Schwedens Löfven: “Wir haben keine Flüchtlingskrise, sondern eine Verantwortungskrise”

Für eine andere Politik der EU
Von Thomas Borchert

„Krise der Verantwortung“
Die Stockholmer Regierung ist damit beim EU-Konflikt um eine gemeinsame oder von nationalen Eigeninteressen bestimmte Flüchtlingspolitik ein wichtiger Verbündeter für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Löfven sagte einen Tag vor seinem Treffen mit Merkel in Berlin: „Wir haben keine Flüchtlingskrise, sondern eine Verantwortungskrise.“
Der reiche Kontinent Europa mit 500 Millionen Menschen müsse willens und in der Lage sein, seinen nur kleinen Anteil von einer Million der weltweit 60 Millionen Flüchtlingen zu bewältigen: „Wenn wir uns eine Insel mit 500 Menschen vorstellen, und dann kommt einer dazu, dann kann man nicht sagen, für diesen einen ist kein Platz.“
Am Sonntag hatte der sozialdemokratische Regierungschef vor 15 000 Demonstranten für eine humane Flüchtlingspolitik in Stockholm erklärt, er sei stolz darauf, dass sein Land „Solidarität an die erste Stelle stellt“, wenn Menschen vor Krieg fliehen müssten. Schweden nimmt in der EU pro Kopf die mit weitem Abstand höchste Zahl von Asylbewerbern auf. Für dieses Jahr erwartet die Ausländerbehörde knapp 100 000 neue Anträge, die meisten von Flüchtlingen aus Syrien. Deutschland und Schweden zusammen nehmen 60 Prozent der syrischen Flüchtlinge innerhalb der EU auf.
„Das ist auf die Dauer unhaltbar“, sagte Löfven, der zehn Forderungen für eine Reform der EU-Flüchtlingspolitik vorstellte. Neben einer verbindlichen Verteilungsquote „im Fall einer Katastrophe“ solle die Aufnahme von UN-Quotenflüchtlingen auf 100 000 erhöht werden. Zudem will Stockholm erreichen, dass die EU „durch eine aktivere Außen- und Entwicklungshilfepolitik“ den Menschen vor Ort hilft.
Die EU-Kommission soll Vorschläge dafür unterbreiten, wie Menschen auf der Flucht „auf legale Weise EU-Länder erreichen“ könnten. „Viel zu viele entziehen sich ihrer Verantwortung, und Viktor Orban ist einer davon“, sagte der sozialdemokratische Regierungschef an die Adresse seines Kollegen in Ungarn. Die EU-Kommission müsse auch Sanktionen gegen Mitgliedsländer verhängen, die wie in diesem Fall gemeinsame Grundwerte der EU wie Humanität verletzten.
Einflussreiche Rechtsparteien
Der Chef der Stockholmer Minderheitsregierung hat sein Eintreten für eine humane und großzügige Flüchtlingspolitik in einer innenpolitisch schwierigen Lage bekräftigt. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten sind in Umfragen von 13 Prozent bei den Wahlen vor einem Jahr auf jetzt knapp 20 Prozent geklettert, Löfvens eigene Partei dagegen von 31 auf 25 Prozent gefallen. In den nordischen Nachbarländern Dänemark, Norwegen und Finnland sind „zuwanderungskritische“ Rechtsparteien inzwischen ausnahmslos einflussreiche Teile des jeweiligen Regierungslagers. Die dänische Ausländerministerin Inger Støjberg ließ am Montag Anzeigen in Beiruter Zeitungen veröffentlichen, in denen die dort lebenden Flüchtlinge aus Syrien vor Asylanträgen in Dänemark gewarnt wurden. Es hieß unter anderem, man habe gerade die staatlichen Leistungen für Flüchtlinge um die Hälfte gekürzt.