stehe mit ihrer nationalistischen Fahnenverehrung hinter der Zählaktion: „Wir haben nicht darum gebeten. Es hätte uns aber sehr wohl einfallen können.“ Der Ultraliberale Henrik Dahl hatte auch keine Erklärung, aber wie immer eine Meinung: „Schwachsinns-Aktion des Jahres.“

In Leserbriefen und sozialen Medien („#flagstanggate“) vermuteten Dänen, dass Sparfüchse im Finanzministerium Beute wittern. Oder eine finstere neue EU-Direktive aus Brüssel. National gilt: An mindestens 17 Flaggentagen pro Jahr ist vor öffentlichen Gebäuden nach strengen Regeln die rotweiße „Dannebrog“ aufzuziehen. Hoch um acht Uhr morgens, runter spätestens bei Sonnenuntergang, je in „respektvoll gemäßigtem Tempo“. Das dauert.

Dienstplanmäßig geht es ja noch, wenn etwa die derzeit sieben royalen Geburtstage mit Flaggenpflicht (von Königin Margrethe II bis zu einer Schwiegertochter namens Marie) auf einen Arbeitstag fallen. Immer aber drohen auch Wochenenden und damit Überstunden mit Zuschlag. Zu Ostern, Weihnachten und Pfingsten muss sowieso geflaggt werden. Und dann noch die vielen Staatsbesuche!

Etwaigen Sparplänen an der Flaggenfront dürfte neben der Dänischen Volkspartei auch der Tourismusverband „Visit Denmark“ den Kampf erklären. Ausländische Besucher, allen voran die deutschen, gelten als begeisterte Dauerfotografen der rotweiß flatternden Farbenpracht. An Wind herrscht kein Mangel, auf den wolkenfreien Hintergrund muss bisweilen lange gewartet werden. Dafür ist an den fast obligatorischen Masten vor Ferienhäusern, Landkneipen, Bauernhöfen und anderen Privatbauten ein Flaggentag. Gut, dass die keiner zählen muss. Die netten Dänen bepflanzen zwischenzeitlich auch Blumenbeete vor dem Haus mit rotweißen Wimpeln, einfach weil sie einen Geburtstag oder ein anderes Fest feiern. Mit noch kleineren Dannebrog-Wimpeln bepflastert werden Weihnachtsbäume, Geburtstagstorten und Umschläge besonders nett gemeinter Briefe.

Für deutsche Urlauber kann es ein böses Erwachen geben, wenn sie sich diesen Ausdruck sprühender Lebensfreude zueigen machen und vor dem Ferienhäuschen an der dänischen Nordsee Schwarz-Rot-Gold aufziehen. Dann ruft schon mal ein Einheimischer die Polizei. Ohne Sondergenehmigung darf keine Nationalflagge von südlich der Landesgrenze aufgezogen werden. Auch für Landeskinder kann der Spaß bei Dannebrog schnell aufhören. Als Steen Christiansen, Bürgermeister des Kopenhagener Vorortes Albertslund mit hoher Zuwandererquote, zum Verfassungstag die Flaggen von 106 Ländern flattern lassen wollte, lehnte die Polizei ab. Es sei ein Verstoß gegen die „Verordnung über das Verbot zur Benutzung fremder Nationalflaggen“ vom 10. April 1915. Im Übrigen gilt die Flaggenverordnung vom 11. Juli 1748.

Aus dem Nichts hat Regierungschef Lars Løkke Rasmussen nun den Dannebrog-Schleier auf Facebook gelüftet: Er wünsche sich zwei zusätzliche Flaggentage als Ausdruck der „Schicksalsgemeinschaft“ mit Grönland und den Färöer. Da hätten tüchtige Beamte mal schauen wollen, was an Arbeit anfällt. Das veröffentlichte Zählergebnis wird die Dienstplaner beruhigen: Ganze 534 staatliche Fahnenstangen erheben sich aus dänischem Boden. Das müsste zu wuppen sein. Auch wenn noch die Flaggentage für acht Enkel von Königin Margrethe ab dem 18. Geburtstag dazukommen.

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