Schweden „Auf deinem Volvo sitzt ein Elch“
Von Thomas Borchert

„Betrunkene Elche randalieren vor Altersheim“ – wie hier in der Nähe von Göteborg – ist eine typische Schlagzeile in Schweden. Foto: REUTERS
Jagd, Brunft und Promille: Der Herbst in Schweden ist eine harte Zeit für die Elche, die sich gerne über vergorenes Fallobst hermachen. Hauptfeind sind jedoch die Jäger, die bis zum Ende der Saison um die 90.000 Tiere erlegen.
So ein Anruf am Freitag kurz vor Feierabend kann auch den ruhigsten Schweden aus der Fassung bringen. „Auf deinem Volvo sitzt ein Elch. Besser, du kommst mal eben zum Carport,“ hörte Friseurmeister Rolf Stamberg aus dem Mund von Hausmeister Kenneth, als er gerade einem Stammkunden die Haare schnitt. „Das hält man in seinen wildesten Fantasien nicht für möglich, mitten im Zentrum von Åmål,“ schrieb er auf Facebook und brachte es dann zu Schlagzeilen bis nach Finnland: „Elch durch Garagendach gekracht.“
Augenzeugen hatten staunend zugeschaut, als das Tier nach seinem Irrgang durch die westschwedische Kleinstadt auf das Dach hüpfte. Eine beachtliche Leistung mit vielleicht 400 Kilo Gewicht. Die Dachpappe war für so ein Gewicht nicht ausgelegt. Auch den mit Blaulicht hinzugeeilten Polizisten bot sich das Bild eines zweigeteilten Elches: Oben aus dem Dach herausragend und unten auf Strombergs silbergrauem Volvo V70 aufliegend. Ehe Schwedens Ordnungsmacht ihren Einsatzplan klar hatte, konnte sich das Tier frei strampeln. Es fand sogar den Weg in den Wald, wo es hingehörte. Zurück blieben Schrammen und ein Versicherungsfall.
Das war eine neue Variante aus der Flut bizarrer Elchgeschichten, die im Oktober so sicher aus dem ganzen Land kommen wie die neuen Nobelpreise aus Stockholm. Herbstzeit ist Elchzeit in Schweden, für 300 000 Jäger (davon 17 000 Jägerinnen), die sich bei klirrender Kälte auf die Pirsch begeben, stolze drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Für 300 000 bis 400 000 Elche bedeutet das höchste Gefahr in den Wäldern. Am Ende der Jagdsaison werden 90 000 erlegt und als Fleischvorrat in Gefriertruhen verstaut sein.
Im „Klippsalongen“ von Rolf Stamberg kam ein paar Tage später eine Postkarte mit dem Profilbild eines breitmäuligen Geweihträgers vor grünem Hintergrund an. Auf der Rückseite stand: „Hej! Entschuldige, aber ich war so gestresst. Grüße vom König des Waldes.“ „Stress“ gehört zu den Standarderklärungen, wenn Medien in Schweden vorzugsweise während der Jagdsaison allerlei spezielle Vorkommnisse mit den „Alces alces“ als unfreiwilligen Hauptpersonen melden.
Elch im Schwimmbecken
Da plumpst ein König des Waldes schon mal in das eiskalte Schwimmbecken der Gemeinde Johansfors und muss mit Kranhilfe hochgehievt werden. Ein anderer verwirrter Elch springt durch ein großes Fenster der Grundschule in Mölndal und stört den Bastelunterricht. Jäger berichten immer wieder gerne, wie sich ihre Lust auf den tödlichen Schuss ins Gegenteil verkehrt, wenn sie einen Elch in Not erspähen.
Dann wird so schnell wie möglich die nächste Motorsäge aus dem Jeep, der Hütte oder notfalls dem Baumarkt herbeigeschafft, um eine halb eingebrochene Eisdecke auf einem See zu zerkleinern. Das vermindert das subjektive Stressempfinden bei dem Tier vermutlich erstmal nicht. So konnte man auch schon von erfolgreicher Herzmassage für ein darniederliegendes Tier ohne Atmung lesen. Es klang nicht nach Jägerlatein. Eher nach einer für andere nicht ganz leicht nachvollziehbarer Jägermoral.
Warum muss ausgerechnet auch in diese Zeit die Brunft fallen, die nun mal nicht jeder entspannt und würdevoll durchsteht? Bei Österås zweckentfremdeten Jäger eine Waldrodungsmaschine, um gleich drei in ein Moor eingesunkene Elche vor dem Untergang zu retten. Jäger Tomas Jonsson über die Hintergründe: „Es waren zwei Bullen und eine Kuh in der Brunftzeit. Unser Theorie ist, dass die beiden Bullen die eine Kuh vor sich hergetrieben haben.“ Da muss alles schiefgegangen sein.
Ob auch Alkohol im Spiel war? Die Könige des Waldes lieben als absolute Delikatesse verfaultes Fallobst, meistens Äpfel, mit hohem Promillepotenzial. Das fällt, buchstäblich, auch noch im Herbst an. „Betrunkene Elche randalieren vor Altersheim“ ist eine typische Schlagzeile aus diesem Problemfeld. Ist man direkt betroffen, gibt es aber überhaupt nichts zu lachen, denn alkoholisierte Elche sind aggressiv und gefährlich. Im Frühling, wenn sich Schweden auf die hellen, warmen Monate freut, sieht die Sache anders aus. „Göteborg-Posten“ berichtete am 1. Mai – auch in Schweden ein Feiertag – völlig entspannt aus der Ortschaft Lindome: „Dem Festzug schloss sich eine komplette Elchfamilie an.“