Schweden macht dicht
Von Thomas Borchert
“Schmerzerfüllt“ und mit Minister-Tränen hat Schwedens Regierung das Ende ihrer humanitären Flüchtlingspolitik verkündet, von den skandinavischen Nachbarn aber sofort die kalte Schulter gezeigt bekommen. Nur ein paar Stunden vergingen nach der Verkündung drastischer Asylverschärfungen durch den sozialdemokratischen Premier Stefan Löfven und seine mit den Tränen kämpfende Stellvertreterin Åsa Romson von den Grünen, ehe Norwegen und Dänemark reagierten: Die Regierungen kündigten postwendend eigene Regelverschärfungen an.
Sie wollen damit den Zuzug von Asylbewerbern aus dem Nachbarland verhindern. Die Kopenhagener Ausländerministerin Inger Støjberg sagte: „Die Schweden sind selbst schuld an dem Sumpf, in dem sie jetzt stecken.“ In fast verzweifeltem Ton hatte Löfven vorher in Stockholm die komplette Umstellung der bisher großzügigsten Asylregeln aller EU-Länder begründet: „Es schmerzt mich, aber wir schaffen es einfach nicht mehr.“
Sein Land habe in den vergangenen zwei Monaten 80 000 Asylbewerber aufgenommen, was einer Zahl von 25 Millionen für die gesamte EU über ein Jahr entsprechen würde. Zuletzt hatten im südschwedischen Malmö Flüchtlinge unter freiem Himmel übernachten müssen. Jetzt sollen die Zahlen „kräftig reduziert werden und Schweden eine Atempause bekommen“, sagte Löfven.
Die neue Linie
Sein Land bewege sich mit der Einführung vorübergehender statt permanenter Aufenthaltsgenehmigungen, Einschränkungen beim Familiennachzug, medizinischen Kontrollen unbegleitet einreisender Minderjähriger und verminderten Geldleistungen auf das „Mindestniveau“ in der EU zu. Direkte und baldige Konsequenzen für alle Nachbarländer, darunter auch Deutschland, hat der angekündigte Zwang zu Ausweiskontrollen durch Reedereien, Bahn- oder Busgesellschaften vor dem Reisebeginn. Die Transportunternehmen dürfen künftig keine Flüchtlinge ohne gültige Identitätspapiere nach Schweden bringen. Löfven sagte, nach dem Scheitern aller bisherigen Bemühungen um eine gemeinsame Lösung der Flüchtlingsprobleme wolle seine Regierung nun erreichen, dass „Flüchtlinge sich andere Länder suchen“. Die konservative Oppositionschefin Anna Kinberg Batra verlangt, dass alle aus Deutschland und Dänemark einreisenden Asylbewerber sofort abgewiesen und zurückgeschickt werden. „Ich fürchte, die jetzigen Maßnahmen reichen nicht“, sagte sie im Fernsehen.
Die mit den Sozialdemokraten seit einem Jahr regierende Umweltpartei drohte umgekehrt mit dem Verlassen der Regierung, falls einige von Löfven zusätzlich vorgeschlagene Verschärfungen nicht zurückgenommen würden. Der Regierungschef verwies bei der Vorstellung der neuen Linie mehrmals auf gemeinsame und erfolglose Anläufe mit Deutschland und Österreich, eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU zu erreichen: „Andere Länder tun sehr wenig“, sagte Löfven.
Rechtspopulisten sind erfreut
Im Stockholmer Reichstag sind die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) bisher von jeder Beteiligung an der Asyl- und Flüchtlingspolitik ausgeschlossen, die alle anderen Parteien so gut wie geschlossen mitgetragen haben. SD-Chef Jimmie Åkesson nannte die neue Linie der Regierung „erfreulich, weil sie Vorschläge von uns umsetzt“. Das sei aber zu spät und zu wenig.
Bei den Nachbarn Finnland, Norwegen und Dänemark gehören rechtspopulistische Parteien zum Regierungslager. Während in Schweden für 2015 insgesamt bis zu 200 000 Asylbewerber (bei knapp zehn Millionen Einwohnern) erwartet werden, rechnet das gut halb so große Dänemark mit 25 000. Das führende liberale Stockholmer Blatt „Dagens Nyheter“ kommentierte: „Die Notwendigkeit einer direkteren Konfrontation mit Dänemark und der übrigen EU hat zugenommen. Schweden kann auf die Dauer, zusammen mit Deutschland, nicht das einzige Land sein, das die Flüchtlingskrise als eine mitmenschliche Verpflichtung sieht.“