Billigflieger bringt Islands Tourismus-Boom ins Wanken

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Billigflieger

Island in der Wow-Krise

  • vonThomas Borchert

Die Billigfluglinie der kleinen Inselrepublik steckt in akuten Nöten. Das ist ein Problem, weil der Tourismus inzwischen eine volkswirtschaftliche Schlüsselrolle in dem Land spielt.

Muss täglich mit dem Aus rechnen: Wow Air.

Islands einziger Billigflieger Wow Air steckt in akuten Nöten. Was für die europäische Flugbranche nur die nächste von immer mehr Havarien kleiner Anbieter auf einem gnadenlos umkämpften Markt wäre, versetzt die kleine Inselrepublik im Atlantik in helle Aufregung. Regierungschefin Katrín Jakobsdóttir sah am Dienstag in Reykjavik zwar „keinen Grund für Katastrophenstimmung“, warnte aber doch vor gravierenden Folgen: „Wenn es wirklich ganz schlimm kommt, wird das ein harter Schlag, der unseren gesamte Tourismusbranche trifft.“ Das befürchten auch Islands Gewerkschaften und Arbeitgeber, die ihre zentrale Tarifrunde mit als sicher geltenden Streiks ausgerechnet im Fremdenverkehr wegen der Wow-Krise erst mal ausgesetzt haben.

Der beispiellose Touristenstrom der letzten Jahre mit einer Verfünffachung der Besucherzahlen seit 2010 auf 2,3 Millionen im letzten Jahr (bei gerade mal 350.000 Einwohnern) hat Island in atemberaubenden Tempo aus den Tiefen des Bankencrashs 2008 gerettet. Damals stand das ganze Land vor dem Bankrott. Unerlässliche Voraussetzung für den Tourismusboom waren und sind Ticketpreise von manchmal 50 Euro etwa für die 2500 Flugkilometer zwischen Berlin Schönefeld und der Vulkaninsel mit ihrer überwältigend wilden, schönen und – jedenfalls bis dato – einsamen Landschaft.

Für Wow Air funktionierte die Rechnung, bis die Treibstoffkosten in die Höhe schnellten, während der Preisdruck nach unten weiter anhielt. Sollten jetzt gut tausend Beschäftigte (bei einer Flotte von elf Airbus-Flugzeugen) ihre Jobs bei einem der größten Arbeitgeber im Land verlieren, wird das in der landesweiten Arbeitslosenstatistik abzulesen sein.

Für viel größere Unruhe unter den Isländern aber sorgt die drohende Wow-Pleite als Barometer für eine mögliche Trendwende bei der wichtigsten Einnahmequelle. Die jährlichen Zuwachsraten im locker zweistelligen Bereich haben einen Bauboom bei Hotels ausgelöst. Die Nachfrage nach Arbeitskraft im Fremdenverkehr ist so stark, dass die infolge des Bankenzusammenbruchs 2008 extrem geschwächten Gewerkschaften wieder Muskeln zeigen. Eine neue, junge Generation von selbstbewussten Funktionären hat für dieses Jahr mit Streiks von Reinigungskräften in Hotels und Busfahrern gedroht – jetzt Schlüsselberufe für die isländische Volkswirtschaft, in der traditionell die Fischer den Ausschlag über Wohl oder Wehe gaben.

Im letzten Jahr ist das Besucher-Plus auf 5,5 Prozent geschrumpft, in diesem Januar gingen die Zahlen erstmals gegenüber dem Vorjahresmonat leicht zurück. Die Arionbank sagt in einer Prognose ein schwaches Wachstum von zwei bis drei Prozent jährlich bis 2021 voraus. Sie warnt vor der im europäischen Vergleich einzigartigen Abhängigkeit des heimischen Tourismus von den zwei nationalen Fluggesellschaften. Iceland Air als zweite hatte schon Ende letzten Jahres eine Übernahme von Wow Air abgelehnt. Die linksgrüne Ministerpräsidentin Jakobsdóttir und ihr konservativer Finanzminister Bjarni Benediktion schließen staatliche Finanzhilfen aus.

Viele Isländer aber sehen die aktuelle Krise auch positiv als Notbremse gegen das explosive Wachstum im Tourismus seit fast zehn Jahren. Ob es nun der gewagte Hotelausbau, immer frechere Preiserhöhungen in immer mehr Restaurants oder die bald komplette Umwidmung des Reykjaviker Zentrums zu einer Airbnb-Zone sei: Bei den großen Investoren, aber auch im kleinen Alltag hat der Tourismus-Boom die Gier nach immer mehr geweckt, ist in Alltagsgesprächen oft zu hören.

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