Das Leben ist schön mit Freunden wie Marlon
Mein schönstes Erlebnis 2014 habe ich aufgeschrieben und an die Kopenhagener Zeitung “Politiken” geschickt. Hier der deutsche Text:
„Weißt du was, ich glaub, ich besuche deine Schwester im Krankenhaus.“ Dieser Satz eines Unbekannten in der Eisenbahn zwischen Kopenhagen und Hamburg war mein schönstes und aufwühlendstes Erlebnis in diesem Jahr. Auch wenn es schon sehr Monate her ist: Der Satz gibt mir immer noch jede Menge Optimismus für 2015.
Wir waren in der Bahn als zwei Fremde ins Gespräch gekommen. Zwei Dänemark-Zuwanderer, ich aus Deutschland und auf dem Weg zu einem Geburtstagsfest in meiner Heimat. Er ein Brasilianer, eine Generation jünger als ich, nach sechs Jahren in Deutschland der Liebe wegen nach Kopenhagen gezogen. Er arbeitet als Ostöopat. Als er mir erzählte, dass er auf dem Weg zu einem Arbeitstreffen nach Bremen sei, sagte ich: „Oh! In Bremen liegt meine Zwillingsschwester Sabine gerade nach ihrer Krebsoperation im Krankenhaus.“ Mein Gesprächspartner erkundigte sich ein bisschen genauer Ich erzählte, dass bisher eigentlich alles sehr gut gelaufen sei: „Aber es ist so schwer für meine Schwester, weil sie die schwierigen Gespräche mit Ärzten und all das allein bewältigen muss.“ Und da sagte mein Gegenüber mit dem wenig brasilianischen Vornamen Marlon: „Weißt du was, ich glaub, ich besuche deine Schwester im Krankenhaus.“
Etwas verdattert murmelte ich, dass ich gerade nicht die Zimmernummer und Station wisse. „Krieg ich schon hin“, sagte Marlon. In Hamburg verabschiedeten wir uns und stiegen beide um. Er Richtung Bremen, ich nach Göttingen. Kurz vor der Ankunft, ruft mich meine Schwester auf dem Handy an, mit froher Stimme: „Du, vor einer Stunde steht da plötzlich ein junger Mann mit einem Blumenstrauß in der Tür zu unserem Krankenzimmer und fragt, ob es hier eine Sabine Borchert gebe. Jetzt ist er wieder weg. Ich habe mich so riesig gefreut.“
Das ist ein halbes Jahr her. Sabine hat ihren Krebs gut überstanden. Marlon Buriti zähle ich jetzt zu meinen Kopenhagener Freunden und hoffe, er tut das auch mit mir. Das Leben ist schön.