Neues vom dänischen Populismus-Trauerspiel in der Frankfurter Rundschau
Von Thomas Borchert

Sie kamen zum Wochenauftakt auf ihrer Tour über das Mittelmeer und quer durch ganz Europa im Fährhafen Rødby an, obwohl die Ministerin genau für diesen Tag Anzeigen in libanesischen Zeitungen hatte abdrucken lassen: An die Adresse von einer Million dort lebenden Flüchtlinge hieß es, man möge bedenken, dass die dänische Regierung gerade erst die Geldleistungen für Asylbewerber um „bis zur Hälfte“ gekürzt und den Anspruch auf Familienzusammenführung für Syrer ausgesetzt habe. Permanente Aufenthaltsgenehmigungen seien von Kenntnissen der dänischen Sprache abhängig. Unter dem Strich lautet die Aussage: Geht woanders hin.
„Die Welt wird die Anzeige als unsere dänische Antwort auf das Foto vom toten syrischen Jungen am Strand verstehen“, sagte traurig im Rundfunk Frederik Preisler, Chef der Werbeagentur „Mensch“. Am Montag morgen erschienen die „Abschreckungs“-Anzeigen, Montagmittag meldeten die Zöllner aus Rødby, dass die Fähre aus dem schleswig-holsteinischen Puttgarden voller Flüchtlinge aus Syrien sei. Was tun?
Ausländerfeindliche Parolen
Støjberg reagierte mit den über anderthalb Jahrzehnte von dänischen Mainstream-Politikern zwecks Stimmenfang eingeübten und zuletzt im sommerlichen Wahlkampf wieder durchgespielten Grundreflexen: Grenze dicht, Sofortmaßnahmen, mehr Kontrolle, nun müsse man besonders genau hingucken, wer hier Flüchtling sei und wer „Migrant zum Zwecke eines angenehmen Lebens“. Støjberg hatte schon, als die Flüchtlingszahlen zu steigen begannen, aus Syrien vor einem Jahr darauf verwiesen, dass ja nur die „Einkommensstärksten“ sich die hohen Kosten für Schlepperdienste Richtung Europa leisten könnten. Ob man ausgerechnet denen helfen wolle.
Regierungschef Lars Løkke Rasmussen aber pfiff seine bisher für ihre scharfen Töne stets belobigte Ministerin innerhalb kurzer Zeit zurück, machte die Syrien-Flüchtlinge auf dänischem Boden zur Chefsache und verkündete plötzlich, Dänemark sei ganz und gar für eine gemeinsame EU-Lösung des Flüchtlingsproblems. Anders gehe es gar nicht. Man werde auf Punkt und Komma alle internationalen Verpflichtungen erfüllen und sehe ein, dass „die wirkliche Wirklichkeit uns eingeholt hat“.
Noch vor einer Woche hatte derselbe Rasmussen bei Kanzlerin Merkel den deutschen Löwenanteil von 800 000 Asylbewerbern in diesem Jahr artig als „unfair“ bezeichnet, ansonsten aber die dänische Beteiligung an verpflichtenden EU-Quoten für sein Land strikt abgelehnt. Seine Wähler und vor allem die seiner rechtspopulistischen Mehrheitsbeschaffer von der Dänischen Volkspartei haben den Wahlkampf allerdings bestimmt nicht vergessen: Rasmussen versuchte die Rechtspopulisten mit nimmermüden Versprechen, sich monatlich an kräftigen Senkungen der Asylbewerber-Zahlen messen zu lassen, noch rechts zu überholen. Irgendwelchen wahrscheinlich „schlappen“ EU-Vereinbarungen werde man sich nicht anschließen.
„Das steht felsenfest“ verkündete Rasmussen noch kurz vor seinem Antrittsbesuch bei Merkel. Nach der Ankunft der ersten tausend Syrienflüchtlinge dieser Woche versuchte er dann plötzlich einen ganz schweren Spagat zwischen der vermuteten Stimmungslage im eigenen Land und gegenüber den Nachbarn Deutschland und Schweden mit ihrer betont humanistisch begründeten, großzügigen Haltung bei der Aufnahme der Kriegsflüchtlinge aus Syrien: „Wir müssen jetzt Lösungen finden, mit denen wir uns auch im Spiegel anschauen können.“
So habe er ja Merkel am Wochenende telefonisch angeboten, dass sein Land aus Deutschland hundert Syrer übernehme. Kein Schreibfehler: „Hundert wäre eine faire Zahl angesichts unserer jeweiligen Bevölkerungszahl,“ fügte der Rechtsliberale hinzu. Nur dass sich das Angebot durch die inzwischen einfach so mit der Fähre gekommenen Flüchtlingen „überholt hat.“

Fast alle von ihnen möchten weiter nach Schweden, das sich in diesem Jahr auf bis zu 100 000 Flüchtlinge einstellt, fast zehnmal so viel wie die Dänen. Dass man die Spitzenstellung hierbei zusammen mit Deutschland halten will, bekräftigte der Stockholmer Regierungschef Stefan Löfven unmittelbar vor seinem Besuch bei Merkel, auch wenn ihm innenpolitisch mit bedrohlich stärker werdenden Rechtspopulisten das Wasser bis zum Hals steht. In Kopenhagen werden Löfven und seinesgleichen für diese Haltung von Mainstream-Medien und -Politikern praktisch unisono als Spinner, Weicheier, Halalhippies und Leittiere von Lemmingen verhöhnt.
Bürger helfen Flüchtlingen
Die stille Hoffnung Kopenhagener Politiker, dass man nun die syrischen Flüchtlinge einfach diskret zum Nachbarn durchwinken könne, wird aus Stockholm nicht nur mit Hinweis auf die Dublin-Regeln zurückgewiesen. „Dänemark ist ein reiches Land und kann sich selbst der Flüchtlinge annehmen“, hieß es spitz aus dem Stockholmer Justizministerium. Rasmussens Regierung dürfte wohl kaum erwägen, jemanden nach Deutschland als Erstasylland zurückzuschicken. Berlin ist nicht nur eine Nummer größer als Stockholm.
Dass die populistische Kopenhagener Politik-Rhetorik und der Dänen-Alltag oft verblüffend weit auseinanderklaffen, zeigte auch wieder die Reaktion auf die Ankunft der Flüchtlinge in Rødby: Die praktische Hilfsbereitschaft sei überwältigend, berichtete Bürgermeister Holger Schou Rasmussen aus Rødby. Zahlreiche Dänen verkürzten den 150 km langen Fußmarsch der Flüchtlinge Richtung schwedischer Grenze ganz einfach als Chauffeure in ihren Privatwagen. Am Kopenhagener Bahnhof war auf Pappschildern zu lesen: „Ihr seid willkommen. Aber wir bringen euch auch gern mit dem Boot nach Schweden.“