Kopenhagener “Klimaschutz-Insel”: Monumentales Greenwashing?

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Geoengineering im Öresun03.03.2023

Von: Thomas Borchert

Ein Mammutprojekt zum Schutz Kopenhagens vor der Klimakrise gerät unter heftige Kritik.

Eine künstliche Insel nordöstlich der dänischen Hauptstadt, die fast so groß ist wie Helgoland: Es ist ein fantastisch anmutendes Megaprojekt, das Kopenhagen vor dem Meeresspiegel schützen soll, der bis 2100 den aktuellen Prognosen nach einen Meter höher sein könnte als jetzt. Seit ein paar Wochen ist der erste Steindamm fertig, schon bald soll das Innere der Eindämmung im Norden von Dänemarks Hauptstadt trockengelegt und mit Erdreich aufgefüllt werden, und so die Insel Lynetteholm entstehen.

Oberbürgermeisterin Sophie Hæstrup Andersen, die seit 2020 im Amt ist, preist sie als „zukunftssichere“ Barriere auch gegen häufigere Sturmfluten: Ohne das Projekt wären „unsere Metro, die Eisenbahn, Straßen und Zehntausende Wohnungen von Zerstörung bedroht“, sagt sie.

Deshalb sei Eile geboten, begründete sie die kurze Zeit zwischen der ersten Vorstellung des Plans 2018 und dem Baubeginn 2022. Atemberaubend schnell ist das für das größte Bauprojekt der dänischen Geschichte und damit einhergehend höchst komplexen Folgen für die Umwelt.

Am Ende soll Lynetteholm als Heimstatt für 35 000 Menschen gegen die Wohnungsnot helfen und noch mal so viele Arbeitsplätze schaffen. Aber erst muss die schwer vorstellbare Menge von 80 Millionen Tonnen Erdreich aus Lkws herbeigeschafft und in den Öresund gekippt werden. „Win-win“, heißt es, denn so könne Kopenhagen von all dem überschüssigen Boden aus der emsigen Bautätigkeit für Häuser, Straßen und die U-Bahn befreit werden.

Bei der Präsentation der Idee variierte der damalige Premier Lars Løkke Rasmussen begeistert das Bild vom „Ei des Kolumbus“. Lynetteholm sei wie ein„Überraschungsei“ für Kinder: Der Klimaschutz als Schokolade drumherum und drinnen als doppelte Überraschung die Lösung von Wohnungs- und Verkehrsproblemen auf einen Schlag. Denn mit Metro und großzügigem Tunnelbau soll Lynetteholm tatsächlich eine Halbinsel werden.

Wie kleine Kinder für dumm verkauft fühlen sich von derlei Lobpreisungen inzwischen aber so viele, dass das ganze Projekt ins Wanken geraten ist. Der Hauptstadt-Bevölkerung ging auf, dass für das Wachstum der neuen Insel die kommenden 30 Jahre jeden Tag 700 Lkw-Fuhren mitten durch Kopenhagen gekarrt werden müssen. So hat es ihnen „Stop Lynetteholm“ vorgerechnet, und das hatte Folgen. Bei der Kommunalwahl vor anderthalb Jahren verlor Andersens Sozialdemokratie klar, während die frontal gegen Lynetteholm opponierende Einheitsliste stärkste Kraft wurde.

In der Vorort-Kommune Køge ärgerte man sich darüber, dass gigantische Mengen Schlamm vom Bauplatz in der Køge-Bucht verklappt werden sollen. Die Regierung des Öresund-Nachbarn Schweden protestierte wegen der ökologischen Folgen für das sensible Gewässer. Der Öresund hat enorme Bedeutung für die Zufuhr von frischem Salzwasser in die Ostsee. Viele Expert:innen sind überzeugt, dass Lynetteholm diese gefährlich einschränken würde.

Ihre Forderung nach einem Baustopp bis zur Gerichtsentscheidung hat die Klimabevægelsen zwar aus Angst vor gigantischem Schadensersatz für den Fall einer Niederlage aufgegeben. Politisch aber stehen die Betreibergesellschaft By&Havn und Andersen politisch aber so massiv unter Druck, dass sie einen taktischen Rückzug nach dem anderen hinlegen müssen.

Die Verklappung in der Køge-Bucht ist abgesagt, nun soll es plötzlich möglich sein, den Schlamm beim Aufschütten der Insel vor Ort wiederzuverwenden. Andersen gestand ein, man habe die Bevölkerung „mangelhaft einbezogen“ und berief – nachträglich – eine repräsentativ ausgewählte Bürgerversammlung ein. Die attestierte ihr prompt, die Beteiligung komme „zu spät“. Sie verlangt in elf Empfehlungen radikale Änderungen bei den grundlegenden Planungsprinzipien, ohne aber für eine Absage einzutreten.

„Lynetteholm ist ein politisches Waisenkind geworden, das niemals Adoptiveltern finden wird“, kommentiert die Zeitung „Politiken“. Aber es wächst vorerst weiter. Gebaggert und gebaut wird trotz der extrem miesen Stimmung um das Projekt. Bis zum Ziel ist als Kontrast zum eiligen Start noch ein weiter Weg: Das Auffüllen mit Erdreich soll 2050 und der Wohnungsbau für 35 000 Menschen nicht eher als 2070 abgeschlossen sein.

Dänemark verpasst seine Klimaziele

Der Klimarat des skandinavischen Landes konstatiert, dass es sich immer weiter von den selbst gesteckten Klimazielen entfernt . Das gelte auf kurze wie auf lange Sicht für so gut wie alle klimapolitischen Teilbereiche.

Reduziert werden sollen die CO2-Emissionen des Landes demnachbis 2025 um 50-54 Prozent (gegenüber 1990) und um 70 Prozent bis 2030. Beides sei nicht zu erreichen, wenn nicht schleunigst eine CO2-Abgabe für die Landwirtschaft eingeführt werde, so das Gutachten.

Die Agrarindustrie steht für ein Viertel der CO2-Emissionen Dänemarks. Die neue Große Koalition schiebt die Abgabe für die Landwirtschaft vor sich her: Diese dürfe „die Konkurrenzkraft nicht schwächen und keine Arbeitsplätze kosten“. Dänemark gilt auch wegen des starken Anteils von Windkraft an der Stromerzeugung international als Vorreiter beim Klimaschutz, doch der von der Regierung als Wachhund eingesetzte Klimarat meint, selbst die Erreichung der eigenen Klimaziele reiche nicht, um die EU-Verpflichtungen zu erfüllen. tob

Und auch juristische Einschätzungen geben der „Klimabevægelsen“, einem Zusammenschluss dänischer Umweltorganisationen, gute Chancen mit ihrer Klage gegen das Projekt. Um für den Bau in Windeseile die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, habe man das Projekt per Salamitaktik in angeblich unabhängige Teilprojekte aufgesplittet und so EU-Regeln verletzt. Für Kritiker:innen ist Lynetteholm Greenwashing eines Geschäftsmodells zur Schaffung profitträchtigen Baulands.

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