Wie Lehrer sich gegen neoliberalen Wahnsinn an dänischen Schulen wehren
“Der Pauker”: Kampf gegen die Schulreform
Gewerkschaftschef Anders Bondo Christensen hat den Angriffen gegen die Arbeitsbedingungen der Lehrer in Dänemark die Stirn geboten. Im Herzen ist er der engagierte Pädagoge geblieben.

Es klingt wie Ostblock kurz vor Stalins Tod, ist aber Dänemark, das Land mit dem angeblich glücklichsten Volk der Welt: Vier Wochen lang sperren die kommunalen Arbeitgeber alle Lehrer aus und überweisen kein Gehalt. Die Pädagogen an den „Folkeskoler“, der Gesamtschule von der ersten bis zur zehnten Klasse, sollen per Tarifvertrag zu deutlich mehr Unterrichtsstunden bei voller Anwesenheit in der Schule von 8 bis 16 Uhr gezwungen werden. Die Lehrer trotzen dieser ersten und einzigen Angriffsaussperrung der dänischen Geschichte standhaft, ihre Gewerkschaft verweigert die Unterschrift. Am Ende verfügt die eigentlich zu Neutralität verpflichtete Kopenhagener Regierung per Zwangsgesetz das gewünschte Resultat. Kurz danach kann sie eine Schulreform verkünden: Mehr Unterricht, jetzt in Ganztagsschulen, mit tausenden bis ins letzte Detail festgelegten Richtlinien.
Das ist gut fünf Jahre her und zieht mit anhaltender Lehrerflucht bei weit verbreiteter Verbitterung weiter tiefe Spuren. Anders Bondo Christensen, gelernter Mathematiklehrer und seit 16 Jahren Vorsitzender der Fachgewerkschaft DLF, muss sich, so sagt er, „immer noch in den Arm kneifen, um daran zu glauben, dass das wirklich so wie in einem Bananenstaat abgelaufen ist“. Mit seinem persönlichen Einsatz gegen den staatlichen Brachialangriff auf die Arbeitsbedingungen und das Selbstverständnis der Lehrer ist der 59-Jährige zu einer Symbolfigur für alle geworden, die den neoliberalen Umbau der Gesellschaft nicht wie ein Naturgesetz hinnehmen wollen.
Das Etikett „Nein-Bondo“ (Dänen bevorzugen den Mittelnamen zur Identifizierung) haben ihm deshalb Kontrahenten auf der anderen Seite des Verhandlungstisches angeheftet. Selbst sieht sich der passionierte Marathonläufer (37 insgesamt, letzte Zeit 2017: 3.38 Std.) als total pragmatisch und immer kompromissbereit, gerade auch in Tarifrunden. Nur manchmal gehe es eben auch um Größeres.
Bondo erklärt es so: „Für Ihre Art von Modernisierung des öffentlichen Dienstes fanden Politiker in Kommunen und Regierung, dass bei der Arbeitszeit der Lehrer was zu holen war. Sie setzten auf das weit verbreitete Bild, dass es den Lehrern viel zu gut geht, nur 25 Unterrichtsstunden in der Woche, mittags nach Hause und richtig lange Ferien.“ Und dann auch noch mittelmäßige Pisa-Plätze mit zunehmender Unzufriedenheit über die Folkeskole laut Umfragen. Also könnte man mal richtig draufhauen und Härte zeigen, bis die Lehrer einknicken.
Heute ist unstrittig, dass der damalige sozialdemokratische Finanzminister Bjarne Corydon schon lange vor der Tarifrunde die Aussperrung der Lehrer um jeden Preis in Geheimabsprachen durchgeboxt hatte. Nach vier Wochen des seltsamen Arbeitskampfs mit 700 000 Schülern und deren zunehmend entnervten Eltern als Geiseln setzte Corydon schließlich seinen Willen per Zwangsgesetz durch. Anders ging es nicht, weil Bondo und seine Gewerkschaft standhaft die Unterschrift verweigerten.
Am Abend der Entscheidung demonstrierten 6000 wütende Lehrer vor dem Kopenhagener Folketing (Parlament), weil sie diese „Normalisierung“ ihrer Arbeitszeit“, so der Regierungsjargon, als beispiellosen, demütigenden Vertrauensentzug empfanden. Bondo begegnete auf dem Weg zur Kundgebung zufällig dem Finanzminister, der ihn ansprach: „Jetzt können wir doch Shake Hands machen.“ Der Gewerkschafter ging wortlos weiter.
„Im Herzen ist er immer der engagierte Lehrer geblieben, und er kann das den Mitgliedern vermitteln“, sagt Thorkild Thejsen, langjähriger Chefredakteur des DLF-Magazins „Folkeskolen“. Ein gewaltiges Pfund: „Das Vertrauen der Mitglieder war so groß, dass es für Bondo zum Verkauf von Sand in der Sahara gereicht hätte.“ Auch im Interview lange nach dem schicksalshaften Einschnitt ist dem Vorsitzenden genuine Empörung darüber anzumerken, dass die kommunalen Arbeitgeber und Regierungspolitiker für ihre kriegerischen Geheimabsprachen sämtliche Regeln des auf Konsens ausgerichteten „Dänischen Modells“ für Tarifrunden missachtet haben: „Für mich ist das der größte Verrat an der Demokratie in unserem Land seit dem Zweiten Weltkrieg.“
Was seitdem passiert ist, sieht Bondo als Bestätigung für sich und die Haltung seiner Mitglieder. Manches findet er ermutigend, anderes niederschmetternd. Corydons Sozialdemokraten verloren die Regierungsmacht 2015 auch, weil sie die Stimmung rund um die Schulen falsch eingeschätzt hatten. Der abgewählte Finanzminister zog das, was er für die richtige Konsequenz hielt und heuerte in Windeseile als „Globaler Berater für die Entwicklung des öffentlichen Dienstes“ bei McKinsey an. Als Minister hatte er den Unternehmensberatern umgekehrt gern Aufträge für die Modernisierung des heimischen Staatsdienst zugeschanzt. Inzwischen ist der erst 45-Jährige als Chefredakteur des arbeitgeberorientierten Wirtschaftsblattes „Børsen“ zur „Vierten Staatsmacht“ übergewechselt und aus seiner Partei ausgetreten.
Auch ihren angestammten Arbeitsplatz verlassen haben tausende dänische Pädagogen. Zum Beginn des neuen Schuljahres schrieb die Folkeskolelehrerin Bine Mathiasen in der Zeitung „Politiken“, warum sie nach zwölf Jahren das Handtuch wirft: „Mit der Schulreform 2013 und dem rigiden Führungsstil als deren Folge kann ich mich nicht mehr als Lehrerin wiedererkennen.“ Die starren Regeln bis ins Kleinste haben den Unterricht für sie „zu einem Job gemacht, den man nur noch überstehen will“.
Bondo warnt vor dem Ausbluten der dänischen Gesamtschulen durch Lehrerflucht und stetig zunehmender Schülerflucht in Privatschulen. Aber: „Wir wittern auch Morgenluft.“ Quer durch die Parteienlandschaft hätten Politiker begriffen, dass die Holzhammermethoden von 2013 ein Irrweg waren: „Das Folketing hat ja schon die Mehrzahl der tausenden Detailrichtlinien für den Unterricht abgeschafft. Mehr und mehr Kommunen vereinbaren mit uns lokal wieder flexiblere Arbeitszeiten.“
Der jüngste Anlauf für einen Tarifvertrag endete mit einem lauen Kompromiss, für den Bondo auch intern Kritik einstecken musste. Das ging nicht anders, sagt er und fügt an: „Es ist insgesamt wieder angesagt, Respekt vor dem Professionalismus der Lehrer zu zeigen …“