Norwegens Lachszucht fährt Traumprofite ein
Gier schlägt Gesundheit
Die Verbraucher essen stetig mehr Lachs, die Fischfarmen werfen gigantische Gewinne ab. Dafür werden die Tiere miserabel behandelt – mit Auswirkungen auch auf die Konsumenten.

Wunderschöne Farbkontraste produziert der beliebteste Fisch auf deutschen und anderen Tellern. „Leute, legt in Lachsen an!“, rufen derzeit viele Anlageberater. Gerade diese Woche sind die Aktienkurse norwegischer Fischfarmbetreiber mal eben wieder um 3,75 Prozent auf neue Rekordhöhen geklettert. Alle Welt futtert gern den König der Speisefische mit seinen vielgerühmten Omega-3-Fettsäuren gegen den zu hohen Cholesterinspiegel. Dass er infolge der hohen Nachfrage spürbar teurer wird, hat daran nichts geändert.
Auf der anderen Seite: „Die Lachse sterben wie nie zuvor“, titelte unlängst wieder die Osloer Zeitung „Aftenposten“ zum gigantischen Läusebefall in den eng gefüllten Fjord-Käfigen und kommentierte bekümmert: „Norwegischer Lachs hat die Aura von Gesundheit und nachhaltiger Kraft. Es wird immer schwieriger, diese Illusion aufrechtzuerhalten.“ Jedenfalls wenn man beispielsweise weiß, dass die Läusebekämpfung mit harter Chemie aufgegeben werden musste, weil die Parasiten auf den Lachsschuppen immun geworden waren. Jetzt bevorzugen die Betreiber „mechanische“ Methoden durch Abspülen und Abbürsten – mit so hohem Druck, dass viele Fische daran sterben.
Die Einzelheiten dazu klingen genauso abstoßend wie Berichte über Zustände in deutschen Hühnerställen. Beunruhigen muss das auch die Anleger und ihre Berater, wie der Analyst Lage Bøhren vom Finanzdienstleister Carnegie in Oslo bestätigt: „Die Risiken für einen tiefen Fall sind sehr hoch, wenn eine ganze Farm eingeht.“ Nur dass diese, anders als Hühnerfarmen, eine wahre Goldgrube sind: „Bei Ertragsquoten von 30 bis 40 Prozent in den letzten Jahren wird sich wohl in der Lebensmittelbranche nichts vergleichbar Profitables finden. Da muss man schon in die Biotech-Branche gucken.“
Klar, dass daran immer mehr verdient werden soll. Worüber sich die Lachslaus freuen kann, für die möglichst viele Fische in möglichst eng gefüllten Käfigen die besten Verbreitungsmöglichkeiten schaffen.
Die Fischzucht ist inzwischen Norwegens zweitgrößte Exportbranche nach Öl und Gas aus der Nordsee. Das Aktienpaket der Milliardärsfamilie Frederiksen, reich geworden als Schiffsreeder, beim weltweiten Branchenprimus Marine Harvest mit knapp 13.000 Beschäftigten hat seinen Wert von sechs Milliarden Kronen (625 Millionen Euro) 2015 in den letzten drei Jahren verdoppelt. „Wir sind hochzufrieden, und da sich nun auch China öffnet, kann man nur sagen: The sky is the limit“, meinte Cecilie Frederiksen zu diesen Zahlen im Wirtschaftsblatt „Dagens Näringsliv“.
Kurt Oddekalv vom Umweltschutzbund in Bergen wird bei solchen Tönen hörbar zornig: „In den letzten Jahren ist die Branche viel größer und noch viel gieriger geworden. Sie ist außer Kontrolle geraten und kann tun und lassen, was sie will.“ 2010 hatte er sich als besonders scharfer Kritiker der von Beginn an umstrittenen Lachszucht mit einem umfassenden Rapport zu Wort gemeldet.
Penibel war darin alles aufgeführt, von der Gefährdung des Wildlachsbestandes durch entweichende Zuchtlachse über den enormen Einsatz von Chemie zum Schaden der Tiere sowie auch der sie verspeisenden Menschen, bis hin zur Misshandlung der Meerestiere. Oddekalv brachte TV-Teams zu Aquakulturen, wo sie Beschäftigte in schweren Schutzanzügen und mit Gesichtsmasken bei der Einleitung chemischer Stoffe ins Wasser vorfanden: „Wenn das kein Gift für die Fische und für die Menschen ist, was dann?“
Dass die zunächst massiv eingesetzten Antibiotika nach und nach reduziert und inzwischen durch eine „Dreifachimpfung“ der Lachse ersetzt worden sind, sieht Oddekalv als Scheinerfolg. Erkauft werde es mit neuen Missständen: „Die Impfstoffe verursachen den Fischen enorme Schmerzen.“ Für die rote Farbe der Lachse, vom Verbraucher verlangt, aber wegen des Ausbleibens von Krabben als Futter eigentlich weg, sorgt das meist chemisch hergestellte Karotinoid Astaxanthin. „Alles in der Umgebung der Fischfarmen stirbt daran“, sagt Oddekalv.
Greenpeace Deutschland teilt seine Kritik am Einsatz des Antioxidanten Ethoxyquin im Lachsfutter (für dessen Haltbarkeit) als „wahrscheinlich krebsfördernd“. Fisch aus konventionellen Zuchtlachsen sei durchweg mit dem Stoff hoch belastet, über die Langzeitwirkung bei Menschen könne man nichts Sicheres sagen, hieß es nach einer Testreihe 2016. „Ethoxyquin ist ein verbotenes Pflanzenschutzmittel und hat nichts in Fisch verloren“, schrieb damals Thilo Maack, Fischereiexperte bei Greenpeace. Seine Organisation verlangt ein Verbot und rät bis dahin: „Selten und bewusst Fisch essen, beim Fischkauf genau hinsehen, Fisch aus konventioneller Aquakultur meiden und Wildfische wählen, die nicht überfischt sind.“
Diese Botschaft ist bei den Verbrauchern ganz und gar nicht angekommen. Daran hat auch ein Skandal in Chile nichts geändert. Dort war die Lachszucht zeitweise zusammengebrochen, nachdem in den noch enger als in Norwegen belegten Käfigen eine Seuche mit Massensterben ausgebrochen war. Auch in Chile verdient die norwegische Familie Frederiksen über die Firma Marine Harvest ordentlich mit. Das Geschäft ist so lukrativ, dass Chiles Regierung – genau wie die norwegische – ein paar Produktionsbeschränkungen für die sonst hemmungslose Ausbreitung immer neuer Fischfarmen eingebaut hat.
„Die Nachfrage wird auch in absehbarer Zeit weltweit stabil um sieben bis acht Prozent pro Jahr wachsen“, ist sich Analyst Bøhren sicher. Als 2017 auch im Gefolge der regierungsamtlichen Bremsbeschlüsse der Weltmarkt kräftig in Bewegung kam, sagten namhafte Osloer Kollegen ein böses Erwachen vorher: 2018 als „giftigem Jahr“ würde der Lachspreis um 18 Prozent auf durchschnittlich 48 Kronen je Kilo fallen. Jetzt liegt er bei 80 Kronen (8,34 Euro). Bøhren schlussfolgert: Die Zahlungsbereitschaft für den Lachs ist weiter stabil und deutlich höher, als die Branche selbst erwartet hat.“