Bandenkriminalität in Schweden: Immer mehr Morde

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22.10.2021 Bandenkriminalität

Schüsse in der Nacht

  • Von Thomas Borchert

Der Mord an Rapper Einár in Stockholm offenbart Schwedens Dauerkrise.

Als „Hinrichtung aus nächster Nähe“ haben Augenzeugen die Ermordung des schwedischen Rap-Stars Einár in Stockholm geschildert. Der 19-Jährige, mit bürgerlichem Namen Nils Grönberg, starb in der Nacht zu Freitag als bisher prominentestes Opfer eines immer brutaler ausgetragenen Bandenkrieges in dem skandinavischen Land. Regierungschef Stefan Löfven brachte seine Bestürzung zum Ausdruck: „Es ist tragisch, dass schon wieder ein junges Leben ausgelöscht wurde. Ich weiß, dass Einár große Bedeutung für viele junge Menschen hat.“

Was die Öffentlichkeit über die Hintergründe des Verbrechens mit zwei schwarz gekleideten und unerkannt geflüchteten Tätern erfuhr, passt allerdings nicht so recht zur Einordnung „tragisch“. Denn der Rapper gehörte Medien zufolge selbst zum Stockholmer Gang-Milieu und war an den Bandenkonflikten beteiligt, in deren Verlauf zwischen 2018 und heute insgesamt 169 Menschen, fast immer junge Männer, getötet wurden.

Einár stand kurz vor einem Gerichtstermin als Zeuge. Er hatte die Zusammenarbeit mit der Polizei verweigert, nachdem ihn voriges Jahr eine als Vårby-Netzwerk bekannte Bande entführt und drei Millionen Kronen (300 000 Euro) Lösegeld verlangt hatte. Gegen sein Haus war ein Bombenanschlag geplant. Zu den dafür in erster Instanz verurteilten Tätern gehört auch ein prominenter Rapper-Kollege.

Als Opfer der Entführung verweigerte Einár die Aussage im Verfahren. Für die nun anstehende Berufung galt als sicher, dass der Sänger für die Aussage zum Gericht gebracht werden sollte. Zweimal wurde er in den letzten Wochen vorübergehend festgenommen, zunächst wegen Widerstands gegen die Polizei, dann nach einer Messerstecherei.

Gangs als Täter und Opfer

Der erste Hit des mehrfach mit dem schwedischen Grammy ausgezeichneten Rappers war Einárs Huldigung an einen getöteten Gang-Chef. Über den Anschlag im Stockholmer Stadtteil Hammarby Sjöstad berichteten Augenzeugen in Medien, die Täter hätten ihrem Opfer aus anderthalb Metern Entfernung in Kopf und Brust geschossen.

Die 10,3 Millionen Schwedinnen und Schweden müssen ständig neue derartige Schreckensberichte lesen. Fast immer sind junge Männer aus dem Gang-Milieu Täter und Opfer. Immer wieder treffen Kugeln bei Schießereien auf offener Straße Unbeteiligte. 2019 starb die Ärztin Karolin Hakim in Malmö mit ihrem zwei Monate alten Baby im Arm, als rivalisierende Gangs am helllichten Tag aufeinander schossen. Das Kind überlebte unverletzt. Auch ein Polizist gehört zu den Opfern, mehrere Kinder wurden verletzt. Es geht bei den Bandenkriegen fast immer um Konflikte im Drogenhandel, ausgetragen in Stadtteilen mit starken sozialen und Integrationsproblemen.

Dass ausgerechnet Schweden mit seinem freundlichen Bullerbü-Image jetzt an der Spitze der europäischen Statistik tödlicher Schießereien steht, hat dem Land politisch ein Dauerthema mit Tiefenwirkung beschert. Der Sozialdemokrat Löfven tritt – zehn Monate vor den Wahlen – noch im November ab und macht Platz an der Regierungsspitze für die bisherige Finanzministerin Magdalena Andersson. Über den wichtigsten Grund sind sich die Kommentator:innen einig: Löfven hat in den vergangenen drei Jahren die Bandenschießereien nicht eindämmen können und damit das Grundvertrauen der Bevölkerung in den Staat ins Wanken gebracht.

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