Human und pfiffig: Finnland organisiert Distanz-Unterricht für Kinder im syrischen Al-Hol-Lager

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Syrien

Das pfiffige Finnland

  • Von Thomas Borchert, 4. oktober 2021

Fernunterricht für IS-Kinder dank geschmuggelter Smartphones

Finnlands Außenministerium und das „Amt für lebenslanges Lernen“ haben Handys in das berüchtigte nordsyrische Lager Al-Hol schmuggeln lassen, um die Kinder früherer IS-Kämpferinnen mit finnischem Pass per Fernunterricht auf die Rückkehr vorzubereiten. Von Mai letzten Jahres bis diesen März, so berichtete die Lehrerin Ilona Taimela jetzt im Rundfunksender SR, habe sie zusammen mit einem Kollegen montags bis mittwochs 23 Kinder in der finnischen Sprache, Geografie sowie Mathematik unterrichtet. Die meisten von ihnen sind inzwischen mit ihren Müttern in das nordeuropäische Land zurückgekehrt, auf verschiedene Kommunen verteilt und laut Taimela gut integriert.

Die Aktion wurde in Finnland, vor allem aber auch in dem immer wieder als „Hölle“ bezeichneten Lager unter kurdischer Verwaltung streng geheim gehalten, wo Handys verboten sind. „Dass Kinder in Finnland durch Corona zu Distanzunterricht gezwungen wurden, hat uns auf dieselbe Idee für Al-Hol gebracht“, sagte Jussi Tanner der Zeitung „Helsingin Sanomat“. Er ist Sonderbeauftragter der Regierung seit 2019, als sich die Regierung der Sozialdemokratin Sanna Marin früh und eindeutig für die Heimholung aller Kinder der frühere IS-Dschihadisten entschied. Im vergangenen Dezember organisierten Finnland und Deutschland gemeinsam eine Rückholaktion für 18 Kinder und deren fünf Mütter.

Märchen im Lager Al-Hol

In anderen Ländern, etwa bei den skandinavischen Nachbarn in Schweden und Dänemark, setzten Regierungen dagegen alles daran, möglichst überhaupt keine Mütter mit Kindern nach Hause zu holen. So erklärte Dänemarks ebenfalls sozialdemokratische Regierungschefin Mette Frederiksen (43), die Eltern seien für das Schicksal ihrer Kinder verantwortlich und hätten ihrem Land nun mal „den Rücken zugekehrt“.

Finnlands Behörden dagegen fühlen sich weiter uneingeschränkt verantwortlich. „Jedes Kind hat ein verfassungsmäßiges Recht auf Bildung“, sagt Taimela. Wichtig sei vor allem die Verbesserung der Sprachkenntnisse gewesen. Dafür bekamen die Kinder am Telefon auch Märchen in Finnisch vorgelesen und die Geografie des Landes mit den unendlich vielen Seen erklärt. Wegen der schlechten und oft unterbrochenen Verbindung sei kein Videounterricht möglich gewesen. „Die Kinder haben ihre Antworten auf unsere Fragen dann irgendwann später als Text- oder Audiodatei zu uns geschickt“, erzählt die Lehrerin. Sie hätten so ihre Fortschritte beim Aussprechen finnischer Wörter übermittelt. Die Mütter konnten die Handys in aller Heimlichkeit auch für kinderärztliche Ratschläge aus Helsinki nutzen.

Gut zwei Drittel der Frauen und ihre Kinder sind inzwischen aus Al-Hol zurückgeholt. Die telefonische Verbindung mit dem Rest ist seit dem Frühjahr komplett abgebrochen, wobei die Gründe für die finnischen Behörden unklar sind. Als wahrscheinlich gilt die Verteilung auf andere Lager. Finnlands Regierung will weiter alles daran setzen, die zehn noch in Syrien verbliebenen Kinder heimzuholen.

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