#Metoo fegt über Schweden wie ein Orkan: 5000 Juristinnen machen ernst

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Eine Kultur des Verschweigens

In Schweden prangern 5000 Juristinnen sexuelle Übergriffe von männlichen Richtern und Anwälten an.

16. 11. 2017

Tausende Schwedinnen wollen nicht mehr schweigen. Foto: rtr

Erst die Künstlerinnen, jetzt tausende Frauen aus der Rechtsprechung: In Schweden breitet sich die Protestbewegung gegen sexualisierte Drangsalierung, Erniedrigung und Gewalt durch Männer fast mit Lichtgeschwindigkeit aus. Nachdem letzte Woche erst 800 Schauspielerinnen und dann 700 Opern- sowie andere Sängerinnen ihre berufliche Not in Aufrufen mit haarsträubenden Beispielen öffentlich gemacht hatten, ist nun von gleich 5000 Juristinnen eine ganz neue Front eröffnet worden. Mit diesem Missbrauch der Frauen müsse sofort Schluss sein, hieß es in dem am Mittwoch veröffentlichten Aufruf unter dem scharfzüngigen Motto „Mit welchem Recht“ (#med vilkenrätt). Es folgt eine klare Adressierung: „Wir verlangen, dass ihr mit Macht in unserer Branche – Teilhaber von Anwaltskanzleien, Gerichtsvorsitzende, Behördenchefs – die Verantwortlichen für Übergriffe zur Rechenschaft zieht, statt weiter wegzusehen.“

Damit ist wohl endgültig klar, dass #MeToo in Schweden mehr als nur ein vorübergehender Medienhype ist und mit handfesten Forderungen der Frauen bleibende Folgen haben wird.

Schon am ersten Tag hatten die 4500 Juristinnen unterschrieben und endlos viele Beispiele aus ihrem Berufsleben beigesteuert. „Svenska Dagbladet“ druckte etliche über mehrere Seiten ab: Der Richter am Obersten Gerichtshof und Professor lässt die mit Alkohol abgefüllte Jurastudentin erst auf seinem Sofa einschlafen, alle anderen Gäste gehen und beginnt dann mit dem Sex.

Der landesweit bekannte Chefjurist der Menschenrechtsorganisation bombardiert die Praktikantin mit SMS über ihre Schönheit. Er sehe sie immer nackt vor sich, erkundigt sich beim Kaffee nach ihren sexuellen Vorlieben und schreitet bei einem späten Feierabend zur Tat. Sie berichtet von ihrer Selbstverachtung, weil sie sich nicht zu wehren wagte. Noch heute werde ihr schlecht, wenn sie diesen prominenten Mann im Fernsehen über den Schutz der Menschenrechte dozieren höre und dabei vor allem sich selbst „schmutzig, dumm und überspannt“ finde.

Gemeinsamer Nenner deprimierend vieler Berichte ist die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen zwischen etablierten männlichen Juristen und ihren um Etablierung kämpfenden, „rangniederen“ jüngeren Kolleginnen. Ergänzt oft mit der Verdopplung des Problems, weil die Betroffenen beruflich Fälle von sexueller Gewalt abzuhandeln haben: Da schildert die Frau aus der namhaften Anwaltskanzlei, wie sie von den männlichen Berufspartnern weggemobbt und um Einkünfte gebracht wird, weil sie sich geweigert hat, „Schmutz“ gegen ein Vergewaltigungsopfer zusammenzutragen.

Ganz Schweden hatte schon bei den fast nicht enden wollenden Berichten der bekanntesten und auch unbekannter Bühnenkünstlerinnen über ihre Alltagsnot nach Luft geschnappt: Konnte es wirklich so schlimm zugehen mit all der männlichen Nötigung, Erpressung und Gewaltanwendung im harmonischen, für die Gleichberechtigung weltweit bewunderten skandinavischen „Volksheim“? Mit gewalttätigen Schauspielern, die Kolleginnen bis zur Vergewaltigung sexuell quälten und dann von den Intendanten als „Stars“ gedeckt wurden.

Wo doch alle schwedischen Politiker, gleich welchen Geschlechts, mit Wunsch auf Wiederwahl immer klar mit „Ja“ auf die Frage antworten, ob sie denn Feminist seien. Und wo die „Genderforschung“, das wissenschaftliche Arbeiten mit dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern, an den Universitäten ein Gewicht hat wie nirgends sonst auf der Welt.

Ihr sei die Lust zum Stockholmer Theaterbesuch erst mal vergangen, bekannte eine Kritikerin im Rundfunk, weil sie nun bei jedem „männlichen Genie“ auf der Bühne an das Austoben der Genialität in Garderoben, Kantinen und sonstwo mit Partnerin, aber ohne Zuschauer denken müsse.

Die Juristinnen mussten sich auch vorhalten lassen, sie würden mit massiven Anklagen im Aufruf das Vertrauen in Schwedens Justiz erschüttern. Ihr kühler und kristallklarer Konter: „Dieser Vorwurf trägt zur Aufrechterhaltung der derzeitigen Kultur des Verschweigens bei. Wenn die Missstände ans Licht kommen, wird Vertrauen gestärkt.“ Justizminister Morgan Johansson reagierte auf den konkret fordernden Ton und die überwältigenden Zeugnisse von Juristinnen mit der bombastischen Feststellung, seine Regierung liefere einen „historischen Einsatz zur Verstärkung der Polizei, Verschärfung bei den Strafen für Sexualdelikten und besserem Schutz für Verbrechensopfer“. Es dämmerte ihm beim eiligen Facebook dann wohl aber, dass das kein Volltreffer war, und so fügte er noch an: „Wenn die Gewalt von Männern gegen Frauen beendet werden soll, dann ist es der Mann, der sich ändern muss.“

 

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