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  1. März 2016

Breiviks absurdes Theater

Von Thomas Borchert

 

Der Massenmörder klagt gegen seine Haftbedingungen. Der bekennende Nazi hätte gerne mehr Kontakt zu Gleichgesinnten, stört sich an der Isolation und wünscht sich besseren Kaffee.

 

Für Freddy Lie geht eine schlimme Woche zu Ende. Vor fast fünf Jahren erschoss ein Massenmörder seine 16 Jahre alte Tochter Elisabeth und verletzte die ältere Schwester Catherine schwer. Jetzt hat der Norweger dem Mörder von 77 Menschen bei stundenlangen Klagen vor Gericht über seine „unmenschliche Isolationshaft“ zugehört, „schlimmer als der Tod oder Waterboarding“. Ohne Kontakt mit anderen als dem Personal, ohne PC und Internet, dafür mit kaltem Kaffee aus Plastikbechern, einer veralteten Playstation und 800 Leibesvisitationen. „So viel dummes Zeug. Ich verstehe nicht, dass die Richterin ihn nicht zum Schweigen gebracht hat,“ sagte Lie hinterher der Zeitung „Aftenposten“.

Die norwegischen Fernsehnachrichten brachten am Abend die verrückten Forderungen des Terroristen und bekennenden Nazis Anders Behring Breivik ausführlich im Wortlaut. Der zu einer 21-jährigen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung Verurteilte, der in drei zusammenhängenden Zellen im Gefängnis Skien einsitzt, verlangt ein Recht auf Buchveröffentlichungen, besseres Essen, Kontakt mit „Freunden und Anhängern“ und vieles mehr.

In derselben Nachrichtensendung verkündeten, völlig unabhängig von dieser Zivilklage, Nachbarn der Insel Utøya, dass auch sie gegen den Staat vor Gericht ziehen. Die Anwohner wollen die von der Regierung beschlossene große Gedenkstätte zum Massenmord auf Utøya mit heftigem Eingriff in die Landschaft nicht hinnehmen. „Wir können nicht in einem Mahnmal leben,“ sagt eine Sprecherin der Bürgerinitiative. Ihre Gründe lassen sich jedenfalls nachvollziehen. Die Hinterbliebenen-Gruppe ist für die Gedenkstätte. Nun muss sogar darüber ein Gericht entscheiden.

Immer neu werden so die Wunden wieder aufgerissen. Lie war auch 2012 zum Verfahren gegen Breivik in Oslo gegangen, um besser zu verstehen, warum seine Tochter beim sozialdemokratischen Sommercamp auf Utøya sterben musste. Der Mörder jagte hier, als Polizist verkleidet, Elisabeth, Catherine und die anderen mit seiner Maschinenpistole. 69 junge Leute starben. Vorher hatte er mit einer Autobombe in Oslo acht Menschen umgebracht.

Gute Gründe für die Isolation

Den Auftritt des Täters als Kläger wegen Verletzung seiner Menschenrechte, nannte der Vater „eine Parodie“: „Das hätte man wohl nicht vor einer Rechtsinstanz zulassen sollen.“ Auch alle psychiatrischen und juristischen Experten stuften die vier Verhandlungstage in der Turnhalle von Skien eher als Beweis dafür ein, dass die durchaus bemerkenswert lange Isolationshaft dem Mörder wohl keinen Schaden zugefügt hat. „Er ist genau dieselbe Person wie damals“, kommentierte Psychiatrieprofessor Ulrik Malt als Beobachter. „Damals“ brachte diesen Mann unmittelbar nach dem Abschlachten von 69 Kindern und Jugendlichen bei der Festnahme zum Heulen, dass er am Finger blutete. Jetzt empfindet er seine drei mit Fernsehen, DVD und Hometrainer ausgestatteten Knast-Räume als „schlimmste Folterzelle Europas“.

Anstaltpsychiaterin Rosi Randqvist befand: „Ich kann seine Klagen nur schwer ernstnehmen.“ Angesichts der gerade wieder ausdrücklich erklärten Nazi-Überzeugung des Massenmörders und seines ungebrochenen Strebens nach Vernetzung mit Gleichgesinnten sei die Gefahr neuer Gewalttaten ein gewichtiges Argument für die Isolationshaft.

„Breivik wird mit seinem Verbrechen in Norwegen einhellig als isoliertes und einmaliges Phänomen gesehen“, sagt „Aftenposten“-Chefredakteur Harald Stanghelle. Dass die Klage gegen die lange Isolationshaft zugelassen wurde, fanden die Osloer Kommentatoren ebenso einhellig in Ordnung. Norwegen ist sich seit dem schrecklichen Datum 22. Juli 2011 bis heute weitgehend einig, dass man den Terroristen am wirkungsvollsten mit dem Beharren auf Rechtsstaatlichkeit und Humanität in die Knie zwingt.

Dafür war in Kauf zu nehmen, dass der Auftritt des Massenmörders als Kläger zum absurden Theater geriet. Für das große Publikum sorgten die heimischen und auch ausländische Medien. Sondersendungen, „Live-Ticker“ aus dem Verhandlungssaal, große Fotos mit dem Hitler-Gruß in vielen Zeitungen, auch dieser – damit dürfte einer zufrieden sein.

Freddy Lie und die anderen Hinterbliebenen wohl weniger. Breiviks Anwalt hat schon Berufung angekündigt, bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wenn diese Klage bei der Urteilsverkündung in ein paar Wochen abgewiesen wird.

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