China
„Du bist verdammt, wenn du nicht schweigst“
Die Tochter eines politischen Häftlings in China ist von den Worten der zuständigen schwedischen Botschafterin entsetzt.
Soll man zur Einkerkerung des eigenen, vermutlich schwer kranken Vaters als politischer Gefangener in China schweigen, um vielleicht die Chancen auf seine Freilassung zu verbessern?
„Du bist verdammt, wenn du es tust und verdammt, wenn du es nicht tust,“ hat die 24- jährige Angela Gui dazu ausgerechnet aus dem Mund von Schwedens Botschafterin in Peking gehört. Die Regierung in Stockholm hat den schwedischen Staatsbürger Gui Minhai (54) seit seiner Entführung nach China 2015 nicht freibekommen. Botschafterin Anna Lindstedt sagte diesen Satz Ende Januar Seite an Seite mit ominösen chinesischen „Geschäftsleuten“ bei einem von ihr arrangierten Geheimtreffen in einem Stockholmer Hotel.
Dort wurde der jungen Frau, Geschichts-Doktorandin in Cambridge mit schwedischem Pass, im Klartext und ohne Einwände der Botschafterin mitgeteilt, was zu erwarten sei, wenn sie weiter mit Journalisten über den Fall ihres Vaters spreche und sich öffentlich äußere: „Du musst uns vertrauen, sonst wirst du deinen Vater nie wiedersehen.“ Bei einer Einigung könne man sicher zügig einen Besuch beim Vater arrangieren, der dann eventuell nach einer vergleichsweise milden Gerichtsstrafe ausreisen dürfe.
Zwei Tage dauerte das bizarre Meeting, bei dem die Hauptperson nur in Begleitung zur Toilette gehen durfte. Eine Woche hat Angela Gui überlegt und sich nach vermutlich extrem schwerer Bedenkzeit gegen das Schweigen entschieden.
Nach einem zunächst vagen Interview mit „Svenska Dagbladet“ enthüllte sie jetzt über Twitter in einem atemberaubend detaillierten Bericht, wie Schwedens Botschafterin sie nicht nur persönlich zu dem Treffen animiert hatte. Sondern erzählte auch, dass die Diplomatin auch auf dem Stuhl direkt neben ihr saß und damit dem chinesischen Mix aus „Drohungen, verbaler Misshandlung, Bestechungsversuchen und Schmeicheleien“ bei gleichzeitig nur vagen Zusagen diplomatisches Gewicht.
„Botschafterin Lindstedt war ganz offensichtlich einverstanden mit allem, so dass ich das Ganze für eine Initiative des schwedischen Außenministeriums hielt,“ schreibt Angela Gui. Das scheint ein Irrtum, denn binnen weniger Stunden nach der Veröffentlichung war die als erfahren geltende 58-jährige Karrierediplomatin aus Peking heimgerufen worden, „zur Klärung“.
„Wir hatten von der Sache nicht den blassesten Schimmer“, erklärte der Sprecher des Außenministeriums. Sollte auch nur der geringste Zweifel an dieser Aussage aufkommen, wird nach der Botschafterin auch die für sie zuständige Außenministerin Margot Wallström den Platz räumen müssen.
Sie hatte zuletzt vor einem Jahr verbal protestiert, als Gui Minhai auf dem Weg zu einer medizinischen Untersuchung in Peking faktisch zum zweitenmal entführt wurde. Auf das erste Kidnapping im Oktober 2015 in Thailand war nach Meinung von Amnesty International, Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen ein von Gui Manhaiv erzwungenes Geständnis „krimineller Aktivitäten“ vor chinesischen TV-Kameras gefolgt.
Gui war nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 von einem Studienaufenthalt im schwedischen Göteborg nicht zurückgekehrt und hatte sich einbürgern lassen. Zehn Jahre später kehrte er in seine Heimat zurück und nutzte als Autor sowie Verleger die Möglichkeit zur Veröffentlichung regimekritischer Bücher in Hongkong. Etwa zeitgleich mit Gui verschwanden plötzlich vier weitere Mitarbeiter des von ihm mitgetragenen Buchhandels Causeway Bay in Hongkong.
Die Hoffnung von Angela Gui auf ein Wiedersehen mit ihrem Vater nach der überraschenden Freilassung Ende 2017 zerschlug sich auf denkbar brutale Weise: Nachdem chinesische Ärzte den Verdacht auf die unheilbare Nervenerkrankung ALS geäußert hatten, fuhr Gui Manhai in Begleitung zweier schwedischer Diplomaten mit der Bahn zu einer Untersuchung bei einem aus Stockholm angereisten Spezialisten.
Gui Manhai kam nie in Peking an, weil unterwegs zehn Männer den Zug stürmten und ihn mitnahmen. Es folgt kurz danach ein öffentliches „Schuldbekenntnis des wieder Inhaftierten.“