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18. März 2016

Glückliche Dänen?

 Von Thomas Borchert

Was ist Glück?  Foto: dpa

Sind seine Nachbarn Lebenskünstler oder einfach happy mit dem Mittelmaß – unser Korrespondent ist sich da nicht ganz sicher

Einen genialen Erklärungsansatz zu Dänemarks Spitzenplatz im World-Happiness-Report hat Thomas Vinterberg mit seinem Film „Das Fest“ geliefert. Die vielen schönen Familienfeste mit gemeinsamem Gesang und launig freundlichen Ansprachen gehören zur Grundausstattung aller glücklichen Dänen. Ich mag sie auch. „Willst du die grüne oder die gelbe?“ fragt der Sohn in beschwingter Runde den Vater und hält zwei Umschläge mit Texten für seine Festrede hoch.

Der entscheidet sich falsch und bekommt statt der normalen über das glückliche Familienleben eine vernichtende mit sich als Tyrann und Kinderschänder. Als Antwort auf die Anfrage der Redaktion („Wie glücklich bist Du in Dänemark? Hast Du Lust, uns dazu etwas zu schreiben?“) kommen hier beide Versionen, die gelbe und die grüne.

Version Eins:

Ja, der erste Platz der Dänen auf der Glücksrangliste ist verdient. Meine freiwillige Anwesenheit über ganz viele Jahre versteh ich selbst als Beweis, dass allseits freundliche Zufriedenheit mit dem Leben und dem eigenen Land ansteckend sein kann. Sie hätten mich mal vorher erleben sollen.

Die vielen Kindergärten, das frühe Recht von Frauen auf Selbstständigkeit durch Lohnarbeit, die breiten Fahrradwege, die für alle gleiche, kostenlose Krankenversorgung (finanziert durch hohe Steuern), der anständige Mindestlohn für die schlechten Jobs und Ähnliches mehr sind das eine Fundament. Das andere, genauso wichtig, eine freundlich entspannte Grundstimmung ohne Klassenunterschied, ganz nach dem Motto: „Det ordner sig.“ – „Das wird schon.“

So ein Grundoptimismus setzt Kräfte frei, die kleinen und großen Probleme ohne Geschrei und fundamentalistische Glaubenskriege anzugehen. Spaß am Leben kommt als Bonus obendrauf. Dänemark an einem sonnigen Freitagnachmittag ist ein prachtvoller Anblick. Auch die Bürochefs vergessen spätestens um 13 Uhr, wie stark sie und ihre Mitarbeiter von protestantischem Arbeitsethos geprägt sind. Die gut gelaunten Gesichter auf den 500 000 Kopenhagener Fahrrädern Richtung Wochenende würden den World Happiness Report prima illustrieren.

Version zwei:

Die ausgeprägten dänischen Glücksgefühle sind einfach Ausdruck von anspruchsloser Zufriedenheit mit Mittelmaß, Selbstglorifizierung und Problemverdrängung. Der Medizin-Statistiker Kaare Christensen hat es gerade bei einem Seminar meiner Frau Ellen (Dänin, Krankenhaus-Job) so erklärt. Sie fand das unterhaltsam und treffend, ist aber auch mit ihrem Leben und sogar mit mir verblüffend zufrieden.

Mehr dazu
Das Ranking

Der Weltglücksbericht des Earth Institute der New Yorker Columbia-Universität wurde in dieser Woche zum vierten Mal veröffentlicht.

Der für die Vereinten Nationen erstellte Bericht verbindet unter anderem Länderdaten mit Befragungen über die Selbstwahrnehmung ihrer Bewohner. Er berücksichtigt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, die durchschnittliche Lebenserwartung, die gefühlte Unterstützung aus dem eigenen sozialen Umfeld oder Vertrauen in Regierung und Unternehmen mit Blick auf Korruption. Es geht auch um die empfundene Freiheit, Entscheidungen für das eigene Leben treffen zu können. Auch negative Faktoren wie Sorgen und Wut spielen eine Rolle. (dpa)

 

Christensens Liste mit Indizien für die Glücksgefühle als Autosuggestion und zugleich Täuschungsmanöver nach außen ist schweres Geschütz: Niedrige Lebenserwartung, extrem starker Konsum von Psychopharmaka, Spitzenstellung bei Alkoholschäden. Die im internationalen Vergleich ausgeprägt ungesunde Lebensweise der Durchschnittsdänen könne man nun wirklich nicht als Indiz für innere Glückszustände werten, meint Christensen.
Es gibt im Alltag die Witzelei mit den Glückspillen und der Trinkerei als wirklichem Grund für den ersten Platz im Happiness Report. Das reicht als Erklärung auf keinen Fall, weil die Dänen bei ihren „Folketings“-Wahlen wohl nicht alle zugedröhnt sein können.

So gut wie immer seit zwei Jahrzehnten gewinnen die mit den hässlichsten, aggressivsten und dümmlichsten Parolen gegen Ausländer. Mir will nur schwer in den Kopf, wie das mit der Version „grün“ unter einen Hut passt. Auch wird das Gefühl sozialer Gleichheit gerade heftigen Stresstests ausgesetzt. Hartz IV ist noch ein gutes Stück entfernt, aber der Abstand verringert sich.

Es gibt dazu viele kluge und facettenreiche Gedanken, auch aus dem staatlich geförderten Kopenhagener „Institut für Glücksforschung“. Nur ist dafür hier kein Platz und auch keine Zeit mehr. Diese Zeilen werden Freitagmittag geschrieben. Wie gesagt bin ich recht glücklich hier in Dänemark. Nächste Woche kommt Ostern, und da erwarten uns alle hier an fünf aufeinanderfolgenden Feiertagen ganz viele Familienfeste.

 

 

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